Komodo 11

Posted by frieden on 7.4.2012

Slov ant Gali

KOMoDo –

Kommunismus ohne Dogmen

Inhalt

    Mein lieber Thor …

    Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

    Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (1)

    Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

    Die drei Wirtschaftskreisläufe oder auch Robinson kann helfen

    Das Kommunismus-Muster Musik – Geist für alle

    Wie ich trotz und wegen der DDR … (2)

    Nicht alle Arbeit wird Kunst – manche bleibt Pflicht

    Wie ich trotz und wegen der DDR …(3)

    Oh … keine Waren, aber Plan

    Auf zur Beförderung …

    Bedürfnisbefriedigungsanstalt Kommunismus

    Wie ich trotz und wegen der DDR … (4)

    Warum das Bild der fleißigen Ameisen nichts mit Kommunismus zu tun hat

    Sanktionsgemeinschaft Kommunismus

    Welche Bereiche machen denn kommunistisches Leben für den Einzelmenschen aus?

    Ein paar Schlusssätze

    Wie ich trotz und wegen der DDR … (5)

Mein lieber Thor,

na, das war ja eine Überraschung. Seit ich seinerzeit stillschweigend alle „Westkontakte“ … was soll ich sagen? … abbrach … nein, das stimmt so nicht, ich hatte ohnehin nie welchen, höchstens indirekt, weil meine Mutter eben welchen mit ihrer Schwester, also deiner Großmutter, hatte, sind Jahrzehnte vergangen. Ich wusste einfach nichts von deiner Existenz. Insofern bin ich sowohl erstaunt, dass du versuchst, etwas von mir zu erfahren, als auch, dass du mich überhaupt erreicht hast. So eine Familie geht nämlich mitunter seltsame Wege.

 

Dass die Flucht aus Schlesien meine Mutter, also meine Eltern, vom Rest der Familie getrennt hat, ist ein Zufall, ein Schicksal, über das ich mir als Kind immer gern abends am Kachelofen Geschichten angehört habe. Eine politische Entscheidung war es jedenfalls nicht. Meine Eltern hatten nie vor, die Russen als Herren zu erleben. Für sie war es eine Art Überraschung, dass von den vielen Horrorgeschichten, die sie zuvor gehört hatten, nicht ein Bruchteil der Wirklichkeit entsprach. Von manchen Dingen muss man sich ein eigenes Bild machen. Von meiner Familie hat sich niemand der neuen Macht angedient. Mein Vater ist nie politisch aktiv gewesen, hat sich nur eben dieser eigenen Erfahrungen wegen früh für die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft entschieden, vielleicht auch aus Scham, weil er wusste, wie er selbst zuvor im Feindesland gewütet hatte. Meine Mutter erzog mich dazu, einfach nur menschlich zu denken. So in der Art, dass auch andere Menschen ihre Kinder lieben, vielleicht mehr oder anders als wir.

Als ich größer wurde, begann ich mir meine eigene Meinung zu bilden. Lach nicht: Die Nachrichten, die ich am aufmerksamsten ansah, waren die in der Tagesschau. Das war die Zeit, wo mich auch Einiges an der Familie irritierte: Ich fand es irgendwie abartig, dass deine Mutter in irgendeiner schlesischen Volkstracht beim Umzug vom Bund der Vertriebenen mitmachte. Die war doch genauso wenig „vertrieben“ wie ich, hatte nie in Schlesien gelebt. 50 Mark hatte sie dafür bekommen, sich so zum Affen zu machen. Okay. Ich sag nichts. Ich war nur der Überzeugung, ich hätte es nicht getan und meine Mutter hätte es nicht von mir erwartet.

Schlimmer waren für mich die Pakete. Normalerweise freut man sich ja, wenn man ein Paket bekommt, einem etwas geschenkt wird. Das traf sicher auf die Masse der normalen DDR-Bürger zu. Aber auf eines musst du bei mir gefasst sein: Ich bin in vielen Dingen anders als andere …

Nun habe ich generell Schwierigkeiten, mich für etwas zu bedanken. Die West-Pakete meiner Tante empfand ich aber in erster Linie als Beleidigung. Wenn man sie öffnete, schlug einem erst einmal der Duft leicht ranziger Rama entgegen. Viele Sachen waren darin, die mehr als nur ein wenig getragen wirkten. Irgendwie Zeug, das eine Haltung ausdrückte, wir litten Hunger und lebten hinterm Mond oder in mongolischen Steppendörfern. Schwer waren die Pakete. Klar. Bildeten sich die „drüben“ etwas auf die vielen Schokoladentafeln ein, die bei ihnen die billigen Sorten waren und im Dutzend noch billiger? Es war doch kein Geheimnis, dass meine Mutter als Aushilfe in einer Lebensmittelverkaufsstelle arbeitete und mein Vater zur Leipziger Messe fuhr, von wo er auch mit Mustern von neuen Süßwaren zurückkam. Schon schlimm genug, unsere „Zone“ für eine Art Hungersahara zu halten – Mitte der 1960er Jahre! – uns als Familie ging es doch noch besser als dem Durchschnitt …. Wie ein armer Bettler behandelt zu werden, ärgerte mich schon als Kind. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie mich später die Erklärung der schwesterlichen Zuwendungen erschütterte. Nein. Meine Mutter hat ihre Schwester immer verteidigt. Ihr war das peinlich. Aber anlügen wollte sie uns Kinder auch nicht. Das, was als gewichtiges Paket aus dem „goldenen Westen“ für die armen Verwandten in der „Zone“ steuerlich abgesetzt wurde, war in Wirklichkeit nichts als der Verbrauch der Vertriebenen-Entschädigung. Du weißt ja, dass deine Urgroßeltern ein kleines Einfamilienhaus bei Breslau besessen hatten. Dafür hatte es also bei euch Geld gegeben, anteilig auch für meine Mutter. Von dem waren die Pakete bezahlt worden. Mit einer fein-säuberlichen Buchhaltung, bis eben alles verbraucht war. Was sollte ich mit einer solchen Verwandtschaft? Klar. Du kannst nichts dafür, wo du geboren wurdest – genau wie ich. Aber irgendwie bedauere ich dich: Du hast nichts als die Jagd nach dem Geld erlebt, findest sie normal, kannst dir nicht vorstellen, dass man ganz anders zusammenleben kann. Denk ich mir so. Andererseits hoffe ich, du kannst nachempfinden, wie das alles auf mich wirkte: Ich war damals ein Jugendlicher. Wahrscheinlich bildeten sich bei mir Vorurteile gegen „die im Westen“ heraus, wie du sie wohl gegenüber meinesgleichen haben magst. „Ihr“ wart für mich einfach zu raffgierig und egoistisch, um Kontaktinteresse zu wecken. Aber es ist doch gerade wichtig, dass wir aufeinander zugehen. Lass es uns versuchen, Thor. Du hast ja den ersten Schritt getan – mit deinem Brief. Jetzt bin ich dran …

Was weißt du von mir? Wie kommst du eigentlich darauf, ich könnte dir erklären, was es mit Kommunismus auf sich hat? Ich konnte deinen Brief nicht deuten: Wolltest du mich bedauern, dass ich ein „kommunistisches Regime“ zu erdulden gehabt hatte? Oder interessiert dich wirklich, was es mit dieser gesellschaftlichen Ordnung auf sich hat? Ach, ich unterstelle einfach, dass du mich ehrlich verstehen willst … und das, was ich gelernt habe … Dass du einfach wissen willst, wie nicht irgendwer, sondern dein fremder Verwandter dem Kommunismus anhängen kann.

Vielleicht bist du zu mir gekommen, weil ein Anderer dich angestubst hat. Aber dir ist klar, dass du von mir keine Definitionen bekommst, die du auch bei Wikipedia oder von deinem Lehrbuch bekommen könntest?! Und von Leuten, die sich selbst für Kommunisten halten, wahrscheinlich auch nicht?! Und dass ich wahrscheinlich dein ganzes dir beigebrachte Weltbild auseinandernehmen und ganz anders zusammensetzen muss, ahnst du auch? Na, sagen wir: Ich möchte es …

Ich werde mir Mühe geben. Wenn du nachher immer noch sagst, so geht es nicht oder so würdest du das nie wollen, dann kann ich auch nichts machen. Mein Wissen und meine Fantasie, wie das Zusammenwirken der Menschen anders funktionieren könnte und warum, habe ich dann erst einmal verbraucht. Jeder Mensch hat mindestens eine Bestimmung. Wenn ich dich in eine mögliche Welt „danach“ führen könnte, hätte ich meine „Bestimmung“ gefunden. Für dich muss ja auch noch etwas zu tun übrig bleiben.

Gibt es eigentlich ein schlimmeres Wort als Kommunismus in unserer Zeit? Gut … andere schlimme gibt es schon. In Deutschland ist es aber schon wieder relativ leicht, faschistisches Gedankengut unter die Leute zu bringen – wenn man nicht gerade laut den „Holocaust“ leugnet und sich selbst als „Faschist“ bezeichnet, schadet das nicht der Karriere. Im Gegenteil: Sozialrassismus zu predigen bringt sogar Millionenpublikum … nur so als Beispiel. Vielen Menschen ist da gar nicht bewusst, was für ein Denken sie da nachplappern. Die freuen sich eben, wenn ihnen jemand sagt, dass sie die Auserlesenen sind.

Umgekehrt ist es mit kommunistischen Gedanken. Da herrscht erst einmal absichtsvolle Ahnungslosigkeit, worum es denn überhaupt geht. Wie oft hab ich zu hören bekommen, das hatten wir schon, nicht nochmal! Man kann doch aber nicht das Handeln einzelner Menschen, die sich Kommunisten nannten, mit dem Ergebnis verwechseln, das sie hätten erreichen sollen … aber eben nicht erreicht haben, ja, zu ihrer Zeit auch gar nicht hätten erreichen können. Da wird „dicht gemacht“, weil „das“ eben nicht geht, weil „die Menschen“ einfach nicht so sind.

Übrigens passierte mir das in der Diskussion mit Menschen, die von sich selbst behaupteten, sie würden ja … aber die anderen, „die Menschen“ eben, sind nicht für „den Kommunismus“ gemacht. Als ob sie selbst nicht auch Menschen sind. Fragt sich also, was sie unter „dem Kommunismus“ verstehen. Mag das Wort auch abgegriffen sein, die Sache, die dahintersteckt, ist derart modern, fast schon noch utopisch, da muss man sich eigentlich unbedingt länger mit befassen. So vom Urschleim an.

Ich bin Individualist. Hielte ich „Kommunismus“ für eine verordnete Gleichmacherei im Sinne einer Kollektivierung, wäre er keine für mich wünschenswerte Zukunftsvorstellung. Für Massenparaden vorbei an einem Großen Vorsitzenden bin ich nicht gemacht. Ich habe meine eigene Sicht darauf, was „vernünftig“ ist. Die muss man nicht teilen. Aber schon als penetrant aufdringlicher Schüler konnte ich es mir nicht verkneifen, dazwischenzurufen und den Finger vor lauter vorlauten Fragen oben zu behalten. Und heute bin ich eingebildet genug, mir das weiter zu gönnen … und wieder anzuecken. Vielleicht hilft es der Fantasie Anderer auf die Sprünge … Sagen wir dir oder einem … oder zwei Anderen … oder … Na, wenn du nicht zufrieden bist mit meinen Schlüssen, dann versuch doch wenigstens, mich zu verstehen. Und murre nicht über da, was ich erlebt habe. Ich habe es eben genau so erlebt, auch wenn es zu den Erfahrungen Anderer nicht passt.

Lehn dich doch zurück und lass die Füße baumeln und die Fantasie reisen. Fragen wir uns gemeinsam, ob, wie und warum ein System funktionieren könnte, das das, was wir für normal halten, alles über Bord geworfen hätte. Legen wir einen Moment jedes Argument „So geht das aber nicht, weil dann …“ zur Seite. Legen wir den „Genossen“, den wir kennen, auch weg. Bei dem wir vielleicht Angst haben müssten, dass er an die Macht käme …

Fragen wir lieber, wo wir hin wollen. Und geben wir uns nicht mit einfachen Antworten zufrieden. So in der Art von „in die klassenlose Gesellschaft“.

Ist uns nicht beiden klar, dass es so, wie es zur Zeit läuft, nicht ewig weitergehen kann? Finden sich da nicht genügend Schreckensbilder, die in absehbarer Zeit nur noch schlimmer werden? Wollen wir eine Lotterie veranstalten, ein russisches Roulett, an welcher Katastrophe unsere Kinder oder die Kinder dieser Kinder zugrunde gehen werden? Lieber an Verstrahlung, Überschwemmung, Verbrechen, Genschäden, Hunger, Armut … ? Wollen wir uns unsere Urenkel als neue Contergan-Opfer vorstellen?

Wenn nein, sollten wir anfangen mit Alternativen. Wenigstens vorstellen, wie etwas funktionieren könnte. Dass so eine Sache nicht von heute auf morgen gemacht ist, ist sogar mir klar. Aber anfangen sollten wir schon wollen.

Noch eine Vorbemerkung. Du musst wissen,, ich bin kein technisches Genie. Ich lasse mir auch nicht laufend neue Bezeichnungen einfallen für Sachen, die unsere gewohnten Dinge einmal ablösen werden. Die müsste ich dann alle erklären. Lieber mache ich es mir einfach und bediene mich der Namen, die im Moment gängig sind. Ich kann dich da nur um etwas Fantasie bitten und dass du nicht gleich abbrichst, wenn zum Beispiel von „facebook“ die Rede ist. Es ist klar, dass das „facebook“, wie wir es kennen, nichts mit dem Kommunismus zu tun hat. Aber bereits in dem heute Bekannten vorhandenen liegen viele positive technische Potenzen. Was man also daraus machen kann. Also nix mit Werbung, Spionage und (zum Beispiel) militärischem Missbrauch, sondern wir haben heute schon ein Medium, in das jeder ein- und aussteigen kann, um mit einer Unzahl verschiedener „gleich Gesinnter“ oder gleich Interessierter verschiedenste Formen lockerer und engerer Kommunikation weltweit zu pflegen. Und nun stell dir einfach vor, die da drin herumsurfen haben mehr und anspruchsvollere Interessen, haben auch einfach mehr gelernt zuvor.

Ähnliches träfe für den Begriff „Internet“ zu. Es ist nicht das Wort, um das es geht. Es ist das System fast unerschöpflicher Ressourcen im Raum, Daten aller Art zu speichern und zu übertragen. Hier ist das „world wide web“ mit allem, was zu seinem praktischen (technischen) Funktionieren dazugehört, gemeint. Sicher wird es eines Tages auch einen anderen Begriff für das „Herunterladen“ geben … und sei es, weil neue Möglichkeiten dazugekommen sind. Bleiben wird aber die vielfache „Vernetzung“ und dass alle Nutzer über einen „Lager-Raum“ verfügen, aus dem sie geistige Güter „holen“ können, und die sind nachher immer noch drin …

Auch bei „Autos“ stoße ich auf ein solches Problem, bei Straßen und vielem anderen. Immer ist es eine Fantasiefrage, sich zum Beispiel ein futuristisches Fahrzeug vorzustellen, das eine relativ individuelle Beförderung ermöglicht. Den heutigen Begriff benutze ich auch, weil der angedeutete technische Vorgang bereits mit den heutigen Formen und Möglichkeiten im Wesentlichen umsetzbar wäre. Selbst bei Luftfahrzeugen für jedermann gäbe es (virtuelle) „Straßen“. Es ist also durchaus nicht abwegig, auch für Zukünftiges vertraute Begriffe zu wählen. Es geht bei unserem Blick in die Zukunft ja nicht um „Science Fiktion“ …

Weißt du was? Ich glaube, ich fange erst einmal damit an, wie ich selbst trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand – manches versteht du dadurch bestimmt leichter. Außerdem sind meine Erlebnisse ja nicht unschuldig daran, wie ich heute denke. Du musst dir deine Meinung sowieso aus deinem Leben heraus bilden …

Oder?

Nein, vielleicht ist doch zuerst ein wenig Geschichtstheorie besser:

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

Paradies

Einst wurden die ersten Menschen

verjagt.

Wild wuchern nun

unbeschnittene Triebe

unbeherrschten Grüns

in den Himmel.

Nirgendwo

eine Eva, die

Kontakt suchenden Schlangen

Gesellschaft gewährte.

Ein knorriger Baum

erinnert sich

vergangener Äpfel.

Wo 

kein Herr

den Frieden diktiert

und jeder Apfel

Erkenntnis bringt,

stirbt kein Traum

unter Verwilderndem,

wären wir wieder

zurück.

Die Geschichte verläuft insgesamt nach „Gesetzen“. Also, dass es gekommen ist, wie es dann wirklich kam, lässt sich sachlich begründen. Das ändert nichts daran, dass die Geschichte Punkte hatte, an denen es anders hätte kommen können, der ganze Rest in andere, auch vernünftig zu begründete Bahnen eingeschwenkt wäre, von denen einige uns wesentlich besser getan hätten.

Für mich war dabei das zwanzigste das Jahrhundert mit den fürchterlichsten Menschheitskatastrophen. Das siehst du vielleicht genauso. Aber wenn ich sage, welche ich für die schlimmste halte, da werde ich bestimmt wenig Zustimmung finden. Und das, obwohl die Nachwirkungen uns immer noch berühren und vielleicht irgendwann irgendwelche Aliens sagen werden, damit begann das Ende der Menschheit. Nach meinem Verständnis ist diese größte Katastrophe der jüngeren Menschheitsgeschichte die Niederlage der Novemberrevolution in Deutschland. Hoffentlich liegt das nur daran, dass ich eben Deutscher und damit gewohnt bin, in meiner Heimat den Mittelpunkt des Universums zu sehen.

Der „Sieg“ der russischen Oktoberrevolution, genauer: die Art, in der er nur möglich geworden und in der bereits der Keim für sein Ende enthalten war, litt nämlich am deutschen Scheitern.

Reisen wir gedanklich gut 100 Jahre in der Zeit rückwärts. Selbst bürgerliche Historiker geben mitunter zu, dass damals „Kapitalismus“ herrschte, ja „Imperialismus“. Nun brauchen wir uns nicht darüber auszulassen, dass der Erste Weltkrieg kein unerwarteter Schicksalsschlag war, in den die unschuldigen Nationen Europas und der Welt „hineingerissen“ wurden, weil ein „Irrer“ einen Thronfolger ermordet hatte. Wir wissen um das aggressive Wesen des Imperialismus, seine gesetzmäßig ungleichmäßige Entwicklung und die dabei Deutschland als Zu-spät-Kommer zugefallene Rolle, eine vollzogene Aufteilung der Welt ändern zu wollen. Aber eigentlich brachte jeder imperialistische Staat konkrete wirtschaftliche Hoffnungen in seine Kriegspolitik ein. Der Krieg war eine zwangsweise Folge der Vollendung des „Imperialismus“: Nach Jahrzehnten des Wettlaufs, relativ wehrlose Völkerschaften unter die eigene koloniale Herrschaft zu bekommen, war nun alles so weit aufgeteilt, dass nur noch eine Umverteilung möglich war. Dass der Weltkrieg begann, war also notwendige Folge dieser Entwicklung. Die Katastrophe lag erst in seinem Verlauf und einem Ende, in dem die Ausgangspositionen für den nächsten Weltkrieg bereits „eingebaut“ waren.

Dieses Kriegsende, wie es ausgesehen hat und was hätte kommen sollen oder müssen, ist das Problem.

Entschuldige bitte: Ich mache mitunter den Fehler. Ich unterstelle, dass du das auch weißt. Ich weiß doch aber gar nicht, was du weißt. Dabei hast du wahrscheinlich wenig vom „Marxismus/Leninismus“ gehört, außer vielleicht, dass es eine gefährliche Theorie und Weltanschauung ist. Pech für dich, dass es meine ist, so im Wesentlichen. Und zum Verständnis, wie wir in die Zukunft blicken können, brauchen wir eine solche Gesellschaftswissenschaft. Wir brauchen sowohl etwas Philosophie als auch politische Ökonomie als auch das, was seine Verteidiger „wissenschaftlichen Kommunismus“ nennen. Etwas kleiner: den „dialektischen und historischen Materialismus“. Dessen philosophischen Kern würde ich am kürzesten so beschreiben:

Alles, was existiert, ist materiell und insoweit erkennbar (nur evtl. noch nicht erkannt) und dementsprechend veränderbar. Unser Bewusstsein spiegelt das Materielle wider, verändert es aber auch dabei.

Dialektik ist eine Weltsicht in Zusammenhängen. Alles ist Gewordenes (und Vergehendes) und steht in Wechselwirkung mit der „restlichen“ materiellen Welt. Das Materielle in der menschlichen Gesellschaft sind seine wirtschaftlichen Beziehungen, die aus dem Entwicklungsstand der „Produktivkräfte“ erwachsen: Die Menschen treten in „Verkehrsverhältnisse“ zueinander – und zwar so, wie die technischen Möglichkeiten einer Produktion entwickelt sind. Wenn wir also wissen wie viel und wie produziert wird in einer Zeit, wissen wir schon fast alles. Zumindest machen wir Fehler, wenn wir es nicht mit sehen.

Diese Verhältnisse also bilden einen Rahmen, der langfristig die menschliche Entwicklung bestimmt und der gesprengt werden muss, wenn er dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte nicht mehr entspricht. Schließlich sind die einmal entstandenen Verhältnisse auch noch da, wenn die technischen Bedingungen der Produktion längst weiter entwickelt sind.

Das hat selbst für gebildete „Marxisten“ gemeine Fallstricke. Die Gesetze der menschlichen Gesellschaft wirken zwar in gewisser Weise wie Naturgesetze. Allerdings kann – so wie bei den Fallgesetzen Newtons die Erde (und der Gravitations-Gegenkörper) vorhanden sein muss – ein „gesellschaftliches Gesetz“ nur durch das Handeln von Menschen in der Gesellschaft existieren und funktionieren. Das aber ist wiederum nicht ohne ein bestimmtes Bewusstsein zu haben. Und das sind Beziehungen, die nicht der Schulmathematik entsprechen, weil das Handeln von Gruppen die Gesamtheit des Handelns der dazu gehörenden Menschen ist und jedes einzelne Bewusstsein durch mehr Faktoren beeinflusst wird, als für den konkreten Einzel-Fall relevant wären.

Sprich: Der Marxismus erfasst richtig den „Klassenkampf“ als Triebkraft der menschlichen Entwicklung. Aber obwohl es Interessen gibt, die große Menschengruppen aufgrund ihrer Stellung in der materiellen Produktion objektiv gemeinsam haben, die sie also zu „Klassen“ machen, heißt dies noch lange nicht, dass sie sich dessen bewusst sind und entsprechend handeln wollen – und dann handeln sie auch nicht. So wie die Existenz von Gravitation dort belanglos ist, wo es nur einen Körper gibt. Was aber hat das mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu tun?

Die Antwort fällt leichter, wenn man berücksichtigt, dass Marx aus der prinzipiellen Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft – die er für die Vergangenheit aufzeigen konnte – die Notwendigkeit und Möglichkeit der weiteren Entwicklung, einschließlich der diese Entwicklung tragenden Kraft ableitete. Die „Arbeiterklasse“, so meinte er, sei die erste Klasse, die dank ihrer Rolle in der Produktion – nämlich doppelt „frei“ zu sein (von vorgeschriebenen Abhängigkeiten und von Eigentum) – die Klassenherrschaftsverhältnisse als Ganzes beseitigen könne. Diese Arbeiterklasse entwickelte sich in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts stürmisch … Mit dem Ersten Weltkrieg reiften zumindest europaweit „revolutionäre Situationen“: Mehr oder weniger sah es danach aus, dass die Herrschenden nicht mehr auf die bisherige Weise würden herrschen und die Beherrschten nicht mehr so weiter leben können wie bisher. Eine solche Situation ist sozusagen Verpflichtung für die fortschrittlichen Kräfte aller Länder das für sie Mögliche zu tun, um eben den notwendigen Fortschritt im Zusammenleben zu entbinden.

Unter diesen Bedingungen schrieb Lenin sein gern verkanntes Buch „Staat und Revolution“, in dem er das Ziel einer sich sozialistisch auflösenden Klassengesellschaft so „wissenschaftlich“ beschrieb, wie es zu jener Zeit möglich war. Ein Buch, was du auch verstehen kannst – und wenn dir zu viele Namen begegnen, dann denk die einfach weg. Gern wird in Lenins Ausführungen hineingedeutet, die er nur wenige Monate später machte (hauptsächlich in die „Aprilthesen“), dass er grundsätzliche Positionen wieder korrigierte. Das sehe ich aber anders.

Zum dialektischen Denken gehört nämlich auch, sich über die Ebene klarzuwerden, auf der man sich gerade bewegt. Und „Staat und Revolution“ beschrieb eine Welt (!!!) des „Sozialismus“, auf die hinzusteuern 1916 theoretisch notwendig war und praktisch möglich schien – während 1917 die Kräfte miteinander rangen, die einen solchen Weg gerade einleiteten. Nun stellte sich die Frage auf einer Ebene, auf der man zwar Sozialismus haben wollte, aber mindestens in wesentlichen Teilen der Welt noch nicht hatte und wahrscheinlich nicht haben würde.

Jeder traditionsbewusste Bayer weiß, dass zum Fensterln eine Leiter gehört, die er hochsteigen muss, um zu seiner Liebsten zu kommen. Nur ist der Sinn der Sache natürlich nicht die Nutzung der Sprossen, sondern die Liebesbegegnung, zu der man über sie kommt. Trotzdem sollte man sich mit der Frage beschäftigen, was man macht, wenn jemand die Sprossen angesägt hat …

„Staat und Revolution“ beschrieb sozusagen das erfolgreiche Fensterln – was Lenin danach untersuchte (z. B. in den „Aprilthesen“) war eher der Umgang mit der angesägten Leiter.

Noch bestand aber Grund zur Hoffnung: Die Bolschewiki standen an ihrem Platz, erfüllten ihre Pflicht, andere Parteien standen an anderen, um dort die ihre zu erfüllen. Eine besondere Rolle kam dabei Deutschland zu. Hier waren die weltgrößten Potenzen der inneren Wirtschaftskraft konzentriert. Die Weltmacht Nummer eins, England, war durch die Ausbeutung ihrer Kolonialwelt eher ein „Rentnerstaat“, in dem den Bewohnern mehr Almosen zur Beruhigung zugeworfen werden konnten.

Sowohl der relative Sieg der russischen Oktoberrevolution als auch die Niederlage aller den bürgerlichen Horizont übersteigenden Kräfte in der deutschen Novemberrevolution hatten konkrete Gründe, beide Ergebnisse waren für sich genommen aber nicht so zwingend notwendig, wie beispielsweise der „Ausbruch“ des Weltkriegs. Bei dem war nur der Anlass, also das Datum des Beginns Zufall. Dass – um nur ein Beispiel zu nennen – die Kommunistische Partei Deutschlands nicht schon am 30.12.1917 gegründet wurde, war kein Sachverhalt, den Lenin im April 1917 hätte berücksichtigen können.

Also spielen wir einmal das unwissenschaftliche Was-wäre-gewesen-wenn-Spiel und stellen Überlegungen an, was sich wahrscheinlich beim Sieg einer sozialistischen deutschen Novemberevolution für die Welt alles verändert hätte.

Also, ich glaube ganz sicher, dass der Interventions- und Bürgerkrieg gegen das junge Sowjetrussland anders verlaufen, er zum Beispiel mit weniger weißem Terror und damit weniger rotem Gegenterror zu Ende gegangen wäre.

Sicher hätte auch der „Versailler Vertrag“ und seine Umsetzung anders ausgesehen.

Sicher ist drittens, dass eine richtige Volksmacht zum Aufbau des Sozialismus die Entwicklung des Faschismus in Deutschland verhindert hätte.

Für fast sicher halte ich auch, dass es den Weltkrieg Nummer 2 nicht in der uns bekannten Art gegeben hätte (mit der deutschen Kriegsschuld).

Dazu kämen die wahrscheinlich positiveren Entwicklungen in anderen europäischen Ländern. Ich denke da unter anderem an das Schicksal der ungarischen Räterepublik oder die italienische Entwicklung zum ersten „Faschismus an der Macht“. Da ließe sich viel spekulieren.

Entscheidend ist die Wirklichkeit: In der realen Geschichte hatte 1922 nur ein Anlauf zum Sozialismus überlebt – auf einem Stück Welt, wo die „Produktivkräfte“ nur minimale Ansätze für eine überlebensfähige sozialistische Gesellschaft boten und das auch dank der Weite des Landes. Eine Welt von Hinterweltbauern, die teilweise auf einem Entwicklungsniveau verharrten, das die deutschen bereits zur Reformationszeit überwunden hatten. Dem standen ein paar dünn gesäte Leuchttürme des Fortschritts gegenüber. Weltweit isoliert, gezwungen, aus eigener Kraft in einen Rundum-Fortschritt zu rasen. Krieg und Nachkrieg … und kurzfristig musste ein autarkes System aufgebaut werden. Alles selber machen von der Gewinnung der Rohstoffe an über die Produktion in den Grundindustrien bis hin zur Endfertigung / der Bedürfnisbefriedigung … mit einem Minimum an Fachkräften – auf der anderen Seite erwartete man von dem einzigen „Sieger“ in den Reihen der sozialistischen Bewegung Führung in jeder Ebene.

Nun stelle man sich vor, an der Seite des Rohstofflands Russland hätte wenigstens die – wenn auch vom Krieg zurückgeworfene – Industriemacht Deutschland gestanden. Für den Mathematiker wäre das ein Entwicklungsvergleich wie wenn man 4 x 4 x 4 x 4 an die Stelle von 2 x 2 x 2 x 2 setzt. Anfangs „nur“ jeweils doppelt gute Ausgangsposition, aber bald stünde es 256 : 16! Allein was die gegenseitige wirtschaftliche Befruchtung beträfe …

Dazu wäre noch etwas Anderes gekommen: Eine objektiv bessere Ausgangslage für innere Demokratie. Wie war denn die Wirklichkeit? Ein alleiniger Riese konnte gleichberechtigte Mitsprache höchstens simulieren. Es war doch irgendwie selbstverständlich, dass eine Macht, die fast 30 Jahre sich hatte irgendwie einrichten müssen allein klarzukommen, nach dem nächsten Krieg Schwierigkeiten mit der „Gleichberechtigung“ von Partnern haben musste, die ohne sie allesamt nicht lebensfähig gewesen wären (von der Führungsrolle der einzigen Siegerpartei ganz abgesehen).

Wie anders hätte das objektiv sein können, wenn von Anfang an ein Netz von Abhängigkeiten zum gemeinsamen Vorteil bestanden hätte.

Ich darf sogar auf anderer Ebene spekulieren: Ohne den deutschen Faschismus wäre die Atombombe zumindest nicht so früh einsatzreif gewesen. Ohne die amerikanische (hier wage ich den Ausdruck „amerikanisch-deutsche“) Atombombe wären die Anstrengungen der Sowjetunion zum Gleichziehen (noch) nicht nötig gewesen – unmittelbar nach der Weltkriegsverwüstung des eigenen Potentials, also zu einer Zeit, wo dieses Land wahrlich Wichtigeres hätte tun wollen und müssen.

Aber es war ja nicht der Weltkrieg allein und die Angst danach, gleich wieder in den nächsten mit einem übermächtigen Gegner zu geraten. Es war eben die Hektik, mit der superschnell eine sowjetische Tonnenschwerindustrie aus dem eigenen Lebensstandard herausgeschnitten worden war – wenn man die folgenden Panzerbaukapazitäten berücksichtigt, zu Recht. Das hatte sowohl wirtschaftliche Folgen als auch „ideologische“: Wann hört eine einmal bewährte Tonnenideologie (Was das ist, kannst du in Wikipedia nachlesen!) auf, sinnvoll zu sein? Wann ist der Punkt gekommen, wo an die Stelle des Kommandierens, der Kommissare, die das letzte Wort haben, Wirtschafts- und Gesellschaftsdemokratie treten kann … und muss? Wenn es doch so oft nur mit Gewalt gegangen war, hatte gehen müssen? Mensch ist Mensch – auch wenn er „Kommunismus“ leicht über die Lippen bringt. Und eine „bewährte Methode“ gibt man nicht so leicht auf.

Auf der anderen Seite steht die menschliche Anpassung: Wenn eben immer der Kommissar das Richtige gesagt hatte – allein deshalb, weil er der Kommissar war – dann betäubte das die Selbstüberwindung zum Mitdenken. Dies vor allem unter Bedingungen, wo Väterchen Zar so glatt von einem Generalissimus abgelöst worden war.

Diese Menschen „frei“ ihre Geschicke in eigene Hände nehmen zu lassen, ist dasselbe, wie Menschen, die Monate lang in einer finsteren Höhle gehaust haben, ins Licht hinauszuscheuchen. Sie werden anfangs geblendet, hilflos … in die nächste dunkle Ecke torkeln.

Nein, ich behaupte nicht, dass dies allein die Geschichte des „Realsozialismus“ erklärt. Sobald man das aber weglässt, entsteht ein verzerrtes Bild. Jeder einzelne Fehler im „Realsozialismus“ hätte als Einzelfall wahrscheinlich vermieden werden können – sie alle lassen sich aber als Masse von Fehlern auf die ungünstige Ausgangslage zurückführen.

Leider verließen sich viele Vertreter des realen Sozialismus auf Floskeln der „Klassiker“ der „marxistischen“ Weltanschauung, die sie einfach nachplapperten. Dabei hatten die an manchen Stellen unscheinbare, aber wesentliche Löcher im geistigen System hinterlassen. Auch Marx, Engels und Lenin waren schließlich Menschen ihrer Zeit. Eines davon war der Gedanke, dass es nur einen umfangreichen Übergangszeitraum vom Kapitalismus, also der letzten auf Ausbeutung aufgebauten Klassengesellschaft, zum Kommunismus als klassenloser Gesellschaft geben muss. Diesen einen Übergangszeitraum, den man großzügig einer gemeinsamen „kommunistischen Gesellschaftsformation“ zurechnete (worüber man in 50000 Jahren die Achseln zucken wird), nannten sie Sozialismus.

Marx ging dabei logisch vom im Wesentlichen weltweit „gleichzeitig“ erfolgenden Übergang der durch die Arbeiterklasse geführten Menschheit von der alten in die neue Ordnung aus. Damit hatte er keine Veranlassung, über den Charakter einer „Weltgesellschaft“ nachzudenken, die diesem „Sozialismus“ nur teilweise nähergekommen war. Über die Übergangszeit zur Übergangszeit sozusagen. Und als Lenin merkte, dass der Sprung nicht wunschgerecht landen würde, hielt er vorsichtshalber den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ für möglich. Ansonsten hätte er den Menschheitstraum grundsätzlicher „Gerechtigkeit“ in unbestimmbare Ferne verschieben müssen. Nein, das konnte er nicht verantworten – er probierte das Mögliche … Eines aber war nicht möglich: der Sozialismus. Für ihn konnten nur einige Grundlagen geschaffen werden.

Verstehst du: Alles, was wir bisher an über den Horizont des Kapitalismus Hinausweisendes praktisch erlebt haben, war im originär marxistischen Sinne noch kein „Sozialismus“; „Kommunismus“ schon gar nicht. Wenn wir schon Begriffe brauchten, dann war dies am ehesten eine „abgebremste Revolution“. Es waren „Übergangsgesellschaften“.

Wir dürfen uns dabei „Revolution“ nicht im engsten politischen Sinn als eine „Machtergreifung“ vorstellen. Im philosophischen Sinne beschreibt der Ausdruck „Revolution“ nur den relativ schnellen Übergang von einer „Qualität“ zu einer tatsächlich grundsätzlich neuen.

„Schnell“ nicht aus der Perspektive eines Menschenlebens. Bei der Frage der „kommunistischen Gesellschaftsformation“ geht es darum, eine menschliche Kultur zu erschaffen, die über 10000 Jahre „Klassengesellschaft“ mit ALLEN ihren Elementen ins Grab der Geschichte versenkt. Was die Menschheit in ihrer gesamten Entwicklung aus dem Tierreich hervorgebracht hat, wird neu organisiert. Die Menschheit gestaltet ihre Welt als Ganzes erstmals bewusst und vorsätzlich geplant. Erstmals kann sie das. Schon allein deshalb ist „die Revolution“ nicht mit dem Schuss eines Panzerkreuzers vollbracht. Damit beginnt erst der lang andauernde Prozess, bei dem Jahrzehnte eben „kurze“ Zeiträume sind. In diesem Sinn kann sogar der gesamte „Sozialismus“ noch als „evolutionäre Revolution“ verstanden werden. Also es muss sich das grundsätzlich Neue erst entwickeln. In ihm sind BESTIMMTE GRUNDLAGEN notwendigerweise real vorhanden, während andere sich darauf aufbauend allmählich ausprägen. Das schließt nicht aus, dass entgegen Marx, Engels und Lenin selbst der Übergang vom Sozialismus zum entwickelten Kommunismus von der Form her „revolutionär“ vollzogen werden wird. Das wäre unter anderem abhängig von der Stärke der institutionalisierten Bürokratie. Vom philosophischen Wesen her ist auch er auf jeden Fall eine Revolution. Wie die Übergänge von der Sklavenhalterordnung zum Feudalismus und von dem zum Kapitalismus, die ja alles Ausbeuterordnungen blieben.

… Entschuldige, ich vergaß, dass du auch mit diesen Begriffen nichts anfangen kannst. Also Ausbeutung bedeutet, dass dem Arbeitenden nur der Teil seiner Arbeitsergebnisse überlassen bleibt, den er samt den Seinen zum Überleben braucht, während sich das darüber hinausgehende Mehrprodukt der Besitzer der Produktionsmittel aneignet. Untergeordnet ist dabei, wie er dies tut und was alles als zum Leben der Nichtbesitzer notwendig anerkannt wird. Der „Ausgebeutete“ muss nicht notwendig arm sein. Er muss nur Mehrprodukt erzeugen. Als Sklave gehörte er nicht einmal sich selbst und wurde verschlissen wie eine Maschine. Im Feudalismus, du sagst Mittelalter dazu, lebte eine Klasse von den Abgaben und der anteilig unbezahlten Pflichtarbeit der Arbeitenden. Im Kapitalismus kann und muss der Arbeitende zeitlich beschränkt seine Arbeitskraft verkaufen. Durch den hohen Anteil der schon in Maschinen vergegenständlichten Arbeit am Gesamtwert braucht er nur noch eine minimale Arbeitszeit, um damit den Seinen eine gute Reproduktion zu sichern. Der größere „Rest, das Mehrprodukt, bleibt privat.

Darf ich eine naturwissenschaftliche Vereinfachung einschieben, um die philosophischen Beziehungen von Qualität und Quantität, Revolution und Evolution zu veranschaulichen? Ich tu es einfach:

Der Übergang von flüssigem Wasser zu Wasserdampf ist zum Beispiel eine Revolution. Als uns das in Studentenzeiten nahegebracht werden sollte, begann der Vortrag mit einer Unterstellung: Wasser von „Zimmertemperatur“ wird zum Kochen gebracht. So dargestellt ist der Vorgang bereits ein bewusst beabsichtigter. Diese Gerichtetheit war erforderlich, um folgende Frage aufzuwerfen: Welche aufgewandte Energie ist wichtiger: die, die gebraucht wird, um das Wasser von 20 auf 30, von 30 auf 40 … von 80 auf 90 Grad zu erhitzen oder die, die den Übergang der Wasserteilchen von ihrer flüssigen in die gasförmige Form ermöglichen? Nur dieser letzte Vorgang erscheint als „Revolution“ – das andere ist Evolution. Damit es aber zu einer solchen Revolution kommen kann, sind die entsprechenden Evolutionen, also die allmählichen Aufladungen der Wasserteilchen mit kinetischer Energie, unumgänglich. Es gibt kein Teilchen, das direkt von 20 Grad auf Dampf umschlägt.

Merkst du was?

Das Modell enthält Haken, die auf unsere gesellschaftlichen Revolutionen übertragbar sind.

Von einer gegebenen Menge Wasser gehen „in der Natur“ nämlich nie alle Teilchen gleichzeitig vom flüssigen in den gasförmigen Zustand über. Man kann also „viele Revolutiönchen“, also Vorgänge bei jedem einzelnen Teilchen, unterscheiden von „der Revolution“ als Prozess. Letzterer ist der für uns interessante. Er beginnt mit den ersten gehäuften „Revolutiönchen“ und endet, wenn alles Wasser verdunstet ist.

Hübsch zu beobachten sind Probleme solcher Revolutionen beim Kochen im Topf. Dort kommt nämlich erschwerend dazu, dass die ersten Wasserteilchen, die die Siedetemperatur erreicht haben, unten, also bei der Herdplatte als Energiequelle auftreten.

Die müssen nun zwischen den kühleren Teilchen hindurch zur Oberfläche, sprich: zu ihrer individuellen Revolution. Dabei erwärmen sie die anderen mit, werden aber selbst wieder abgekühlt. Dadurch gibt es unter Umständen also „Konterrevolutiönchen“. Erst mit steigender Gesamtwärme dampfen dann immer mehr wirklich in die Freiheit ab. Es verdampfen im offenen Topf trotzdem schon Wassertropfen, obwohl das Wasser in seiner Gesamtheit noch nicht kocht.

Der Ablauf dieses Revolutionsspiels lässt sich manipulieren. Durch einen Deckel und durch Gewicht auf dem Deckel. Auf diese Weise entsteht ein geschlossenes System. Denn die zugeführte Energie verbleibt im offenen System nicht vollständig in den zu revolutionierenden Wasserteilchen, sondern wird von der kühlen Umgebung abgezogen. Je bewegter diese Umgebung ist, umso mehr. Ohne beständige Neuzufuhr von Energie hat das „Restwasser“ unter Umständen noch einen Moment 99, dann 98, 97 usw. Grad und aus ist´s mit Revolution. Steht dagegen der Inhalt des Topfes unter Druck, kann ein Teil der Teilchen deutlich mehr als die „normale“ Siedetemperatur haben … und bleibt trotzdem flüssig. Dieser Teil holt dann seine Revolution mit dem Entfernen des Deckels in kürzester Zeit geballt nach. Wie lange die beiden Abläufe zu beobachten sind, ist dabei nicht die Frage. Revolution ist der ganze Vorgang, durch den aus einem Topf mit Wasser ein Topf mit „Luft“ geworden ist. So richtig nimmt man das Ganze aber nur dann als „Revolution“ wahr, wenn man den Deckel abnimmt …

Unser menschliches Denken abstrahiert meist davon, dass auch in der Natur alle Prozesse an konkrete Bedingungen gebunden sind. Viele dieser Bedingungen erkennen wir gar nicht als solche, weil sie uns als selbstverständlich gegeben erscheinen. Das sind sie ja meist auch.

Wer denkt schon darüber nach, wenn er ein Lagerfeuer entzündet, dass die dabei sich vollziehende Hauptreaktion an mehrere „Bedingungen“ geknüpft ist. Kohlenstoff reagiert mit Sauerstoff zu Kohlendioxid, wobei die erwünschte Energie frei wird. Bedingungen?! Na, Sauerstoff und Kohlenstoff müssen da sein … und was da brennen soll, sollte trocken sein. Da hört die Durchschnittsbetrachtung aber schon auf.

Kommst du auf die Idee, dass für diesen Vorgang mindestens noch ein „offenes System“ und demzufolge eine gewisse „Kälte“ (und das Fehlen anderer Stoffe mit ähnlichen Wirkungen wie das Wasser)– notwendig ist? Besonders die Kälte wird als „Vorsatz“ unterstellt – wir betreiben ja diese Verbrennung meist, um uns zu wärmen. An das „offene System“ aber denkt kaum jemand.

Normalerweise werden alle Vorgänge so beschrieben, als vollzögen sie sich in einem geschlossenen System. Von allem, was „draußen“ passiert, wird abstrahiert. Es verkompliziert und lenkt ab. Das Lagerfeuer ist dagegen ein offenes System: Die Reaktionsprodukte und die Masse aller Energie entschwinden in den freien Raum.

Komplizierter würde die chemische Reaktion, wenn man sie in einen (Kachel-)Ofen verlegte. Hier wird das relativ offene System nur begrenzt künstlich hergestellt. Nun soll es Leute gegeben haben, denen war das System zu lange offen. Die drehten den Ofen zu. Es entstand ein relativ geschlossenes System. Relativ insoweit, als dass ein Teil der Energie weiterhin nach draußen abgegeben wurde. Das war im Sinn der Sache: Nicht der Ofen, sondern das jeweilige Zimmer sollte ja wärmer werden. Aber im Verbrennungsraum verschob sich das Stoffverhältnis: Es verblieb mehr Kohlendioxid im System. Da es ausreichend heiß war, konnte ein Teil der Energie dadurch chemisch gebunden werden, dass sich das CO2 mit dem Kohlenstoff verband zu Kohlenmonoxid. Ein Teil dessen verließ jenes relativ geschlossene System, drang in das wiederum relativ geschlossene System „Wohnzimmer“ … und schläferte die dort Ruhenden dauerhaft ein.

Es reagiert eben Kohlenstoff nicht bedingungslos (nur) mit Sauerstoff …

Bei JEDER Reaktion, die man bewusst herbeiführen will, muss man eben die wesentlichen Bedingungen schaffen, die zum Ablauf erforderlich sind. Logischerweise muss man sie dazu kennen.

Nun gibt es den Begriff „objektiv“, den ich auch gern gebrauche. Der sagt in diesem Sinne „nur“ aus, dass eine „Reaktion“ immer stattfindet, wenn alle Bedingungen dafür gegeben sind – unabhängig davon, ob „man“ das wollte. Naturgesetzmäßig.

Um auf das Kohlenmonoxid aus dem Ofen zurückzukommen: Selbstverständlich kann man die Reaktion auch vorsätzlich zum Suizid oder Mord benutzen. Es ist aber nicht die Frage, mit welcher Absicht zu einem bestimmten Augenblick der Ofen zugedreht worden war, sondern dass das dann geschah, als die Bedingungen für die CO-Redox-Reaktion besonders günstig waren. Also das gleiche Zudrehen des Ofens kann sich mal so und mal so auswirken.

Zum Nachdenken über die Verwendbarkeit eines solchen Bildes für gesellschaftliche Handlungsweisen sollte noch hervorgehoben werden: Im Umgang mit dem Ofen wurde immer mit mindestens einem Vorsatz gehandelt … und wenn es Sparsamkeit war, weil der Kachelofen weniger lange Wärme abgäbe, wenn alle Kohle darin schnell niedergebrannt wäre.

Für gesellschaftliche Vorgänge, meinetwegen auch nur die psychologische Erklärung für das Handeln eines Menschen, müssen wir vereinfachen. Wir vernachlässigen immer Besonderheiten, die bei einem bestimmten Vorgang nebensächlich sind oder scheinen. Bauen wir ein geistiges System aus solchen Vereinfachungen, läuft es auf ein „Wenn …, dann …“ hinaus. Das ist dann Determinismus. So mag zwar die „Arbeiterklasse“ in ihrem „Wesen“ die Klasse sein, die berufen gewesen wäre, längst den Weltsozialismus errichtet zu haben, aber dann müssen wir eben betrachten, ob wir nicht zu viele Bedingungen vernachlässigt haben, und fragen, welche das sind.

Nein, ich habe nicht vergessen, dass ich eigentlich hatte begründen wollen, warum ich das Scheitern der Novemberrevolution in Deutschland für die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts halte. Um es kurz zu sagen: Eben jenes Scheitern schuf damals bereits die Bedingungen, die danach allen „Realsozialismus“ am Entfalten hinderten – in gewisser Weise bis zu dessen Untergang. Aus dem Geburtsschaden des „Realsozialismus“ erwuchsen eben die meisten folgenden „Verirrungen“ in der Wirklichkeit. Dass dieser „Realsozialismus“ gewesen ist, wie er eben war, macht es nun auch so schwer, einem normalen Menschen zu erklären, wo wir tatsächlich hin gewollt hatten – und warum „wir“ immer noch dorthin wollen (müssen). Wir sind der angestrebten Gesellschaft in den „realsozialistischen“ Staaten wie der DDR ja zumindest näher gekommen, aber um einen Preis, der ins „rechte“ Licht gerückt das ganze notwendige Projekt diskreditierte. Dabei wäre die Erfahrung, die wir mit dem „realen Sozialismus“ gemacht haben, vergleichbar mit einem Kachelofen, aus dem bei erster unsachgemäßer Bedienung Kohlenmonoxid ausgeströmt ist. Darf man daraus ableiten, für ewig Kachelöfen zu verdammen, weil man sich durch sie vergiften kann? Das ja wohl nicht. Dass heute andere Gründe für andere Heizungen sprechen, bekräftigt nur die Erwartung, dass das, was wir ab heute als Sozialismus und Kommunismus gestalten würden, etwas Besseres wird als das, was die Sowjetunion und die DDR damals hätten gestalten können.

Die Perspektive Kommunismus muss von den Massen gewollt werden – egal, ob man sie nun so nennt oder nicht. Es reicht einfach nicht, jene einzelnen Stückchen des „Kapitalismus“ nicht zu wollen, die gerade am meisten weh tun. Es reicht nicht einmal, den Kapitalismus insgesamt nicht zu wollen. Wir müssen auch etwas Anderes, Alternatives bewusst wollen und darauf hinarbeiten. Im Chaos des wirren Handelns der Vereinzelten reproduziert sich der Kapitalismus sonst nämlich immer selbst – und zwar als sozialdarwinistische Auslese der „Stärksten“. Also mit zumindest faschistoider Tendenz. Der „Sozialstaats-Kapitalismus“, den manche wieder haben wollen, war ausschließlich als Wirkung des „Realsozialismus“ untergegangener Prägung möglich. Im „realen Kapitalismus“ können nur Starke ein vorübergehendes „Gleichgewicht“ bilden. Das heißt, es müssen allein schon ausreichend Gegenkräfte organisiert wirken, um den Kapitalismus in seinem Inneren weniger „kapitalistisch“ zu machen.

Es muss dazu wenigstens unterschwellig die Systemfrage im Raum stehen. Solange es um das Erzielen von Maximalprofit geht, wäre selbst ein Erfolg gegen die „Atomlobby“ eben nur der Umstieg in die nächste Gefahr für die Menschheit, mit der sich die dicke Knete machen lässt. So viel besser waren die Machtorgane des Realsozialismus nicht als die der kapitalistischen Staaten – trotzdem gab es in allen „Ostblock“-Ländern keinen relevanten Rauschgifthandel und keine damit zusammenhängende Kriminalität, keinen Menschenhandel, kein Rotlichtgewerbe, Ludentum usw.

Derartige extreme Profitmachereien gibt es trotz ihrer juristischen und ethischen Verfolgung in kapitalistischen Grauzonen weiter, während ihnen auf anderem gesellschaftlichen Boden einfach die Nahrung fehlt. Wenn wir aber den realen Kapitalismus mit geballter Gegenkraft zu jedem Zugeständnis, weniger Kapitalismus zu sein, zwingen müssen und können, warum beseitigen wir ihn nicht ganz und machen etwas Eigenes daraus? Das muss ja nicht den Namen Sozialismus oder Kommunismus tragen, es muss nur so funktionieren, wie Sozialismus und Kommunismus funktionieren sollten.

Thor, deiner Mail entnahm ich ein wüstes Sammelsurium an Gedanken. Du hast so viel Richtiges erkannt. Du läufst mit keiner rosaroten Brille herum, erkennst lauter Symptome, die bei den heutigen Verhältnissen weh tun, nennst richtig die Krankheit beim Namen: „Kapitalismus“. Warum traust du dir nicht auszusteigen? Wenn man weiß, dass der Zug in den Abgrund rasen wird, dann hat man doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder man weiß, dass noch ein Bahnhof kommt, an dem man in Ruhe aussteigen kann, oder man springt während der Fahrt ab, wenn die Notbremse kaputt ist. Und eigentlich sollte man noch so viel Gewissen haben, die anderen zu warnen – wenigstens die, die im selben Abteil sitzen. Siehst du, und deshalb versuche ich, dass du sozusagen den Zug verstehst …

Normalerweise geht unser Verständnis von dem aus, was es kennt beziehungsweise was es gelernt hat – was es also zu kennen meint. Auch, wenn etwas anders ist als das Bekannte, greifen wir zu seiner Erklärung auf Bekanntes zurück – und finden auch etwas. Nun stehen wir aber beim „Kommunismus“ vor etwas völlig Unbekanntem und Neuem. Wir müssten also alle vertrauten Pfade verlassen. Aber Gnade, uns begegnen „Zeichenkombinationen“, die wir mit unserem erlernten Zeichensatz „lesen“ können. Dann tun wir das auf Teufel komm raus und versuchen, die nicht identifizierbaren Zeichen auf schlecht geschriebene bekannte zurückzuführen. Schneller als eigentlich möglich haben wir uns unsere Meinung gebildet, bilden wir uns ein zu wissen. Du, das ist nicht als Vorwurf gemeint. Das geht mir doch auch so. Ich bin aber gewarnt, weil ich das weiß.

Um ein paar Eigenschaften des Kommunismus vorausahnen zu können, hätten wir als einzigen Anhaltspunkt die Zeit vor den Klassengesellschaften. Nur … wir wollen doch nicht auf die Bäume zurück! Wir können höchstens überlegen, welche Denkweisen sich durch die zurückliegenden Jahrtausende Herrschaft zwischen den Menschen verändert haben könnten, welche sich also demnach wieder „zurückbilden“ müssten, wenn die Bedingungen, die sie gefördert haben, weggefallen sein werden. Der Hauptteil aller dieser heute als „natürlich“ und „selbstverständlich“ erscheinenden Denkweisen hat ja materielle Ursachen. Die aber ersetzen wir durch andere, wenn wir den Kommunismus aufbauen,.

Manche Formen sozialer und praktischer Vernetzung von Menschen können wir uns heute noch nicht vorstellen, weil die Beziehungen, die ihnen zugrunde liegen müssen, noch nirgends vorgelegen haben.

Und Analogien zum „Urkommunismus“ produzieren eine unbestimmbare Zahl von Fehlern. Die soziale Hauptfessel der „Ur-Menschen“ fällt ja für den „richtigen“ Kommunismus glücklicherweise weg: der materielle Mangel.

Also … Unser natürliches Denken bietet uns voreilige Schlüsse an, weil wir aus Bekanntem auf für uns absolut Ungewohntes zu schließen versuchen. Wir können uns nur mit „Krücken“ behelfen: Als solche brauchen wir Fantasie und die Logik aus dialektisch-materialistischem Schlussfolgern. Und nun erkläre man einem „Materialisten“, er brauche Fantasie, und dir, du musst materialistisch denken! Dabei heißt „materialistisch denken“ nur, zu berücksichtigen, dass es für jede Denk- und Verhaltensweise materielle Gründe gibt, die sie tendenziell hervorbringen, andere materielle Verhältnisse langfristig mit einer gewissen Sicherheit also andere Denk- und Verhaltensweisen zu den vorherrschenden machen …

Aber erlaube mir zuvor noch ein Kratzen an gewohntem Denken:

Das, womit wir alle Erscheinungen, mit denen wir konfrontiert werden, bewerten, nennen wir selbstbewusst den „gesunden Menschenverstand“. Das klingt so, als wäre er „dem Menschen“ gegeben. Dabei sollten wir lieber an unserem eigenen „gesunden Menschenverstand“ zweifeln.

Wenn ich nun sagte, die Erde ist eine Scheibe, über der sich die Sonne bewegt, was dann?
Dann nennst du das Unsinn? Gut. Einverstanden. Wir wissen doch alle, dass das falsch ist. Aber jeder sagt, ohne groß darüber nachzudenken, „Die Sonne geht auf“ oder „Die Sonne geht unter“. Ist das nicht auch „falsch“? Aber entspricht nicht genau das unseren alltäglichen Beobachtungen?

Stell dir vor, wir hätten all die Zusammenhänge von Physik und Astronomie in der Schule nicht so gelernt, wie wir sie gelernt haben. Was sehen wir?

Die Sonne geht morgens auf, bewegt sich in jahreszeitlich unterschiedlichen Bahnen über den Himmel und geht auf dessen anderen Seite wieder unter.

Nun stellen wir uns vor, wir hätten dies als richtige „Beschreibung“ der Natur auch so in der Schule gelernt, verbunden mit der Erklärung, es sei der unergründliche Wille eines über dem Ganzen wachenden Schöpfers. Hätten wir daran gezweifelt? Wo kluge Leute unsere Beobachtung bestätigten? Wie hätten wir reagiert, käme einer daher, der uns mit (für uns nicht nachvollziehbaren) seiner Meinung nach „wissenschaftlichen“ Argumenten zu überzeugen versuchte, die Erde drehe sich als Kugel mit uns obendrauf um jene Sonne da? Hätten wir ihn nicht mit gutem Recht als Spinner verlacht? Hätten wir nicht sogar gutgeheißen, den Ketzer zu verbrennen, da er uns doch mit seiner Darstellung unseres Schöpfers und damit unseres paradiesischen ewigen Lebens zu berauben versuchte? Können wir heute so ehrlich sein, dass wir das, in eine andere Zeit hineingeboren und mit anderem Grundwissen gefüttert, wahrscheinlich so gesehen hätten? Mit wirklich „gesundem Menschenverstand“?!

Dieser Ketzer, der eine für heutige Verhältnisse „Allerweltsweisheit“ verbreiten wollte, hätte bei uns verdammt schlechte Karten, wären wir Durchschnittsmenschen in der Denkwelt vor 500 Jahren oder früher … Nur weil wir ein neues Weltbild in der Schule gelernt und Bilder aus der Erdumlaufbahn gesehen haben, glauben wir Anderes zu wissen … In unsere uns „natürlich“ erscheinende Denkwelt sind also Lehren Anderer eingeflossen. Rein logisch funktioniert das unabhängig davon, ob diese Lehren wahr sind, solange sie unserer Alltagspraxis nicht widersprechen.

Kannst du dir vorstellen, dich unter anderen Umständen als den heutigen darüber zu amüsieren, dass wenn in Australien ein Stein „nach unten“ auf die Erde fällt, er uns aus unser deutschen Sicht nach „oben“ entgegengeflogen käme? Er fällt uns doch sozusagen ein Stück entgegen! Oder hast du noch niemals beim Betrachten des Globusses gedacht, die „da unten“ müssten runterfallen? Wenn nun unser Lehrer gesagt hätte, ja, natürlich fielen wir „dort“ herunter, deshalb gibt es die andere Seite ja nicht, wären wir auf „Wissen“ angewiesen, dass es die andere Seite doch gibt.

Für unser Verständnis „mit gesundem Menschenverstand“ ist es dabei belanglos, ob in der Schule mit Absicht, also wider besseres eigenes Wissen des Lehrers oder der ganzen Gesellschaft, oder aus allgemeinem Unwissen heraus etwas gelehrt würde, was „objektiv“ den realen Zusammenhang falsch darstellt. Der australische Junge könnte mit demselben Recht verwundert sein, dass wir nicht von der Kugel herunterfallen.

Allerdings ist es nicht immer nötig, die Zusammenhänge so komplex und verwirrend darzustellen, wie sie insgesamt wirklich sind. Wenn dir ein Stein „nach unten“ auf den Fuß gefallen ist, interessiert dich weder, ob dieser Stein aus Sicht eines Australiers nach oben oder aus Sicht der Sonne in Richtung Pluto oder aus Sicht der Galaxis in Richtung ihres Mittelpunkts geflogen ist, selbst wenn all das richtig wäre. Dich interessierte nur, dass du keinen Schuh angehabt hattest, Schmerzen hast, hinkst und blutest.

Du siehst also ein: Auch unser so genannter gesunde Menschenverstand ist davon abhängig, was wir zuvor in den verschiedensten Formen gelernt haben. Es gibt keinen Fall, bei dem nicht wenigstens ein ganz klein wenig theoretisches Wissen einfließt. Wäre dies anders, würde jeder von uns sich heute als Erdscheibenbelatscher empfinden – die Sonne „geht eben auf“ …

Wenn aber in dem, was wir – aus welchem Grunde auch immer – einmal beigebracht bekommen haben, ein Fehler ist, können wir daraus mit Recht ein Gebäude von „Wahrheiten“ errichten, ohne zu ahnen, dass wir die idiotischsten „Meinungen“ von uns geben. Wahr bleibt dabei nur der Zweifel. Weil wir heute wissen, wie sehr wir über die „Meinungen“ eines Durchschnittsmenschen von vor 700 Jahren den Kopf schütteln, können wir daraus ableiten, dass dies einem Menschen aus der Zeit 700 Jahre nach uns mit unseren genauso gehen könnte – nicht in allen, aber durchaus bei vielen heutigen „Selbstverständlichkeiten“. Allerdings wissen wir nicht, welche Einzelheiten einmal solch Kopfschütteln auslösen werden – wie ein Damaliger meine „jedem gesunden Menschenverstand widersprechende“ Weltsicht mit der Bewegung der Sonne um die Erde zurückwiese. Irgendwie glaube ich, wir beide teilen die Angst, es könnte die Menschen in 700 Jahren, die über uns den Kopf schütteln, unseretwegen nicht geben.

Anders gesagt: Wir sind leicht für dumm zu verkaufen und merken es meistens nicht. Allerdings sind wir nicht wehrlos. Es gibt natürlich neben jenen „Wissenschaften“ und Schulen, die uns die uns umgebende Welt als letztlich endgültig vorkauen, auch immer wissenschaftliche Zweifler. Und mit denen zusammen können wir durchaus mit eigenen Augen sehen: Der Stein fällt für uns in einer Rakete nicht nach „oben“ oder „unten“, er bewegt sich in Folge der Gravitation – ohne schwebt er frei im Raum. Etwas zur Entwicklung der dabei erforderlichen kreativen Fantasie wollen wir trainieren. Also pflücken wir Äpfel vom Baum der Erkenntnis …

Also …

Ich hoffe du verstehst, dass alles, was bisher in der realen Welt möglich war, noch sehr weit vom Sozialismus, also erst recht vom Kommunismus entfernt war und entfernt sein musste. Im höchsten philosophischen Sinn wäre der „Kommunismus“ nämlich eine von der Materie angestrebte Entwicklungsrichtung, die wir zwar anzusteuern anfangen müssten, die aber noch unheimlich weit entfernt ist. Sie setzt die bewusste Einsicht in die Entwicklungszusammenhänge der menschlichen Gesellschaft und ein dem entsprechendes Handeln bei den Massen voraus, den „gesunder Menschenverstand“ allein nicht erreichen kann – unser heutiger schon gar nicht.

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (1)

 Sagen wird man über unsre Tage

sagen wird man über unsre tage

den einen wettbewerb

den hatten sie verloren

groß war ihr mund

die kehle ohne frage

jedoch dem mahnen wehrten sie die ohren

sie kauten schwer und lange noch an diesem erbe

doch erst durch ihren neuen anbeginn

so ist nun mal das menschliche gewerbe

bekamen Marx und Einstein endlich sinn

Lieber Thor, habe ich dich sehr auf die Folter gespannt? Ich hatte dir ja eigentlich versprochen, dir meine persönliche Geschichte zu erzählen. Wird Zeit, dass ich endlich damit anfange, was?!

Keine Ahnung, wie ich geworden wäre, wäre meine Familie nicht im Frühjahr vor Abschluss der ersten Klasse in die Stadt gezogen. Zuvor war ich als Außenseiter regelmäßig verprügelt worden. Das wichtigste Gefühl meinen künftigen Mitschülern gegenüber war deshalb anfangs die nackte Angst. Um keinen Preis wollte ich aber wieder so isoliert bleiben wie zuvor.

Die Rolle des Chefs war vergeben, die des Klassenkaspers frei, und wenigstens in den folgenden drei Jahren füllte ich sie fantasievoll aus. Den Unterricht zu stören fiel mir nicht schwer und die dümmsten Kinderwitze verwandelten sich in meinem Mund in lange Geschichten. Die Rolle hatte mehrere „Vorteile“: Man schenkte mir Aufmerksamkeit und beim großen Mitschülermobbing konnte ich zusehen. Das Hauptopfer war über viele Monate ein Mädchen, das durch ihren Geruch und ihre staksigen Bewegungen auffiel und das Hinundherschubsen dadurch vergnüglich machte, dass sie so herrlich verängstigt „Was hab ich euch getan?“ oder „Lasst mich doch in Ruhe!“ jaulte. Die Lehrer konnten nicht eingreifen, weil der Terror erst nach Unterrichtsschluss draußen vor dem Schulgebäude anfing. Der Hofausgang lag neben der Haupttür, sodass „Erdnuss“ nicht ungesehen die Schule verlassen konnte – und immer war wer vor ihr da, um den sich dann die anderen Wartenden sammelten.

Zuerst war es ein Triumph, als das Mädchen aus der Schule genommen wurde und in eine „Hilfsschule“ kam. Dann aber … Im Unterbewusstsein einiger Mitschüler meldete sich wohl das Gefühl, das Leben eines Mitschülers versaut zu haben. Sie hatte uns ja wirklich nichts getan. Zumindest in mir erwachte das schlechte Gewissen, dass ich lachend dabeigestanden hatte.

Mit dem Verschwinden des „Standardopfers“, an dem meine Mitschüler ihren Schulfrust abreagiert hatten, begann die Suche nach neuen. Wir waren eine Klasse mit Jungen-Überschuss und die körperlich Stärkeren begannen nun die Jagd auf Schwächere. Damit geriet auch ich wieder ins Visier. Allerdings hatte sich die Situation innerhalb der Klasse verändert. Ich hatte inzwischen einen Kreis von kindlichen Partnerschaften: Einen Freund, der an mir hing wie Watson an Holmes, und noch ein paar, durch die ich mich als Bandenchef fühlte. Ausnahmslos aber nur körperlich Schwache. Die gegenseitige Hilfe bestand unter anderem darin, dass ich bei den Hausaufgaben half und dafür meine Kunst-Werke für den Zeichenunterricht vorbereitet bekam, sodass die Vieren in Zeichnen nun verschwanden. Meine logische Lektion: Andere konnten etwas, was ich nicht konnte, und umgekehrt. Wenn dies auch offiziell nicht erwünscht, eigentlich sogar Betrug war, so stand doch fest, dass die gegenseitige Nutzung unserer Stärken allen Beteiligten Vorteile brachte. Es machte mir dabei wenig aus, dass ich mehr einbrachte, als ich herausholen konnte.

Das Problem der Prügel, des Mobbings der Schwachen, war damit aber noch nicht gelöst. Es fanden nämlich immer ausreichend körperlich Überlegene zusammen, um uns Schwächere zu quälen. Was am meisten auffiel: Die da prügelten, waren „leistungsschwache“ Schüler, die sich auf solche Weise ihr „Sieg-Erlebnis“ aus der Schule holten, die Betroffenen jedoch versuchten – letztlich meist erfolglos – sich im Bewusstsein der bevorstehenden Niederlage der körperlichen Auseinandersetzung zu entziehen … sie liefen also davon. Eigentlich ging dies so bis Klasse 7. Und dann passierte etwas, was ich im Nachhinein vielleicht überbewertet und fehlinterpretiert habe. Aber es ist eben genau so passiert:

In einer großen Hofpause war es mir gelungen, alle, die auf „meine“ Seite gehörten, zu sammeln. Es kam zur Schlacht. Diesmal blieben wir nicht nur (wie sonst auch) zahlenmäßig überlegen, sondern wir kämpften auch geschlossen. Und wir beendeten diese Hofpause als Sieger. Womit ich nicht gerechnet hatte, trat ein: Von kleinen „Kabbeleien“ (wie das meine Mutter genannt hätte) abgesehen, trat ein dauerhafter Friede ein. Nicht, dass wir nun alle Freunde geworden wären, aber das permanente Massenmobbing war zu Ende.

Klar, wir waren einfach insgesamt reifer geworden und diese „Schlacht“ war vielleicht nur „Anlass“ der Veränderung, aber auf jeden Fall erlebte ich hier die Siegpotenz von Underdogs, die als solidarische Gemeinschaft kämpfen. Ein Anhänger körperlicher Gewalt bin ich damit nicht geworden. Allerdings hatte ich erlebt, dass sie notwendig gewesen war, um die Macht der Gewalt zu beenden.

Ab Klasse 7 wollte man unser Bewusstsein durch Staatsbürgerkunde- und Geschichtsunterricht „bilden“. Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass die ethischen Normen, die nun Namen bekamen, längst geprägt waren, indem sie uns vorgelebt oder eben nicht vorgelebt wurden. „Gut“ oder „Böse“ war uns greifbarer als als „Sozialismus“ und „Kapitalismus“. …

Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Moritat vom Tal der Blinden

Oh, höret die Geschichte, was einst geschehen ist.

Es hatte angefangen vor unbekannter Frist.

Vielleicht war es das Wasser, vielleicht die schlechte Luft:

Wer lange lebt im Tale, gewöhnt sich an den Duft.

Wer lange lebt im Tale, gewöhnt sich an den Duft.

Es ist, wie schlimm, geschehen, dass niemand mehr was sah,

von seinem grünen Tale, der Sonne, wunderbar.

Bald wurde dort geboren ein jedes Unschuldskind

mit eben jenem Makel: Die Augen waren blind.

Mit eben jenem Makel: Die Augen waren blind.

Jedoch der Kreis der Menschen hat später es geschafft,

zu sehen ohne Augen durch Ohr und Geisteskraft.

Sie fanden eine Höhle für ihre Sicherheit.

Der Sonne Licht und Bilder – längst nur Vergangenheit.

Der Sonne Licht und Bilder – längst nur Vergangenheit.

Die Schönheit der Geschlechter als Bild sich schnell verlor;

doch durch der Finger Spitzen war warm sie wie zuvor.

Das Tal war abgeschieden, die Höhle unbekannt.

In Hunderten von Jahren kein Mensch sie wiederfand.

In Hunderten von Jahren kein Mensch sie wiederfand.

Ein Flugzeug, das schon brannte, gab den Piloten frei.

Am Fallschirm ging er nieder ins Tal der Blindenei.

Der Mann sah dort ein Mädchen beim Höhleneingang stehn.

Das hatte blonde Haare, war blass, doch wunderschön.

Das hatte blonde Haare, war blass, doch wunderschön.

Der Mann ging hin es küssen, es blieb leicht zitternd stehn.

Er haucht ihr in die Ohren, wie herrlich, dich zu sehn.

Sie hat ihn nicht verstanden, was er damit gemeint.

Doch weil sie Liebe fühlte, sich zart mit ihm vereint.

Doch weil sie Liebe fühlte, sich zart mit ihm vereint.

Die Andren sind gekommen bald in der Abendstund´.

Das Paar gab voll Entzücken die reine Liebe kund.

Man hat sehr wohl empfunden des Mannes Eigenheit.

Doch war man noch gewogen der Liebe Mächtigkeit.

Doch war man noch gewogen der Liebe Mächtigkeit.

Der Mann war voll Entsetzen: Ihr seid ja alle blind!

Verstand nicht ihre Worte vom Fühlen zart im Wind.

Er fand der Blindheit Wurzel, er fand der Rettung Weg.

Doch niemand ist gegangen auf seinem lichten Steg.

Doch niemand ist gegangen auf seinem lichten Steg.

Du kannst das Mädchen haben, doch bist du krank, kannst sehn.

Wie willst du wie wir fühlen; wie willst du uns verstehn.

Du sollst ein Unsrer werden, von Krankheit ganz geheilt.

Nur wer wie wir so blind ist, voll Glück im Tal verweilt.

Nur wer wie wir so blind ist, voll Glück im Tal verweilt.

Die Liebe war so mächtig, das Universum fern.

Der Mann hatte das Mädchen so wie die Sonne gern.

Am Tage seiner Hochzeit die Augen waren leer.

Er ließ vom Weib sich führen; er nahm es noch nicht schwer.

Er ließ vom Weib sich führen; er nahm es noch nicht schwer.

In all den spätren Jahren hat Fühlen er gelernt,

doch blieb trotz größter Mühe von allen er entfernt.

Es wurd ein Kind geboren, das in die Höhle schaut.

Zuerst war es mit Fühlen und dann mit Seh´n vertraut.

Zuerst war es mit Fühlen und dann mit Seh´n vertraut.

Die Eltern wollten hüten das fehlerhafte Kind.

Das war nicht wie die Andern, zwar hörend, doch nicht blind.

Die Eltern hießen´s schweigen, so lang es möglich war.

Doch wuchs, entdeckt zu werden alltäglich die Gefahr.

Doch wuchs, entdeckt zu werden alltäglich die Gefahr.

Der Mann ist fortgegangen, das Kind hat ihn geführt.

Es hat die Welt gesehen, es hat die Kraft gespürt.

Doch denkt es an die Mutter, der Mann denkt an sein Weib,

von dem er fortgezogen trotz Flehen, bitte bleib,

von dem er fortgezogen trotz Flehen, bitte bleib.

Nun kann der Mann nicht sehen in seiner eignen Welt.

Gar mancher stellt ihm Beine, zu sehen, wie er fällt.

Er möchte gerne retten, sein Weib, von Liebe still,

und dass sie letzten Endes auch selber sehen will,

und dass sie letzten Endes auch selber sehen will.

Erinnerst du dich noch, wie du „Geschichte“ gelernt hast? Als Abfolge von Ereignissen, bei denen große Persönlichkeiten zur rechten Zeit am rechten Ort waren oder eben nicht? Mit Daten, an denen die Entscheidungen Einzelner den weiteren Gang der Dinge in die eine oder andere Richtung lenkten? Kennst du Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“? (Wenn nicht, google jetzt schnell nach!) Worauf kam es deinem Geschichtslehrer an? Dass du große Zusammenhänge nachvollziehen kannst oder dass du Fakten griffbereit hast, was wann wo war? Hältst du den Gang der bisherigen Geschichte für das Ergebnis von den Naturgesetzen vergleichbaren Entwicklungsgesetzen? Nein? Wenn aber ja … denkst du, die Geschichte geht dann mit gleicher Naturnotwendigkeit weiter? Und … wohin? Ich habe ja schon damit begonnen, dir etwas zum Thema „Gesetze“ aufzuschreiben. Lass mich daran anknüpfen …

In der Masse, sagen wir der „Menschheit“, wirkt, was jeder Einzelne von uns macht, chaotisch. Von dem Moment an, in dem es eine „menschliche Gesellschaft“ gab, wirkten in materialistischem Verständnis die Entwicklungsgesetze so, dass diese chaotischen Handlungen zu einem letztlich notwendigen (allerdings nur theoretisch vorherbestimmbaren) Ergebnis führten … nämlich den Verhältnissen, die wir heute haben. Egal, wer diese Gesetze erkannt hat. Irgendein einzelner Mensch, eine Gruppe von Menschen oder die ganze Menschheit. Oder ob überhaupt einer.

Alle gesellschaftlichen „Gesetze“ haben ihre Wurzel in Mechanismen, mit denen die Natur ihre eigene Existenz erhält. Die wirken weiter, obwohl der Mensch sie erkennen und damit beeinflussen könnte, erst einmal noch (aber nicht nur) deshalb, weil er sie nicht erkannt hat. Insofern ist es wichtig, solche Gesetze, Naturregeln, genau zu erforschen. Mit der Herausbildung der menschlichen Intelligenz hat sich die Natur eigentlich die Kraft geschaffen, mit der sie sich bewusst selbst regeln könnte. … Siehst du: Schon lachst du, wenn du die Menschen zum Maßstab nimmst, die du erlebt hast. Aber hast du nicht auch schon welche erlebt, die Verantwortung für ihre Umwelt entwickelt haben. Wenn ich nicht vorschnell verallgemeinern darf, dann darfst du das abe auch nicht.

Sagen wir, es findet sich ein Mensch, der auf andere glaubhaft wirkt, wodurch auch immer.

Sagen wir weiter, dieser Mensch behauptet, dass wenn alle anderen Menschen zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt in einen See steigen, so wird der ewige Schöpfer der Welt machen, dass dieses Gewässer über seine Ufer tritt.

Sagen wir, genug andere Menschen handeln, wie dieser eine es ihnen sagte.

Was passiert? Das Gewässer tritt tatsächlich über sein Ufer. Der Mensch hat ein „Wunder“ eines angeblichen Schöpfers bewiesen, das gar keines war. Er hat etwas vorausgesagt, dass unter den von ihm genannten Bedingungen notwendig so eintreten musste.

Stellen wir weiter fest: Wären nicht genug Menschen, der Wunderverkündung glaubend, ins Wasser gestiegen, so wäre der Wasserspiegel nicht gestiegen, also das vorher verkündete Wunder ausgeblieben. An der Existenz der naturgesetzlichen Wasserverdrängung hätte sich nichts verändert. Ihr hätten nur die Voraussetzungen gefehlt, wirklich wirksam zu werden.

Die Kraft der Idee (der Übereinstimmung seiner Erkenntnis mit dem tatsächlichen Handeln seiner Mitmenschen) des Mannes hat, unabhängig, ob ehrenwert begründet oder nicht, zu einer sichtbaren Veränderung geführt.

Nun meckere nicht! Was heißt hier eine „einfache“ Wasserverdrängung? Falsch!!! Es geht in diesem Beispiel darum, dass die vorangegangene „Prophezeiung“ des Mannes das Handeln der anderen Menschen und dieses wiederum das Auftreten eines Naturgesetzes hervorrief, das potentiell immer vorhanden war, ist und sein wird – unter bestimmten Voraussetzungen …

Nun sind eben „gesellschaftliche Gesetze“ solche, die immer erst durch das Handeln von Menschen wirken. Das Handeln des Menschen erwächst wie das Denkniveau, auf dem es beruht, aus dem „Entwicklungsstand der Produktivkräfte“. Beim heutigen Durchschnittsdeutschen würde unser Prophetenspiel nicht funktionieren – der kennt die Wasserverdrängung aus der Schule gut genug, um den „Propheten“ zu belächeln. (Heute müsste er also fragen „Wollen wir einmal zeigen, dass wir diesen See über sein Ufer treten lassen können?“)

Bei unserem Beispiel bliebe es gleich, ob der Mann die anderen betrügen will, um zu Macht zu kommen, oder ob er den Menschen zeigen will, welche Macht sie über die Naturgewalten haben. Entscheidend ist, er hat über die Wasserverdrängung nachgedacht, die richtigen Schlüsse gezogen … und über das Handeln der Massen die beabsichtigte Wirkung wirklich eintreten lassen.

Dies ist eine, wenn auch zugegeben etwas makabre, Verbildlichung von Marxens Satz „die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“1

Gäbe es die Wasserverdrängung nicht, hätte der Mann sie nicht erkennen und ausnutzen können. Die Gesetze in der menschlichen Gesellschaft kann man natürlich nur beim Handeln der Menschen beobachten, weil sie ja eben die Gesetze sind, nach denen sich dieses Handeln richtet … und das heißt, du solltest sie kennen, wenn du wissen willst, ob das, was du willst, zum Schluss auch herauskommen kann.

Der moderne Marxismus steht gerade vor diesem Problem.
Die Entwicklung der Materie führt vom Niederen zum Höheren. Das ist ein „Naturgesetz“ der Dialektik. Das Höhere gegenüber dem Kapitalismus wäre dabei (denken zumindest die Kommunisten) der Kommunismus, aber sobald die Menschen meinen, sie wären schon in diesem Gewässer gewesen (was ein Trugschluss ist) und der Wasserspiegel ist nicht gestiegen, wollen sie nicht „noch einmal“ hinein. Bekommt die Masse nicht aus einer neuen Richtung einen Anstoß zum erneuten Tun unter neuen Bedingungen, tritt das alte Gewässer nie über seine Ufer und verfault. Ohne See-Metapher: die Menschheit geht unter.

Marx hatte es in dem Punkt leichter. Er war noch in der Rolle des Mannes, der zu „Unschuldigen“ sprach. Ihn bremste „nur“, dass „natürlich“ die Gegner der von ihm gewollten Entwicklung alles unternahmen, damit sein Wort einfach nicht genug Menschen für das richtige Handeln erreichte.

Das tun ihre modernen Nachfolger heute immer noch. Die „Erben“ der Macht im Kapitalismus unternehmen natürlich weiter alles, um ihre „Erbschaft“ zu bewahren. Und ihre Möglichkeiten sind gewachsen. Unter anderem nutzen sie die Begrenztheit des „gesunden Menschenverstandes“. Der nur mit solchem ausgestattete Betrachter sieht eine Menge Menschen, so wie sie gerade sind und wie er sie gut verstehen kann. Die verhalten sich nicht so, dass man mit ihnen „Kommunismus machen“ könnte, und der Betrachter schlussfolgert vereinfachend: „DIE Menschen sind eben so.“ und „Kommunismus kann man nicht machen.“ Okay, du auch …

Übersiehst du dabei dabei nicht aber, dass du eben heutige Menschen vor Augen hast? Wenn du dir vorzustellen versuchst, dass der gläubige Mensch vor 700 oder der „unberührte“ Indianer vor 300 Jahren ganz Anderes als „vernünftig“ angesehen haben, dann erscheint es hoffentlich eher vorstellbar, dass unsere Nachfahren in 300 oder 700 Jahren ganz anders denken werden, als wir uns das ausmalen können … Einmal unterstellt, es gäbe dann noch welche.

Das Dumme ist, dass wir uns heute in einer Chaos-Welt befinden. Ohne eine Wertung abgeben zu wollen, ob Marx und Engels die richtigen Voraussagen getroffen haben, was den Weg angeht, so ist doch eines sicher: Der von ihnen beschriebene Zielpunkt der menschlichen Entwicklung, den sie Kommunismus nannten, ist davon abhängig, dass möglichst viele Menschen tatsächlich in jenen „See“ der Geschichte hineinsteigen. Wirklich handeln. Bleiben zu viele am Rande stehen – zum Beispiel mit der Entschuldigung, sie wären ja schon drin gewesen und der Wasserspiegel sei nicht angestiegen, sie hätten sich nur nass gemacht dabei – dann bleibt die notwendige Weiterentwicklung der Menschheit einfach aus.

Nun weiß die Wissenschaft, dass es eine allgemeine tendenziell gerichtete „Entwicklung“ gibt. Damit meine ich nicht den „Marxismus-Leninismus“. Der hat solche Erkenntnisse „nur“ zusammengetragen, zu einem Weltanschauungssystem verdichtet und vor allen Dingen ihre Anwendbarkeit auf die menschliche Gesellschaft dargestellt. Ich meine hier die Dialektik als System von Zusammenhängen und Methode, an die vereinzelten Zusammenhänge heranzukommen. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, wenn du noch nichts Richtiges von Dialektik gehört hast. Wer hätte es dir beibringen sollen? Zum Erhalt des Bestehenden gibt es mehrere Mittel. Damit, dass unruhige Geister das System ablehnen, müssen die Herrschenden rechnen. Wenn die dann wirksam genug geimpft sind, dass sich ja sowieso nichts außer Kleinigkeiten ändern lässt, sie also eine Weltanschauung des verzweifelten Achselzuckens entwickelt haben, dann bleibt alles wie es ist … und die Kritiker dürfen sogar ihre Meinung sagen …

Wobei … Eigentlich wäre der Marxismus das richtige System für denkaktive Menschen. Das war nicht als Kritik gedacht. Gegen dich schon gar nicht. Leider ließen sich Denkfaule mit ihm die Erklärung der Welt kaugerecht in den Mund schieben. In der Vergangenheit wurde häufig „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“. Man bildete sich ein, dass wenn es „objektive Gesetze“ gibt, also Zusammenhänge, die unabhängig von einer bewussten Absicht notwendig und wiederholbar in einer bestimmten Weise auftreten, dann siege der „Fortschritt“ zwangsläufig. Richtig. Es gibt diese Gesetze. Aber sie heben sich oft gegenseitig auf. Und genau das haben auch viele „Marxisten“ übersehen. Marxismus ist – wie jedes Denksystem – bedroht von verkrustendem Dogmatismus auf der einen und verfälschendem Revisionismus auf der anderen Seite. Dabei musst du ihn als Handwerkszeug verstehen, um die Zusammenhänge in der Welt zu erfassen. Dann kannst du sie gestalten, indem du die Bedingungen herstellt, unter denen sie sich wunschgemäß entwickelt (wie unser Prophet oben). Ich bin der Möchtegern-Prophet … und du hast vielleicht einen neuen Impuls, durch den Massen den faulenden See über sein Ufer treten lassen.

Das Grundgesetz der Dialektik ist (wahrscheinlich) das einzige echte „Universalgesetz“. Es besagt, dass alle Formen der Materie sich in Bewegung, Veränderung befinden, sich nur als „Einheit und Kampf von Gegensätzen“ erklären lassen. Bedingungslos. Wobei der Ausdruck „Kampf“ missverständlich ist: Er ist nicht so zu verstehen, dass die eine Partei die andere besiegt und dann allein übrig bleibt, sondern es wird immer neu die Ausgewogenheit sich dabei selbst verändernder und einander bedingender Faktoren eines Ganzen hergestellt. Also solche Systeme wie Masse-Energie oder Atomkern-Atomhülle. Die Seiten der Systeme sind ohne die andere nicht das, was sie sind.

Eine zweite Ebene sind „Relativgesetze“. Wie leicht wäre die Welt zu verstehen, gäbe es nur lauter eindeutige und wiederholbare Wenn-dann-Beziehungen. Es gibt zwar eine Unmenge solcher gesetzmäßigen Zusammenhänge, sie treten aber in den seltensten Fällen für sich allein auf. Also zu jedem Wenn-dann kommt meist noch ein „… und-wenn-dann …“ mitunter sogar ein „…aber-wenn-dann-auch …“.

Die meisten Relativgesetze sind deshalb nur erkennbar, wenn man von allem „Störenden“ abstrahiert. Man muss alle Bedingungen, die notwendig sind, damit eine Ausgangslage zu einer konkreten Endlage wird, kennen und als gegeben annehmen oder herstellen. Die „Störungen“ sind aber eben in der Wirklichkeit immer da.

Die dritte und problematischste Ebene nenne ich „Trendgesetze“. Hier bewegen wir uns auf philosophischen Höhen. Solche Trendgesetze versuchen nämlich eine „gesetzmäßige Ordnung“ in komplexe Zusammenhänge als Ganzes zu bringen.

In der Dialektik sind das zum Beispiel das Gesetz der „Negation der Negation“ und das vom „Umschlagen von Quantität in eine höhere Qualität“, letztlich eben die Behauptung einer Entwicklungsrichtung vom „Niederen“ zum „Höheren“. Prinzipiell sind auch das alles „objektive Gesetze“. Im Gegensatz zur Universalität aller Bewegung ist das Auftreten dieser Gesetze aber immer an Bedingungen gebunden. Fürs große Ganze stimmen sie, aber konkret praktisch überlagern sich verschieden gerichtete Trends, heben sich im Einzelfall sogar auf. Erst „letzten (!) Endes“ setzt sich der Trend durch. (Im Gegensatz zu Chaostheorien, bei denen sich solche Trends im Ganzen letztlich alle gegenseitig aufheben.)

Du hast ja Recht. Man kann lange darüber streiten, was wobei eine „höhere Qualität“ sein soll. Und vielleicht werden wir uns nie einig. Ich mache dir zumindest zwei Angebote. In der Natur könnte es die größere Vielfalt der Informationsverarbeitungsformen sein oder die wachsende Sicherheit der Selbsterhaltung von Systemen durch immer mehr Elemente, die Störungen der Harmonie des Ganzen ausgleichen können. Und nun schau dir die Masse der unterschiedlichen Formen von Leben an, die zusammen ein System bilden Aber das interessante Phänomen des „intelligenten Lebens“ wirft ein Grundproblem dabei auf: Als denkende Lebewesen sind wir Menschen natürlich überzeugt, eine höhere Qualität der Existenz von Materie zu sein. Darüber können ganze Bierfässer leer diskutiert werden. Nehmen wir die Behauptung als richtig an, so bedeutete dies, dass sich alle Materie erst in Richtung Leben und dann in Richtung intelligentes Leben bewegen müsste (ohne allerdings niedere Stufen zu beseitigen).

Ja, und genau das sagt das „Gesetz“ wirklich aus. Aber eben nur als Trend, als prinzipielle Richtung. Wir haben bisher real im gesamten erreichbaren All noch keine unwiderlegbaren Spuren von fremdem Leben entdeckt. Zumindest im Moment fehlt uns jede Nachricht kluger Aliens.

Jedes „Wenn …, dann …“ (also Relativgesetz) gilt immer dann, wenn das „Wenn …“ vorhanden ist. Die Menge der einander widersprechenden Einzelzusammenhänge ist bei den Trendgesetzen aber so groß, dass man eben nur sagen kann, dass es, (unterstellt, dass das Universum unendlich ist) dort irgendwo weiteres intelligentes Leben geben muss. (Und dass es im Laufe weiterer Milliarden Jahre Entwicklung insgesamt häufiger intelligentes Leben geben wird – was aber vom Verschwinden intelligenter Lebensformen in einzelnen Galaxien wie der Milchstraße begleitet sein kann. Als intelligentes Alien würde ich der Menschheit eine solche Untergangsprognose stellen.)

Das heißt nicht, dass es solches Leben im Umkreis von 100 Lichtjahren um die Erde gäbe. Das heißt nur, dass prinzipiell zwischen Intelligenzen gegenseitig befruchtende Kommunikation möglich ist beziehungsweise aus Sicht der Menschheit möglich werden könnte.

Es geht mir hier nicht um Spekulationen. Es geht mir um eine Besonderheit von Trendgesetzen: Der grundsätzliche Trend, über den sich „Höheres“ letztlich durchsetzt, wird ergänzt und überwuchert von einer zahlenmäßig weit überlegenen Zahl von Einzelvorgängen, bei denen entweder der dialektische Sprung noch nicht eintritt oder aber eine bereits eingeleitete Entwicklung zum Höheren abbricht und im Chaos versinkt … wie auch immer das konkret aussehen mag …

Und dies gilt für ALLE Trendgesetze. Auf einen Fall, in dem sich eine höhere Entwicklungsstufe durchsetzt, kommen zig Fälle, die so lange im Hamsterrad kreisen bis sie absterben. Aber wenn man zum Beispiel die Erdgeschichte betrachtet, ist eben neben aller Masse von untergegangenen Lebensformen schon die Menschheit entstanden – mit der Potenz, das Zusammenwirken von Lebensformen bewusst zu harmonisieren.

 

Die Anfangsstufe aller Entwicklung ist eine Natur, die ihre „Harmonie“ ohne jeden Vorsatz Beteiligter rein durch das Zusammenwirken von immer mehr chaotischen Kräften auf immer höherer Stufe neu herstellt.

Die erste Negation dieses Zustands ist das Auftreten des Homo sapiens. Schon unsere Urahnen wirkten mit Vorsatz auf ihre Umwelt ein und veränderten sie. Vom Trend her veränderten sie sie gemäß ihres Vorsatzes, also die beabsichtigte (Teil-)Wirkung trat immer wahrscheinlicher ein. Allerdings waren alle diese vorsätzlichen Eingriffe Störungen der Harmonie des Gesamtsystems Natur, das sich in veränderter Struktur wieder neu herausbildete. (Manche Landschaften blieben aber „zerstört“.)

Die Notwendigkeit zum Übergang zur nächsten Stufe ist von dem Moment an gegeben, in dem „der Mensch“ in das Gesamtsystem Erd-Natur so allumfassend eingreifen kann, dass eine Wiederherstellung eines natürlichen „harmonischen Systems“ nur unter (Wieder-)Ausschluss der Menschen möglich wäre. (Sicher wäre ein harmonisches Miteinander von Ratten und bestimmten Mikroorganismen auch innerhalb einer radioaktiv verseuchten Atmosphäre denkbar.) Allerdings gehören in die Gruppe solcher Systemeingriffe auch längerfristig wirkende wie ein die Erdoberfläche modifizierendes verändertes Klima und die direkte (vor allem aber indirekte) Erschaffung von (aus menschlicher Sicht) universalen (Anti-)Schädlingen. (Genetische Manipulationen, Krankheiten usw.) Also ist eine neue Verantwortung herangereift, sobald die unmittelbare Vernichtungstechnik in Händen einzelner Menschen das Potential enthält, die Menschheit als Ganzes zu eliminieren.

Ich mag an dieser Stelle nicht darüber nachdenken, was wichtiger ist: Die Möglichkeit des Menschen, bewusst mit seinem und dem Leben seiner Mitmenschen umzugehen, und dass kein Mensch mehr aus „natürlichen“ Ursachen heraus vorzeitig sterben müsste, oder die Wirklichkeit, dass trotzdem Massen verhungern und verdursten, beim Gebären krepieren und Ähnliches, was im weiten Sinn für einige Menschen ein herausgehobenes Leben ermöglicht. Ja, ich bin überzeugt, inzwischen besitzt „die Menschheit“ bereits die technischen Möglichkeiten, „vernünftig“ in und mit ihrer Umwelt zu leben.

Egal: Ein höheres Stadium der Entwicklung der Materie ist es, wenn eine intelligente Form die Harmonie ihrer Umwelt vorsätzlich herstellt. Sie muss sie also erkennen und als Gesamtsystem bewusst beeinflussen. Dass dies kein Zustand, sondern wie in der „ursprünglichen“ Natur ein immer währender Prozess ist, sollte klar sein. Immer wieder sind neue einzelne Zusammenhänge zu erkennen und einzuordnen ins beabsichtigte Ganze.

Du als Pessimist sagst, das kommt nie. Damit akzeptierst du aber, dass wir uns möglichst schnell noch den Mars ansehen sollten: Früher oder später haben wir die Erde so zugerichtet, dass unsere Kinder keine Kinder mehr haben werden. Nie mehr. Die Erde würde der nächste Mars.

Wir haben etwas erlebt, was die Idee des Kommunismus diskreditiert hat, und wir Deutschen haben dabei eine negative Hauptrolle gespielt. Die Produktionsverhältnisse entsprechen dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte?! Dies ist das (ökonomische) Hauptgesetz aller menschlichen Geschichte?! Das bedeutete logisch auch, dass es Produktionsverhältnisse geben kann, die sozusagen „zu früh“ geschaffen werden. Das bedeutet doch aber nicht, auf die Revolution zu verzichten, sofern die äußeren Bedingungen gerade günstig sind. Das waren sie eben wegen des schrecklichen Weltkriegs. Dass die technische Entwicklung bis 1990 noch gar nicht reif gewesen sein könnte für die Entfaltung des Sozialismus, können wir jetzt erahnen, weil wir jetzt besser wissen, welche „Produktivkräfte“ für einen „richtigen“ Sozialismus / Kommunismus nötig wären. Und wenn wir wissen, dass wir sie heute haben, dann ist das ein Grund zur Hoffnung auf einen erfolgreicheren Neuanfang. Denn jetzt – das möchte ich im Folgenden behaupten – sind die Produktivkräfte reif, sofern man das allgemein sagen kann. Meiner Meinung nach hat längst die Zeit begonnen, wo wir zwangsläufig in eine von mehreren möglichen Katastrophen hineinsteuern, wenn wir diese Produktivkräfte in den Händen zerstörerischer Produktionsverhältnisse belassen.

Noch etwas Grundsätzliches: Die Klassengesellschaften hatten etwas gemeinsam. Es gab einen Grundwiderspruch zwischen den Hauptklassen in ihrer gegensätzlichen Stellung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, nämlich dass die einen im Wesentlichen besaßen, womit sie die anderen zu ihnen fremden Handlungen zwingen konnten. Dieser eine grundlegende Widerspruch ist im Kommunismus weggefallen. An seine Stelle treten Widersprüche zwischen den vielen Menschengruppen mit unterschiedlicher Stellung im Reproduktionsprozess. Diese lösen sich ja nie auf. Es ist auch nicht pauschal zu sagen, wie „positiv“ oder „negativ“ sie im einzelnen wirken werden. Denn der Stolz auf eine besondere eigene Leistung grenzt an „Standesdünkel“ … und dann wäre er negativ. Es ist also immer wieder neu ein „Kunststück“, jeder vollbrachten Leistung die nötige öffentliche Anerkennung zu vermitteln.

Und es gibt einen sich wieder offen entfalteten Widerspruch: Auf der einen Seite stehen alle individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten, auf der zweiten alle vielfältigen individuellen Hemmnisse, diese Möglichkeiten zu entfalten, auf der dritten Seite(!) das erreichte Niveau der allgemeinen und einzelnen Bedürfnisse, auf der vierten das Niveau ihrer Befriedigung und mindestens auf der fünften „Seite“ stehen die neuen Bedürfnisse, die sofort erwachsen, sobald vorige befriedigt worden sind. Dies ist sehr mangelhaft dargestellt. Es soll nur eines aufzeigen: Man wird im Kommunismus ein grundsätzlich neues Bild vom Gesetz der Einheit und dem Kampf der Gegensätze entwickeln. An die Stelle einer A-B-Beziehung treten mehrdimensionale Beziehungsmuster, die unauflösbar bleiben und deren „Harmonie“ darin besteht, dass sie nicht in ein Niveau zurückfallen, auf dem sie nur durch den „Sieg“ einer Seite aufgelöst werden können.

Die (Produktions-)Verhältnisse, die unser Zusammenleben bestimmen, müssen dem Niveau der „Produktivkräfte“ entsprechen. Ich behaupte, dass sie dies heute schon nicht mehr tun und demzufolge geändert werden können und müssen. Woran man dies ersehen kann, sollte noch genauer betrachtet werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir da zu gleichen Schlüssen kommen.

Die drei Wirtschaftskreisläufe oder auch Robinson kann helfen

Absage

bleib allein

an der Börse
unterm Dach

des Dax

ich
bin keine Aktie
steige nicht
falle nicht

ich gehe 

zurück zu
weisen Eulen
und verstopfe

meine Ohren
dem Sirenenlied

deiner Kröten

Nächste Runde. Grundlegende Zusammenhänge zu erklären ist schon schwer genug. Hoffentlich, lieber Thor, vergraule ich dich nicht damit, dass ich dabei nicht einmal an der Wirtschaft vorbeikomme. Oder habe ich es mit der Philosophie schon geschafft? Aber wenn wir verstehen wollen, warum die Welt nicht so zu sein braucht wie sie ist – und das müssen wir, wenn wir uns gemeinsam zumuten wollen, sie zu ändern, dann müssen wir immer wieder neu nach „Öl“ bohren. Ich versuche es einfach.

Bürgerliche Ökonomen versuchen oft eine Milchmädchen-Wirtschafts-Erklärung, bei der auch der um wenig Ecken Denkende sagt, ja, das versteht er. Sie verkürzen dabei die abstrakten Zusammenhänge von Kapital und Gesamtwirtschaft auf das hübsche Bild von Robinson Crusoe. In vielen komplizierten Beziehungen geht das nicht, weil die nur existieren, indem so viele Handelnde im Wirtschaftsprozess auftreten, dass die einzelnen nicht direkt wissen und beeinflussen können, was aus ihren Produkten wird bzw. wie ihre gekauften Waren zu ihnen kommen. Aber wir haben ja Fantasie, um für uns etwas aus dem künstlerischen Bild zu machen.

Ich durfte viel von Karl Marx lesen. Sein produktionsfixiertes Denksystem hatte dabei Vor- und Nachteile. Das kommt auch in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ zum Ausdruck: Die Welt, die er zu erklären versucht, rankt sich um den Begriff der „Ware“. Dies reicht zwar aus, um einen Kapital-Ismus mit seiner Herkunft und seinem Niedergang zu erklären, aber nicht für die Einordnung des (entfalteten) Kommunismus. Dafür muss jeder Klassenhorizont verlassen werden. Also alles, was Warenwirtschaft erklärt, wie Tauschwert oder „abstrakte Arbeit“. In der kommunistischen Welt gibt es nämlich nur noch eine Vielzahl konkreter Arbeiten.

Man kann die „Wirtschaft“ in drei Arten von Kreisläufen unterteilen.

Der innerste ist der elementare oder Robinson-Kreislauf: „Der Mensch“ als konkretes Einzelwesen hat Bedürfnisse, die zu befriedigen sind und die er selbst kennt und befriedigen möchte, einen natürlich vorgegebenen Zeitfonds, in dem er dies kann und muss, und eine gesellschaftliche Qualität dieses Zeitfonds. Selbstverständlich sind auch die Bedürfnisse selbst gesellschaftlich bestimmt. Sie erwachsen nur zum kleineren Teil „der Natur“, zum größeren dem, was er kennt. Also die frühen Menschen, die die Nutzung des Feuers nicht kannten, fraßen, womit sie ihren Hunger stillen konnten. Sie hätten mit Messer und Gabel nichts anfangen können, schissen bestimmt neben dem Fressplatz und es gab nichts, wo und warum sie hätten Staub wischen können. Wie sauber jemand heute seine Wohnung haben möchte, ist unter anderem auch ein kommunikatives Problem. Es erwächst eben auch aus dem Grad der Peinlichkeit, wenn Besucher „Sau“ mit Fingern aufs Regal schreiben (könnten). Und das konnten die Höhlenbewohner noch nicht.

Der konkrete Mensch Robinson hatte von der Natur der Erde pro Tag 24 Stunden zur Verfügung gestellt bekommen, Jahreszeiten u.ä. sowie die Aussicht des Todes. Welche Bedürfnisse er dazwischen wann und in welchem Umfang befriedigt, kann er im Wesentlichen frei entscheiden. Allerdings werden einschränkend die Därme Forderungen stellen, wann sie entleert werden wollen, und der Magen, der gefüllt werden will, und noch einiges ganz Existenzielles mehr. Mit jeder Entscheidung für das eine zu befriedigende Bedürfnis fällt gleichzeitig die Entscheidung gegen (fast) alle anderen. Wer also seine Zeit braucht, um etwas zu fressen zu bekommen, kann nicht gleichzeitig „speisen“ oder Musik zum Feiern machen.

Die „gesellschaftliche Qualität dieses Zeitfonds“ ist klar. Was wäre der berühmte Robinson gewesen ohne die Flinte und technischen Geräte, die er aus dem Schiff hatte retten können? Was wäre er gewesen ohne das mitgebrachte Wissen seiner Zeit – beispielsweise zur Haltung von Haustieren? Sein klar umrissener Kreislauf Bedürfnisse – Entscheidung – eigene Produktion – Befriedigung – neues Bedürfnis prägte sofort auch sein Denken. Es gab ihm die Macht, den Freitag, der nicht über ähnliche technische Mittel verfügte, in ein Werkzeug für seine Bedürfnisbefriedigung zu verwandeln, ihn für sich arbeiten zu lassen.

Dieser elementare Kreislauf ist natürlich zutiefst beschränkt. Man kann ihn geistig von einzelnen Personen auf konkrete Gruppen erweitern, womit man das „urkommunistische“ Prinzip vor Augen hat: Die Gruppe als Ganzes kennt die Bedürfnisse aller ihrer Mitglieder und befriedigt sie nach vorhandenen eigenen Möglichkeiten. Im Prinzip verselbständigen sich nur die arbeitsteiligen Abläufe, die jeder Mensch sonst allein für sich entschieden hätte. So wie Robinson für sich (ohne Freitag) entschieden hatte, welcher Arbeitsgang wann wie viel Zeit „kosten darf“ (indem diese Zeit anderen Arbeitsabläufen vorenthalten wird), so entscheidet dies nun die Gruppe. Neu dabei ist, dass nun natürlich Bedürfnisse parallel bearbeitet werden können. Der Grundsatz aber bleibt: Die Mitglieder einer Gruppe arbeiten so arbeitsteilig wie die Organe eines menschlichen Körpers. Sie akzeptieren naturwüchsig, dass sie alle ihre Bedürfnisse kennen und gemeinsam ihre Möglichkeiten nutzen, so gut es geht viele ihrer Bedürfnisse zu befriedigen.

Dieser Herangehensweise ist der kommunistische, der DRITTE Wirtschaftskreislauf ähnlich. Auf wesentlich höherer Ebene wissen „alle“ Menschen um den Effekt ihrer Entscheidungen für sich und die Anderen. Wie das funktionieren kann, konnten Marx und Engels nur erahnen, wodurch sie zu missdeutbaren Schlussfolgerungen kamen. Sie verabsolutierten die für ihre Verhältnisse überwältigenden Springquellen produktiven Reichtums, die den Kommunismus kennzeichnen würden. Also einfach gesagt: Weil genug da sein würde, alle Bedürfnisse zu befriedigen, können alle Bedürfnisse befriedigt werden. Ein solcher Denkansatz war der stürmischen Entfaltung der Produktion / Produktivität in den vorausgegangenen 200 Jahren (im Vergleich zur gesamten Menschheitsentwicklung bis dahin) geschuldet.

In der Realität kommt aber mindestens ein entscheidendes Element dazu: Die Gesellschaft, in gewissem Sinne die ganze Menschheit, verfügt inzwischen endlich über ein handhabbares Instrument, die Bedürfnisse aller ihrer Mitglieder zu erfassen („zu kennen“) und im Sinne ihrer direkten Befriedigung zu wirken (und natürlich im Sinne einer bewussten Minimierung ausufernder unsinniger Bedürfnisse). Die technische Grundlage für ein solches Konstrukt scheint mit dem „Internet“ gegeben: Im Prinzip kann schon heute jeder Mensch dieser Erde sich an seinen Computer setzen, sich in eine gigantische virtuelle Bedürfniszentrale einloggen und kundtun, welche Bedürfnisse er befriedigt zu bekommen hofft. Indem er dies öffentlich machte, machte er auch Forderungen öffentlich, derer er sich schämen müsste.

Allerdings hebt das Wissen, dass einzelne Menschen sich heute wirklich unverschämte Wünsche erfüllen, weil sie dazu die Mittel haben, heute noch den Nutzeffekt auf. Warum sollte sich einer beschränken, wenn es der andere auch nicht tut? Es geht mir hier aber auch nicht um die tatsächliche Machbarkeit im Augenblick, sondern darum, dass es bereits technische Mittel gibt, mit denen so etwas möglich wäre. Alle Produktion im weitesten Sinn könnte „wieder“ direkt an den erfassten und bewerteten Bedürfnissen ausgerichtet werden. „Man“ KANN wissen, warum man was macht … Trotz des entscheidenden Unterschieds, dass der urgesellschaftliche „Wirtschaftskreislauf“ ungeheuer klein war und inzwischen scheinbar unüberschaubar groß geworden ist. Das wird im Kommunismus wahrscheinlich dadurch gelöst, dass jeder sich in die Klärung jeder Frage von gesellschaftlicher Bedeutung einschalten kann, aber sich nicht jeder sich für jede Frage interessiert, sodass sich „Kerne“ von Fachleuten zusammenfinden werden.

Das Wissen, was für welches und wessen Bedürfnis getan wird, ging mit fortschreitender Teilung der Arbeit, vor allem der Verselbständigung der geistigen Elemente des Arbeitslebens, allmählich verloren. Die Wirtschaftsbeziehungen, die sich dabei durchsetzten, kann man „klassenbildend“ nennen. Ihre höchste Ausprägung haben sie im „Kapitalismus“: Beziehungen der Warenwirtschaft, die Marx analysierte. Sie haben im Vergleich zu den beiden anderen „Kreislauf-Arten“ einen einschneidenden Unterschied: Es ist ein von den eigentlichen letztendlichen Bedürfnissen zu unterscheidender „innerer“ Wirtschaftskreislauf entstanden, der Kreislauf der „(Tausch-)Werte“. Seine gesamten Gesetze berühren menschliche Bedürfnisse als Ursprung allen menschlichen Handelns nur noch indirekt. Er beruht darauf, dass die Menschen, die etwas tun, was eigentlich Bedürfnisse befriedigen soll, diese Bedürfnisse nicht kennen. An deren Stelle sind die „gesellschaftlich anerkannten“ Bedürfnisse getreten, also die „bezahlbaren“.

Tausende bezahlte Wünschelrutengänger beschwören die Möglichkeit, dass das freie Spiel der chaotisch wirkenden Kräfte einen Ausgleich zwischen Produktion und Konsumtion herstellte. Trotzdem verhungern Millionen Menschen auf der Erde, weil sie nicht in Besitz von allgemeinem Äquivalent kommen, weil sie keine Arbeit (vorfinanziert) bekommen, um etwas in dem großen Kreislauf Verwertbares einzubringen.

Das System Kapitalismus kann das Problem der Bedürfnisbefriedigung im Weltmaßstab nicht lösen, sondern nur jeweils beschränkt auf Teile dieser Welt, die sich auf Kosten des Rests vollsaugen. Es ist richtig: Das System hat in seinen Glanzecken besser funktioniert als die Ansätze des Sozialismus. Aber die Unerfüllbarkeit von Bedürfnissen einer „Überschussmenschheit“ ist Bedingung des ganzen Systems – es wechselt im Höchstfall, wer zur Gruppe eben dieser „Überschussmenschheit“ gehört. Im Wesen der Planung eines kommunistischen Versorgungssystems liegt die beständig steigende Annäherung an die umfassende „Vollversorgung“.

Wesen und Erscheinung der Vorgänge der (kapitalistischen) Warenwirtschaften sind durch Marx nicht nur in „Das Kapital“ schlüssig dargestellt. Ich beanstande ja nur, diesen Übergangsfall menschlicher Entwicklung so darzustellen, als begänne alle Wirtschaft mit Waren. Das war Hunderttausende Jahre nicht so und wird – vorausgesetzt, die Menschheit übersteht die Presswehen der neuen Gesellschaft – Millionen Jahre nicht mehr so sein. Der zweite „Kreislauf“, der alle Vorgänge über ein abstraktes allgemeines Äquivalent, also das Geld, steuert, verschwindet wie eine abgenutzte Schlangenhaut.

Der Grundwiderspruch, der alle menschliche Entwicklung vorantreibt, ist der zwischen den vorhandenen Bedürfnissen und den realen Möglichkeiten, sie zu befriedigen. Er schließt ein, dass aus jedem befriedigten Bedürfnis ein neues, höheres erwächst. Solange in gesellschaftlichem Umfang nur Teile der Menschheit ihre Bedürfnisse befriedigen können, weil das Produktivkraftniveau nicht mehr ermöglicht, liegt zwischen Bedürfnissen und ihrer Befriedigung ein eigenständiger Kreislauf der Warenwirtschaft. Tendenziell wachsen darin die schmarotzenden Elemente, die erst im Nachhinein als überflüssig erkannt werden können.

Das Kommunismus-Muster Musik – Geist für alle

Das Breite-Lied

magst du es nicht das fahne schwenken

das immer in die winde lenken

das gerade passende nur denken

dann stell dich doch an meine seite

und du gewinnst wie ich an breite

willst du was großes noch erreichen

doch kannst kein fremdes herz erweichen

und deine träume werden leichen

dann stell dich doch an meine seite

und du gewinnst wie ich an breite

ob wirs zusammen wirklich schaffen

den geist von raffen raffen raffen

ins gestern zu bannen zum begaffen

verschlossen ist der zeiten buch

doch komm wir wagen den versuch

Nun wird es aber Zeit, dir mit einem etwas vertrauteren Beispiel zu kommen. Ich gebe nur als Stichworte „Piraten“, „illegales Herunterladen von Musik“. Also ich ärgere mich auf jeden Fall, wenn ein Lied auf Youtube das Opfer der Lizenz-Jäger geworden ist und man es nicht anhören darf, obwohl es jemand dort hochgeladen hat – egal ob mit oder ohne Video. Das hat nun weniger mit Robinson sondern eher mit Kommunismus zu tun …

„Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden. …“

(vgl. ANHANG)

So hat das Marx einmal formuliert, als er ausnahmsweise in mein Science-Fiktion-Fach hinüber gewechselt war. Seine pathetischen Worte „ Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ werden allerdings häufiger benutzt, um den Kommunismus zu kennzeichnen. Sie klingen so allgemein, dass sie heute noch als „hoffentlich zutreffend“ durchgehen können. Und? Siehst du dabei heutige „Bedürfnisse“ vor dir? Oder ahnst du schon, worauf ich nach dem langen Vorspann hinaus will? Dass nämlich in ein paar hundert Jahren ganz andere Bedürfnisse normal sein werden?! Aber dass jeder alle seine Fähigkeiten in den Dienst der Gesellschaft stellen könnte, ist dir trotzdem zu viel hoch geträumte Fantasie?! Das verstehe ich. Das liegt aber – zumindest zum Teil – daran, dass die Formulierungen missverständlich sind.

Die Aussage mit den Jägern und Fischern wird von heutigen Marx-Jüngern meist verschämt verschwiegen – und sei es aus Angst, ihren Guru lächerlich zu machen. Das passiert, wenn man das Zitat aus dem Zusammenhang reißt oder wörtlich nimmt. Kein Mensch wird sich heute ernsthaft künftige Kommunisten als Jäger und Fischer vorstellen.

 

Allerdings ist dieser Ausflug des ansonsten ernsthaften Wissenschaftlers in die Sphären der Belletristik unter mehreren Gesichtspunkten interessant. Da schielt natürlich ein hoher Grad an realer Ahnungslosigkeit durch, wie kompliziert die sachliche Arbeitsteilung im Kommunismus sein wird. Es ist sozusagen ein Beleg dafür, wie sehr eben auch kluge Köpfe wie Marx und Engels in ihrer Zeit verhaftet waren – Warnung an uns, unser heutiges Denken wenigstens versuchsweise abzulegen. Aber selbst, wenn wir uns vorzustellen versuchen, wie es in der Zukunft aussehen könnte, fliegt unsere Fantasie natürlich von dem Punkt ab, an dem unsere Gesellschaft gerade ist. Für mich heißt das zum Beispiel, dass ich erst einen kleinen Schimmer davon habe, was heute bereits mit übers Internet vernetzten Computern technisch machbar ist und was absehbar bald möglich sein wird. Da könntest du mich über den erreichten Fortschritt aufklären. Ob in Kürze aber noch eine wesentlichere Revolution der „Produktivkräfte“ folgt, etwas, was noch nicht erfunden oder gefunden ist, darüber können wir beide nur spekulieren.

Zweitens lässt sich natürlich etwas Unbekanntes nur aus dem Vergleich mit Bekanntem erklären. Stell dir vor, es wären Zeitreisen möglich. Nun erkläre eine heute moderne Wohnung mit Fernseher, Computer, Musikanlage, Handy und Ceranfeld den Denkern Marx und Engels im Jahre 1844 – von „normalen“ Arbeitern ihrer Zeit ganz abgesehen … und wir beide müssten uns ja eher mit denen vergleichen! Schließlich sind wir keine Wissenschaftler, von denen man größeres Verständnis für Neues verlangen kann. Ich bezweifle, dass wir uns denen wirklich verständlich machen könnten. Wir lieferten nur Gags für bestimmte Filme, du verstehst …

Drittens steckt trotzdem ein rationaler Kern in dem niedlichen Bild: Dass wir heute froh sind, das arbeiten zu dürfen, was wir gelernt haben, hat doch zweierlei Gründe. Da ist einmal die Sache selbst. Die Masse an Wissen, um ein Computersystem zu programmieren, ist „etwas“ größer als das Knowhow für den Fang eines Fisches. (Obwohl wir die spezifischen Kenntnisse der Vergangenheit nicht unterschätzen sollten.) Es wäre also eine Verschwendung, sich erst eine solche Masse an geistiger Potenz anzueignen, und sie dann nicht einzusetzen, wenn wir nicht die freie Entfaltung unserer Individualität in den Vordergrund stellen dürfen. Marx ging es aber wohl um etwas Anderes. Wir sind durch unsere Einbindung in den „gesellschaftlichen Reproduktionsprozess“ gezwungen, „unser Geld zu verdienen“. Wer unsere Arbeitskraft einsetzen will, möchte sicher sein, dass sich das lohnt. Ihm müssen wir beweisen, was wir gelernt haben. So verkümmern wir, weil wir für unser Arbeitsleben „festgelegt“ sind. Manchem sieht man das fast an. Erkennst du nicht viele „Buchhalter“ schon von weitem? Die sind eben ihr ganzes Leben nichts als Buchhalter gewesen sind. Erfahrungswerte besagen, dass die meisten Menschen nach etwa sieben Jahren gleichartiger Tätigkeit ihr kreatives Potential verloren haben. Aber wer würde sich freiwillig an Neues heranwagen, wenn seine Chancen, dort anerkannt arbeiten zu dürfen, mit jedem weiteren Lebensjahr sinken?

Natürlich ist das mit morgens, nachmittags und abends etwas übertrieben. Du riechst dabei den Wunsch als Vater des Gedanken. Aus der bekannten Welt der totalen Disziplinierung jedes Einzelnen für eine feste Rolle brach der Wunsch nach anarchischer Freiheit durch.

Dabei ist das Bild wahrscheinlich näher an der Wirklichkeit, als wir uns das heute ausmalen. Die Zahl der „Berufe“, die unsere kommunistisch lebenden Nachfahren erlernt haben werden, wird unterschiedlich groß sein, aber sicher größer als eins. Man wird „Synergieeffekte“ feststellen, also dass Ideen zur Verbesserung des einen Fachs besonders von denen kommen, die in einem anderen auch andere Abläufe kennen gelernt haben. Dass also die Menschen im Lebensverlauf nacheinander mehrere Berufe ausüben werden, dürfte schon einen Heutigen nicht sonderlich verwundern.

Technische Grundlagen dafür, dass der einzelne Mensch tatsächlich im Laufe eines Tages mehrere unterschiedliche Tätigkeiten nach seinem Gusto ausführen wird, gibt es aber auch heute. Das ginge nämlich sofort, wenn man sie von Zuhause aus erledigte. Dem stehen in erster Linie Sicherheitsbestimmungen entgegen. Es besteht aber wohl kein Zweifel, dass immer mehr Aufgaben über Rechentechnik von daheim aus oder unterwegs erledigt werden könnten und prinzipiell bereits „virtuelle Büros“ möglich sind. Im Kommunismus steht hinter keiner Tätigkeit ein Schaden durch die Konkurrenz. Ein Arbeitender kann also eine Idee für mehrere Zwecke nebeneinander verfolgen, wenn ihm dies Spaß macht. Deshalb muss das nicht der Mehrzahl aller Menschen Spaß machen. Es reicht der Menschheit, wenn es den Engagierten Spaß bereitet.

Leider gab es zu Marx´ und Engels´ Zeiten auch Erscheinungen, die das Jäger- und Fischer-Bild in engerem Sinn realistisch sein ließen: Man konnte sozusagen damals jedem einzelnen Menschen zehnmal mehr Fläche Land fiktiv zuordnen, auf dem er seinen Wünschen hätte nachgehen können, hätten dies die gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht blockiert. Wer weiß, wie viele Menschen im Kommunismus leben werden. Sie werden dank des technischen Fortschritts satt zu essen haben. Ob aber jeder ein Angelplatz haben kann, ist eine andere Frage. Du darfst Engels als Stammvater moderner Ökologie lesen. Aber heißt das auch, dass der heutige geplagte „Städter“ im Kommunismus beim Angeln einen „Laptop“ neben sich haben wird, um sich beim Fang für die vergnügliche Gruppenfischsuppe nicht zu weit von seiner geliebten Modelloptimierung für ein regionales Verkehrs- und Distributionssystem trennen zu müssen?! Vielleicht bei einigen. Zumindest wäre es voreilig, solche Vorstellung einfach als Unsinn abzutun. Aber der Regelfall wird es wohl nicht sein.

Die alles entscheidende Frage ist im Moment, wie WIR uns den „Kommunismus“ vorstellen. Nicht, was irgendein Marx dazu gesagt hat.
Ich sehe als wichtigstes Merkmal allen Lebens unter entfalteten kommunistischen Bedingungen die totale „Diversifizierung“ an. Also es wird keine Regeln ohne so viele Ausnahmen geben, dass eher die Ausnahmen die Regel sind. Schlüsselwort Vielfalt. Die seit Marx vorangeschrittene Entwicklung der „Produktivkräfte“ gibt uns allerdings einige Erscheinungen vor, die es uns Heutigen leichter machen als den frühen „Kommunisten“, uns eine solche Zukunft vorzustellen. Das klarste Bild bietet dabei die Kunst.


Der wichtigste Unterschied zwischen „progressiven“ Weltanschauungen, die in Klassengesellschaften entstehen, und solchen danach ist die Rolle der Bedürfnisse, genauer: wie direkt die Produktion auf sie ausgerichtet ist.

Ein Fortschritt der Geisteswissenschaften unter Klassenbedingungen war der Nachweis, dass die Arbeit die materielle Grundlage aller Gesellschaft ist, und deren Bedingungen sind nun einmal die Verhältnisse in der Produktion. Der Kernpunkt aller Produktionsverhältnisse aber sind die Eigentumsverhältnisse (an den „Produktionsmitteln“). Gerade die verändern sich im Kommunismus aber nicht, weil es sie als gesellschaftliche Verhältnisse gar nicht mehr gibt. In den Fokus tritt dann das, was die Menschen von Anfang an überhaupt erst veranlasst hatte, zu arbeiten: ihre unmittelbaren Bedürfnisse. Vor der Jagd kommt der Hunger beziehungsweise beim Menschen immer stärker das Wissen, dass der Hunger kommen wird.


Unterstellen wir, dass alle elementaren Bedürfnisse, also all jene, durch die wir überhaupt leben, befriedigt sind. Nun geht es nur noch darum, WIE wir leben. Nehmen wir uns jenes Geflecht von Bedürfnissen vor, das wir mit Musik befriedigen. Greifen wir uns vereinfachend den Wunsch nach Wohlbefinden heraus.

Sofern es darum geht, Wohlbefinden zum Beispiel durch Musik-Hören näher zu kommen, können wir drei Entwicklungsstufen der „Produktivkräfte“ feststellen. (Wir klammern hier das aktive Musik-Machen aus. Dass Musik auch Tanzbewegungen begleitet, ändert an den Überlegungen nichts.)
In der ersten Stufe war die notwendige Voraussetzung für jeden Musikgenuss die körperliche Anwesenheit der Musiker. Jeder einzelne Mensch war jedes Mal neu auf deren direkte „Arbeit“ angewiesen. Keine Musiker – keine Bedürfnisbefriedigung. Die Verhältnisse im Sinne eines „Überbaus“ konnten dabei variieren: Die Musiker verbanden ihr Vergnügen mit dem der Gemeinschaft (Urkommunismus), die Musiker versuchten, ihre Kunstarbeit zu verkaufen (Marktwirtschaft) und nicht Zahlende wurde von der Bedürfnisbefriedigung Musik-Hören ausgeschlossen (entwickelte Marktwirtschaft). Aber immer galt: Kein Musiker – keine Musik. Die unmittelbare Arbeit an der Bedürfnisbefriedigung war das Wesentliche, obwohl von Anfang an ein gewisses geistiges Eigentum (Beherrschung der Instrumente, Text, Rhythmus und Melodie) notwendig in die Bedürfnisbefriedigung einfloss. Eigentlich auch notwendig ergab sich daraus ein garantierter relativer Mangel, wenn zu jeder Gelegenheit, bei der man hätte Musik hören wollen, auch ein Musikus seine Leistung hätte erbringen müssen.


In der zweiten Stufe wurde das Bedürfnisbefriedigungsmittel Musik auf einem materiellen Träger zur Ware. Äußerlich war sogar nur eben dieser Träger, ob der nun Schallplatte, CD oder wie auch immer heißen mochte, die Ware. Es bestand aber weiter ein mathematisch nachweisbarer Zusammenhang zwischen der Arbeit der Musiker und den einzelnen Bedürfnisbefriedigungen, sprich: man konnte die Musizier-Arbeitszeit dem Träger zuordnen. Weitere Arbeiten waren nötig, damit man Musik hören konnte – wieder „zurechenbare“. Allerdings arbeiteten die Musiker nicht mehr dort, wo die Musik gewünscht wurde, und der materielle Träger konnte das Bedürfnis wiederholt befriedigen, ohne neu erworben werden zu müssen. Damit war dieser Bereich der Produktivkräfte anderen bereits objektiv (und zum Teil dauerhaft) voraus: Wie auch immer ein Apfel „produziert“ worden sein mag, er kann immer nur (höchstens) einmal gegessen werden. Trotzdem ist der „Wert“ gleichartig zusammengesetzt: geistige und körperliche Arbeit wird über einen materiellen Träger vergegenständlicht dem zahlungsfähigen Kunden zugeführt. Und die Produktion des materiellen Trägers ist von der ursprünglichen Arbeit abgekoppelt: Für die Musiker ist es technisch egal, ob ihre Platte Tausend oder eine Million Male hergestellt und vertrieben wird (nur für ihren Erlös nicht). Wir finden unseren zweiten Robinson-Wirtschaftskreislauf hier zwingend wieder. Musik hören ist eng verknüpft mit der Fähigkeit, den Träger zu bezahlen.

Die technische Entwicklung auf dem „Musikmarkt“ hat inzwischen schon die Möglichkeit des Kommunismus erreicht: Natürlich bleibt der Ausgangspunkt aller Bedürfnisbefriedigung, dass irgendwann irgendwo einmal Musiker ihre Arbeit getan, also „Musik gemacht“ haben. Ihr Arbeitsprodukt kann aber so gut wie unbegrenzt von jedem potentiellen Bedürfnis-Haber zur Bedürfnis-Befriedigung benutzt werden. Eine materielle Beschränkung gibt es nicht. Technisch könnte gezählt werden, okay. (Für das Selbstwertgefühl der Musiker ist nicht unerheblich zu wissen, wie oft man sie hören will. Das ersetzte den Geldreichtum.) Die Verwandlung in eine zu bezahlende Arbeit ist aber bereits ein völlig vom Bedürfnis gelöster, ja, ein ihm sogar entgegenstehender materieller Vorgang. Er erwächst (unabhängig davon, dass man ihn mit dem „Urheberrecht“ begründet) praktisch allein aus jener zusätzlichen geringen geistigen und materiellen Arbeit, mit der das Herunterladen von Musikstücken aus dem Web verboten, beschränkt und in einen Kaufakt verwandelt wird. Rein technisch reichte ein einziges Hochladen eines einmal „aufgenommenen“ Musikstücks, um weltweit so gut wie ewig jeden Interessenten sein Bedürfnis befriedigen zu lassen. Herunterladen kann der Interessierte allein – so wie er allein zu einem Konzert gehen würde, nur einfacher. Beim Herunterladen führt der „Bedürftige“ die materiellen Tätigkeiten, die zur Befriedigung seines Bedürfnisses erforderlich wären, selbst aus. Rein virtuell teilt er (!) den Umfang der ursprünglich in das Produkt Musik investierten Arbeitszeit, einschließlich der damit verbundenen geistigen Arbeit, neu auf: Vorher entfiel die Gesamtarbeitszeit auf 999 998 Hörvorgänge, nachher auf 999 999. Je mehr Vorgänge, umso eher kann behauptet werden, dass unter kapitalistischen Bedingungen allein die Arbeit bezahlt wird, die zum Bezahlen selbst nötig ist, also Reloadsperren, Buchungsvorgänge usw., die also mit dem Bedürfnis nichts zu tun haben. Ließe man sie einfach weg, änderte sich an der Bedürfnisbefriedigung nichts. Ausdrücke wie Raubkopie, Piraterie usw. sind allein Ausdrücke dafür, dass das alles in einer in Geldbegriffen zurückgebliebenen Welt passiert. Wenn du dich also geistig dagegen auflehnst, bist du ganz ungewollt in eine kommunistische Logik verfallen.

Bei allen spezifischen Modifizierungen ist damit das Beispiel Musik das Grundmuster kommunistischer Verhältnisse. Oder richtiger: Diese Art der sich selbst verewigenden geistigen Arbeit ist der materielle Boden für das Funktionieren der kommunistischen Gesellschaft. In dieser reinen Form kommt es wahrscheinlich nicht oft vor. Allerdings ist es natürlich eine gewaltige soziale Revolution, wenn weltweit eine einmal entwickelte geistige Leistung überall dort, wo sie benötigt wird, auch verfügbar ist – und das ist natürlich kommunistisch, denn niemand hat einen materiellen Nutzen davon, irgendwo irgendwen von der Nutzung seines geistigen Produkts auszuschließen. Im Gegenteil: Der Ruhm als Lohn einer Leistung steigt mit ihrer weltweiten Bekanntheit. Der „Lagerplatz“ Internet machte jedes geistige Produkt weltweit zugängig. Ohne einzelnen Träger und die Arbeit ihn als Anbieter zu reproduzieren. Die Bedeutung dessen steigt logisch mit jedem neuen Automatisierungsschritt. Das hat nichts damit zu tun, dass es letzten Endes unbedingt materielle Produkte als Gebrauchswerte geben muss, egal ob das Essen, Kleidung, Häuser oder Schmuckgegenstände im weitesten Sinn sind. Nur der unmittelbare Aufwand an menschlicher Arbeitszeit sinkt insgesamt.

Das Problem liegt darin, dass inzwischen Gesamtvorgänge arbeitsteilig weit in Einzeltätigkeiten aufgespreizt sind. Man sieht zum Schluss nicht mehr, welcher Teilvorgang für das Gesamtergebnis, also die Befriedigung eines echten Bedürfnisses, notwendig ist und welcher es nicht wäre.
Einfacher gesagt: Um seinen Hunger mit einem Apfel zu mindern, braucht man keinen Wächter. Solange aber alle hungrig waren, war es sinnvoll, einen Wächter einzusetzen, damit ein paar Wenige sich Gedanken darüber machen konnten, wie der Hunger generell bekämpft werden kann. Dieser Vorgang verselbständigte sich: Diejenigen, die nun keinen Hunger mehr hatten, benutzten ihre Mitmenschen in erster Linie dazu, dass es nur ihnen selbst besser ging. Also brauchten sie mehr Wärter und Kontrolleure der Wärter und Berechner ihres Besitzes und Entwickler neuer Apfelsorten und Registerführer, die das Recht wirtschaftlich Ausgesuchter schützten, die neuen Apfelsorten zu nutzen …

Nicht bei allen Vorgängen wirkt das Recht kapitalistischer Marktwirtschaft so unmittelbar menschenfeindlich wie bei Generika. Wenn jemand bestimmte Musik nicht hören kann, stirbt er nicht daran. Wenn aber die relativ hohen Forschungskosten ein „Rechtssystem“ begründen, durch das Medikamente für eine erhebliche Zahl von Menschen Tod bringend unerschwinglich sind, obwohl ihre Produktion selbst relativ billig ist, so ist dieses System nicht nur änderungsbedürftig, der Kommunismus könnte hier im unmittelbaren Sinn Leben retten.

Es gibt inzwischen eine Unzahl von Tätigkeiten, die für das gute Leben der Allgemeinheit so sinnlos sind wie Downloadsperren oder Kopierschutzprogramme. Wir merken es nicht, weil wir uns an sie gewöhnt haben und für sie bezahlt werden. Da sie mitunter sogar sehr gut bezahlt werden, müssen sie ja wohl notwendig sein. Aber sie sind für die Menschheit als Ganzes kontraproduktiv. Immer mehr Arbeiten bewirken nichts Anderes, als dass ein Ergebnis nur einigen Wenigen zufällt – obwohl sinnvollerweise die, die solche Arbeiten ausführen, in dieser Zeit neue Produkte zum Befriedigen von Bedürfnissen herstellen könnten. Das ist so lange noch kein Grund für Kommunismus, solange sich beim Wegfall aller Kontrolleure und Wächter nur insgesamt der Mangel verbreitete – wenn auch vielleicht etwas gemildert. Sprich: Solange jemand hungern MÜSSTE, könnte es keinen Kommunismus geben. Also stellt sich die Frage, an welcher Stelle der Entwicklung der potentielle Reichtum einer menschlichen Gesamtgesellschaft ausreichend groß wäre. Eben das wollte ich dir sagen: Wahrscheinlich hätten wir längst abspringen können vom Zug.


Allen Fortschrittsskeptikern zum Trotz gibt es darauf eine Antwort: In dem Moment, in dem wir alle menschlichen Grundbedürfnisse ausreichend gut bei jedem Menschen befriedigen können, kann der entfaltete Kommunismus kommen. Andersherum gesehen: Der Anteil an konkreter menschlicher Arbeit zur Beseitigung jeden alltäglichen Hungers muss weltweit klein geworden sein. Hier ist auch noch der Sozialismus als Zwischenentwicklungsstufe technisch nötig. Im Moment gibt es nicht nur zu viele Menschen, die ihre Lebenszeit damit totschlagen, nicht zu hungern und zu dürsten und ein Dach über dem Kopf zu haben – es gibt sogar Menschen, denen nicht einmal das vergönnt ist. Dies muss weltweit zu einem maßgeblichen Teil durch Maschinen, also vergegenständlichte Arbeit, erledigt werden. Wie dies passieren kann, wird von Sachgebiet zu Sachgebiet anders ausfallen. Die Variante Musik hat dabei nur besonders positiven „Mustercharakter“.

Prinzipiell hätte da jeder Mensch irgendwann ein Empfangsgerät angeschafft, das nur noch zu warten und ggf. durch ein tatsächlich verbessertes zu ersetzen wäre. Mit diesem kann er uneingeschränkt alle Musik aus dem Weltnetz herunterladen, die seit der Entwicklung geeigneter Tonträger jemals Menschen mit Vergnügen am Musizieren gemacht haben. Das hindert natürlich niemanden daran, sein Vergnügen in der tatsächlichen Begegnung mit seinem Lieblingsmusiker zu suchen – so, wie es zweifelsfrei ein faszinierendes Erlebnis für die Musiker bleiben wird, live vor Publikum zu spielen.

Auf diesem Gebiet ist für den „Kommunismus“ die technische Voraussetzung gegeben.


Bei vielen anderen Vorgängen stellt sich die Problematik heute noch anders dar. Da ist es für den in betriebswirtschaftlicher Beschränkung denkenden einzelnen Unternehmer sogar „billiger“, sich gegenseitig niederkonkurrierende Arbeiter einzusetzen als automatisierte Strecken zu schaffen. Die setzten ja auch globale Planung des Absatzes voraus. Und für den betriebswirtschaftlich beschränkten Unternehmer ist es eben „sinnvoller“, Waffen für staatliche Abnehmer zu produzieren als echten Massenbedarf befriedigende Großanlagen.


Die Großanlagen sind aber der Eckpfeiler, der neben dem „Handwerksbetrieb“ stehen wird (oder, bei anderem Betrachtungswinkel, umgekehrt). Die Fortschrittsgläubigkeit der vergangenen Marxisten hatte nur den Mangel, den Trend zu Mehr und Größer mathematisch geradlinig fortschreiben zu wollen. Dass DANEBEN ein ausufernder Bereich von „Kunst“ in weitem Sinne sich entfalten könnte und müsste, wurde nur abstrakt erfasst.
Ich verstehe hierbei unter Kunst nicht die Ausübung einer abschließenden Zahl von „Künsten“, sondern alle Tätigkeiten, bei denen man nicht mehr auseinanderhalten kann, was das Entscheidende ist:

Das Vergnügen des Empfängers bei der Befriedigung seines Bedürfnisses,

das Vergnügen des „Künstlers“ im und am Schaffensprozess oder

das Vergnügen des „Künstlers“ am Wissen, dass und wie sein Produkt einem Anderen Vergnügen bereiten wird. Zusammengenommen eine Art „Kulturrevolution“ …
Dass das drei voneinander unterscheidbare Dinge sind, können Künstler aller Zeiten und Gattungen bestätigen. Welches am stärksten zurücktritt, wenn jedes „Vergnügen“ erst durch die Sieblöcher erhofften „allgemeinen Äquivalents“ muss, also wenn nur „Bares“ „Wahres“ ist, können die meisten heutigen Künstler heute nicht entscheiden. Nur, dass „man“ von Kunst schlecht leben kann.
Auch das ist mit dadurch begründet, dass das eigentliche Bedürfnis bereits technisch zu befriedigen ist: Jeder kultivierte Bürger Europas kann sich Bilder jeden Malers in ihrer Farb-Schönheit an die Wand hängen, um sie geschmackvoll zu schmücken. Das Prädikat der „Echtheit“ ist ein dafür nicht erforderlicher Sonderfall.

Die kommunistische Arbeitswelt wird sich demnach wohl zwischen drei Extremen bewegen:

Das eine Extrem habe ich mit der Musikproduktion angedeutet. Der Anteil an „lebendiger Arbeit“, der im fertigen „Produkt“ erkennbar ist, schrumpft immer weiter auf Werte nahe Null. Sehr nahe Null kommt man zum Beispiel durch Automaten / Roboter, die selbst Automaten / Roboter herstellen. Die aktuelle Arbeit wird dort durch früher vergegenständlichte verrichtet. Man muss da sehen, dass der Bau solcher Roboter bauenden Roboter eine Investition in die Zukunft bedeutet. Ein paar Menschen, die daran arbeiten, werden aber immer nötig bleiben.

Das zweite Extrem ist die Gegenseite, die „Kunst“. Hier wird in erster Linie produziert, weil die „Produktion“ den „Produzierenden“ (und einigen Anderen) einfach Spaß macht. Im Großen und Ganzen ist das eigentliche Bedürfnis auch technisch lösbar: Jeder könnte sich eine Kopie der Mona Lisa ins Wohnzimmer hängen. Der Kunst-Charakter der „Arbeit“ bedeutet, dass Arbeitsaufgaben die Arbeitenden voll vereinnahmen. Marx nannte das Arbeit als „erstes Lebensbedürfnis“. Ich konkretisiere das zur „Freude am Schaffensprozess und am Produkt“ für den Schaffenden. In diese Kategorie fällt auch ein echter Kleingarten. Für die Bekämpfung von Hunger darf weltweit im Kommunismus Kleinfeld-Wirtschaft nicht mehr nötig sein – aber für eine hohe Qualität und Diversifizierung des Angebots. Also jeder muss ohne Handarbeit satt werden, aber mit Handarbeit wird man angenehmer satt. Also auch „Handwerk“ gehörte dazu. Was dabei entsteht, ist nicht „überlebenswichtig“ für die Menschheit, hebt aber die Lebensqualität allgemein an und macht eben Freude.

Das dritte Extrem sind die direkten Arbeiten am Menschen. Die werden den weitaus größten Anteil aller Weltarbeitszeit ausmachen. Wobei sich auch heute anders geartete Tätigkeiten unter kommunistischen Vorzeichen in solche Arbeiten verwandeln werden. Ich halte den heute schon gebrauchten Ausdruck „Care“-(also Sorge-)Arbeit für zu kurz greifend. Natürlich gibt es Überschneidungen und Verschiebungen zwischen den Extremen. So ist damit zu rechnen, dass die unmittelbare Chirurgie immer mehr rein technische Vorgänge umfassen wird, also dass mehr Operationen durch Roboter übernommen werden (ganz oder teilweise). Das ändert aber nichts daran, dass alle medizinischen Berufe direkte Fürsorge-Arbeiten bleiben beziehungsweise wieder sein dürfen. Mitmenschliche Fürsorge im weitesten Sinn unterscheidet sich also von den anderen Arbeiten dadurch, dass ihr Wesen in der unmittelbaren Kommunikation zwischen Menschen, die ein Bedürfnis haben, und solchen, die es befriedigen, besteht. Ihre Intensivierung steht ihrem Sinn entgegen. Wer zu einem anderen Menschen nett ist, kann nicht dadurch netter sein, dass er schneller nett ist. Insofern können solche Tätigkeiten erst über den Kommunismus aus dem Schattendasein im auf Geldertrag fixierten Leben treten. Für diesen Bereich versagt die marxistische (Mehr-)Werttheorie und es gibt keinen „Doppelcharakter der Waren produzierenden Arbeit“ – es sind also wirklich Tätigkeiten, die ihre ihnen zukommende Wertschätzung erst dann erreichen, wenn es keine „Marktwirtschaft“ mehr gibt.

Insgesamt wäre wohl mit dem heute auf der Welt vorhandenen Arbeitskräftepotential, sofern es sinnvoller eingesetzt würde, bereits eine „kommunistische Welt“ erreichbar. Das schlösse aber ein, dass wir kurzfristig der Charakter der Arbeiten veränderten. Sie müssten bewusster auf ein vernünftiges Ziel, sei es nun die Verbesserung künftiger Arbeitsbedingungen oder die „Menschlichkeit“ der konkreten Aufgabe ausgerichtet werden. Damit stiege tendenziell das Vergnügen am Arbeiten, insgesamt wäre weniger Arbeit zu leisten und dabei besonders weniger stupide. Das geht nur dadurch, dass sich die Verhältnisse, unter denen gearbeitet wird, radikal ändern. Das Hauptziel der Arbeit, für einen Besitzer Profit zu schaffen, muss und kann durch das Ziel, Bedürfnisse zu befriedigen, ersetzt werden, wenn die Produktionsmittel eben nicht mehr Kapitalisten gehören.

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (2)

An Johannes R.

   glück ists
im rechten augenblick zu sterben
nicht anzusehen
wie die erste saat zerstört
zuletzt noch fühlen dürfen
was du kannst vererben
und glauben
wem die welt gehört

die zukunft wird so licht
wenn tiefen durchgestanden
die kraft des ich-magneten siegte scheinbar nicht
du sahst den sog des wir den alle fanden
der prägen würde nächster zeit gesicht

das fundament der hoffnung musste halten
es war so vieles neues zu gestalten
und in des vorwärts träumens augenblick
holt´ unsre erde dich zu sich zurück

ein wicht wie ich ist nur – zurückgeblieben
und fragt wie kann ich jene menschen lieben
die der geschichte rad nach rückwärts drehten
die leicht zertraten was die deinen säten

 doch hoff ich auf noch unentdeckten sinn
dass ich im heute und am leben bin

Genug Theorie? Du möchtest erst einmal wissen, wie es mit mir persönlich weiterging? Aber ja …

Vielleicht hätte ich unter anderen Umständen ein freundlicheres Verhältnis zur „Nationalen Volksarmee“ der DDR entwickelt, aber die Verhältnisse waren eben nicht so. Beispielsweise war meine Sportbegeisterung nie so groß, dass mich Körperertüchtigung gelockt hätte, und als emotional egozentrischer Anarchist war mir jeglicher unterordnender Gehorsam zutiefst zuwider. (In einem krankhaften Anfall von Übermachtssadismus spielte ich einmal meinem engsten Freund gegenüber einen SS-Mann: Ich zwang den schwarz Gelockten durch brutale Gewalt dazu „Ich bin eine dumme Judensau!“ auszurufen, um freizukommen … und ich könnte nicht sagen, vor wem ich mich nachher mehr ekelte: vor ihm, der sich derart demütigen ließ, oder vor mir, dass ich zu so etwas fähig gewesen war …) Rund wurde meine Grundhaltung zum Thema Armee aber eigentlich erst dadurch, dass es in der Klasse bei den Auseinandersetzungen mit der Staatsbürgerkundelehrerin einen einzigen Schüler gab, der nach dem Lehrerinnenmund gerecht werdenden Antworten suchte. Dieser Speichellecker mit mäßigem geistigen Niveau strebte an, Offizier zu werden. Ich konnte ihn mir einfach zu gut in preußischen Stiefeln vorstellen. Das schon vorher ausgeprägte Bild, Körperkraft zeigten die, denen es an Geisteskraft mangelte, wurde untermauert – nur eben auf höherer Ebene. Du siehst also: Auch ich bin nicht frei von Vorurteilen …

Die Stabü-Lehrerin hat bei mir dann doch etwas bewegt. Im Nachhinein tut sie mir leid. Es war mir ein teuflisches Vergnügen, den ungeliebten „Rotlicht“-Unterricht zu sprengen. Hier konnte ich die ganze spitzfindige Raffinesse an die Front werfen. Ich hatte die meisten Schulbücher schon vor Beginn der Unterrichtsjahres überflogen. Im Staatsbürgerkunde-Lehrbuch fiel mir dabei etwas auf: Außer bunten Bildchen gab es Kästchen mit Zitaten der „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus, die ich sozusagen als die Verkündigung Moses ansah (so waren sie wohl auch gemeint), während der eigentliche Text das profane Bla-Bla war. Das Gute daran: Es ließen sich in dem profanen Zeug Widersprüche zu Gottes, Pardon: Marxens, Kernsätzen in den Kästchen entdecken. Also sprengte ich Stunden mit der Beweisversuchen, dass das, was wir als wunderbare Wirklichkeit unserer größten DDR aller Zeiten erklärt bekommen sollten, gar nicht das war, was der große Marx sich als sozialistische Gesellschaft vorgestellt hatte. Widerspruch als Denksport.

Die intelligenten Mitschüler verfolgten die Diskussionen mit Vergnügen und unterstützten mich nach bestem Wissen. Die weniger intelligenten freuten sich, dass die Stunden nicht als langweilige Lernstunden versandeten. Nur eben jener Möchtegern-Offizier mühte sich um Unterstützung der Lehrerin. Die war von uns Jungen begeistert. Weil wir so offen Interesse zeigten, ließ sie ihre Stundenvorbereitung in der Tasche und versuchte, unser Denken zu lenken. Argumente wurden nicht niedergeschlagen und „Erklärungen“ vermittelt, wie wir etwas sehen sollten, sondern sie versuchte, uns die Widersprüchlichkeit von Vorgängen begreiflich zu machen. Nicht einfache Antworten, sondern Bewegung und unter der Oberfläche des offen Sichtbaren gebe es erkennbare Zusammenhänge, um deren Aufdeckung man sich bemühen muss – das nenne man im Sinne von Marx zu handeln und das könne sogar Spaß machen.

Sie verführte mich damit zu einem Trugschluss: Voreiligerweise dachte ich, so sei politische Bildung. Im Geschichtsunterricht wurde ich eines Besseren belehrt. Der Geschichtslehrer frönte der großen Liebe zu seinen faszinierenden Tafelbildern. Mit feiner Schrift verteilte er über die ausgeklappte Tafel (mitunter einschließlich Rückseite) Kästchen, zwischen denen er Pfeile fliegen ließ. Vorher – nachher, Ursache – (Anlass) – Wirkung … Extrem schematisch, obwohl nicht einmal undialektisch. Von der Ursache ein dicker Pfeil zur Wirkung und darunter dann der dünne Pfeil in Gegenrichtung dafür, dass das, was eigentlich Folge war, auf die ursprüngliche Ursache zurückwirkte und dass es eben Haupt- und „Neben“-Gründe derselben Sache gebe.

In diesem Fach wurde erstmals laut das Wort „Kommunismus“ ausgesprochen. Über den Begriff wusste ich wenig. Eigentlich nur, dass das eine „klassenlose Gesellschaft“ wäre, in der es „keinen Staat“ gäbe. Mit Klassen konnte ich wenig anfangen, eigentlich nur mit Schulklassen, Staat aber, da gehörten also mindestens all die Gewaltinstrumente dazu. Die hat jeder, um sich selbst zu verteidigen. Ließe also eine Seite ihren „Staat“ verschwinden, wäre der Weg der anderen Seite frei, die eigene Macht zu erweitern. Also könnte es einen „Kommunismus“ auf der Welt auf jeden Fall nicht geben, solange es zugleich das Anti-System Kapitalismus gäbe … Mit dieser Schlussfolgerung begann ich; zur logischen Herleitung kam ich nicht mehr. Mir wurde sofort das Wort entzogen, mich traf ein Schwall von Flüchen. Mit der übelsten Bezeichnung konnte ich nichts anfangen: „Trotzkist“. Ausgesprochen als sei es noch etwas Schlimmeres als Faschist und ich hatte gerade schlimmstmögliche Feindpropaganda in den Raum geworfen. Alles nur wegen einer primitiven logischen Ableitung, hinter der ich, wenn auch umfassender begründet, heute noch stehe. Wenn ich dem entsetzten Lehrer noch an den Kopf geworfen hätte, dass also der entfaltete „Kommunismus“ keine Politik der friedlichen Koexistenz kennen könne … Natürlich habe ich mir bei diesem Lehrer weitere Schlussfolgerungen verkniffen. Hoffentlich komme ich bei dir nicht wie dieser Lehrer rüber.

Meine Sicht der deutsch-deutschen Fragen stammte nicht aus dem Schulunterricht. Schwerin war glücklicherweise kein „Tal der Ahnungslosen“. Schon früh, ich erwähnte es schon, bezog ich die Nachrichten aus aller Welt nicht rotgefiltert aus der „Aktuellen Kamera“ sondern gegenmanipuliert von der „Tagesschau“. Allerdings hatte ich gelernt, dass es keine „Nachrichten“ an sich gibt. Mir war selbst das aufgefallen, was „Sudel-Ede“ Schnitzler aus den Westsendungen extrahierte. Auch an der Stelle war ich früh Außenseiter: Mir gefiel der Typ, der in der trüben Brühe der anderen Seite fischte.

Ganz unschuldig an meinem Verständnis „kapitalistischen“ Denkens war sicher auch nicht, dass alle Verwandtschaft im Westen lebte. Langsam der kindlichen Überheblichkeit entwachsend entwickelte ich ein feines Gespür für Herablassung und Überheblichkeiten anderer Leute. Und eure Pakete … na, du weißt. Insofern war deine Großmutter mitschuldig an meiner antikapitalistischen, ja eigentlich an der grundsätzlichen Antihaltung materiell eingestelltem Denken gegenüber.

Aber noch etwas zeitlich zurück, als sozusagen kindlich-naive Keime meiner späteren „kommunistischen Visionen“ gelegt wurden:

Aus dem, was ich bisher erzählt habe, müsste klar geworden sein, dass ich nie ein extrem kommunikativer Typ gewesen bin oder gar ein „Charismatiker“. Es gab aber eben Situationen, wo positive Gefühle vermittelt wurden. Dazu gehörten einige der Veranstaltungen der Pioniere und der FDJ. Meine Mutter hatte mich zuerst auch zur „Christenlehre“ in die Kirche geschickt, wo uns Geschichtchen erzählt, und wir, wenn wir brav waren, mit Bildchen (heute würde man wohl „Sticker“ sagen) belohnt wurden. Für die Anregung meiner Fantasie waren diese Nachmittage wahrscheinlich sogar positiv. Aber für mich Acht- oder Neunjährigen war es herabwürdigend, dass der Pfarrer sie uns Kindern als wahre Geschichten anbot. Ich verstand da noch nichts von der „Wahrheit“ in Gleichnissen, empfand es aber als Beleidigung, dass jemand erwartete, ich würde Märchen für Wirklichkeit nehmen. Das war dann Grund für entschiedenen Protest bei meiner Mutter und fast das Ende meiner Kontakte zu kirchlichen „Würdenträgern“. (Später empfand ich hingegen die Gastfreundschaft von Kirchenleuten auf meinen Tramptouren als wohltuend.)

Anders war das bei manchen Pioniernachmittagen. Die nachhaltigsten waren jene, bei denen wir Eicheln und Kastanien für die Tierparktiere (und zum Basteln) sammelten. Keine Ahnung, ob unsere Eicheln den Tieren dort wirklich das Überwintern erleichtert haben. Heute würde ich sagen, das war auch nicht das Wichtigste. Viel wichtiger war etwas Anderes: Wir hatten das Gefühl, etwas Nützliches, ja Wertvolles zu tun, was zugleich richtig Spaß machte. Das heißt, das Sammeln der Eicheln (und das Werfen nach Anderen) hätte auch OHNE einen höheren Sinn Spaß gemacht, es war ein vergnüglicher Zeitvertreib; das Gefühl, sozusagen unserem Patenschwein das Leben zu erhalten, machte uns aber erst richtig stolz auf eine eigene Leistung. Ich hätte da nicht an „Kommunismus“ gedacht, aber hat man nicht auch als Erwachsener Anspruch auf kindliche Freude an der eigenen Nützlichkeit? Wird sie einem nicht erst durch die Erfahrung von „allgemeinem“ Egoismus vergällt? Positiv bleiben Reste solchen Erlebens natürlich besonders dann zurück, wenn man den Erfolg greifbar gemacht bekommt. Wir waren also eifrige Besucher des Tierparks, wo uns der Nutzen unseres Tuns von kompetenten Personen bestätigt wurde. (Mir scheint es selbstverständlich, dass Kinder, denen solche greifbaren Nützlichkeitserlebnisse versagt blieben, tendenziell ein Stück weiter zu Egoisten „erzogen“ werden – ohne eigentlich erzogen zu werden.) Ganz unmittelbar erlebten wir, dass es schwächere Wesen gibt, die durch unsere solidarische Hilfe überlebten. Okay … die richtige Vorbereitung auf eine Welt einzusetzender Ego-Ellenbogen wäre es nicht gewesen … aber darauf sollten wir ja auch nicht vorbereitet werden.

Solidaritätsaktionen wie später die für Angela Davis hatten zwei Seiten: Die übertrieben agitatorische, dass eine Kommunistin einfach unschuldig sein müsse (was sich im konkreten Fall bestätigte), aber auch eine „rein“ menschliche: Stellt euch schützend vor Menschen, die zum Opfer legaler (oder halb legaler) Ungerechtigkeit werden (könnten). Eine gute Sache wird doch nicht allein dadurch „schlecht“, dass sie mehr oder weniger „staatlich verordnet“ wird. Ich finde es heute peinlich, wenn ausgerechnet mit diesem Ausdruck „Linke“ den DDR-Antifaschismus verunglimpfen. Am System des damaligen (nicht) „realen Sozialismus“ gibt es viele Kritikpunkte. Dass sich ein ganzes Volk mit den wenigen aktiven Antifaschisten, die das faschistische Terrorregime überstanden hatten, identifizieren durfte, als wären wir alle Nachkommen mutiger Antifaschisten, halte ich für bedankenswert.

Wie gesagt, ein Großteil der Möglichkeiten, die uns Kindern auf die Nase gedrückt wurden, passte trotzdem nicht zu meiner sich entwickelnden Persönlichkeit: Fahnenappelle waren mir kleinem Anarchisten schon des Einordnens wegen suspekt. Zum Glück hielt sich die Zahl der militaristischen und Appell-Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen musste, in engen Grenzen. Als wir im Unterricht Friedrich Wolfs „Kiki“ behandelten, wurde diese Geschichte sofort eine meiner liebsten. Die „Haltung“ des Hundes, die „Würde“ eines Zwangsappells durch Jaulen lächerlich zu machen, entsprach so ganz meinem Wesen. Ich starb sozusagen im Kreis der trauernden Gefangenen und fühlte mich zugleich als einer der ihren. Dabei begriff ich erst viel später, dass die „Bösen“ in der Erzählung nicht einmal „echte“ Faschisten gewesen waren, sondern sich ihnen Andienende. (Solltest du lesen, die Geschichte.)

Gemeinschaftliches Basteln und Malen und Sport waren mir der blanke Horror. Weil ich es nicht konnte, wollte ich es nicht. Je besser ich diesen Zusammenhang an mir verstand, umso besser begriff ich meine Mitschüler, die Grauen vor den Mathestunden empfanden, weil sie mit lauter Unlösbarem zusammenstießen.

Dafür war das Pionierhaus, genauer die Pionierbibliothek darin, für mich das Paradies. Das Haus wegen seiner vielen Möglichkeiten, die Bibliothek … Ich glaube, schon in der 5. Klasse hatte sie mir kaum noch Neues zu bieten und ich besuchte eine „normale“. Mein Schnitt waren vier bis fünf „richtige“ Bücher pro Woche. Ich las also kaum Kinderbücher, sondern reiste in die Welten von Maupassant, Balsac, Dickens und vielen anderen. Ich hatte trotzdem keine Ahnung, was eine Nutte wirklich war – ich empfinde heute weder mein Unwissen als Mangel noch die Tatsache, dass es in meinem Schwerin keine gab.

Durch jene sehr wilden, individualistischen Reisen durch die Weltliteratur veränderte sich unbemerkt und unterschwellig mein „Blick“. Ich war ein Junge, der zu viel geschmökert hatte. Zwar in keinem Karl May, aber bei Lieselotte Welskopf-Henrich, Jules Verne und überwiegend in Dingen, die nicht für einen Elf-/Zwölfjährigen gedacht waren. Und die DDR bot in der Folgezeit weitere Chancen zur Befriedigung meines wirren Kunsthungers: Jugendstunden und Theaterkreise. Auf die Mischung kam es an. So wirr, wie ich ahnungslos vor der „Weltkultur“ stand, so bunt gemixt wurden uns monatlich verschiedenartige Erlebnisse vermittelt. Opern, Schauspiele, Ballett, Heiteres … Das hatte einen eigenen Reiz. Nicht immer hoch kulturellen. Da bemühte sich unsere Musiklehrerin vergeblich um eine angemessene Einführung. Aber wir besuchten gern auch Kunstveranstaltungen, die wir kaum verstanden, denn was hätte es für einen besseren Vorwand gegeben, abends „die Sau rauszulassen“? Nicht jedem wäre mit vierzehn erlaubt worden, nach 22 Uhr durch die Straßen zu ziehen. Aber nach dem Theater …

Wie viel es bei jedem Einzelnen Positives bewirkt hat – wer vermag das einzuschätzen? Aber jeder hatte die Chance, seine Sinne zu schulen. Und das Staatstheater war gut. Dass dies in irgendeiner Weise ein „soziales“ Problem sein könnte (außer positiv im Sinne unseres Gruppenzusammenhalts), wäre keinem eingefallen, denn jeder konnte sich die Karten leisten. Die Eintrittskarten kosteten uns ja kaum mehr, als ihr Druck gekostet hatte …

Dann setzte meine erste „Schreibphase“ ein. Gedichte … sehr weise, das Wesen der Welt erklärende und so hölzern holpernde, dass wirklich nur ich selbst von mir überzeugt sein konnte. Aber es gab die verschiedensten Fördermöglichkeiten. Einen Zirkel schreibender Arbeiter der deutschen Post beispielsweise, in dem kaum ein Mitglied etwas mit der Post zu tun hatte, und viele andere. So begegnete ich unterschiedliche Denk- und Betrachtungsweisen. Das ging bis zum zentralen Poetenseminar der FDJ im Schweriner Schloss und draußen in der Neubausiedlung. Begegnungen mit kritischen „richtigen“ Schriftstellern, engagierten Menschen, die alle dafür eintraten, schärfer hinzusehen, „mit dem Herzen“ zu sehen, sich einzubringen. Begegnungen wurden organisiert, die uns die Widersprüche von Anspruch und Wirklichkeit von „unserem“ Sozialismus vor Augen führten. Fast noch Kinder erlebten wir jungen Poeten die zerplatzende Illusion zukunftsfähigen Bauens. Aus der Not geboren, schnell das Problem zu lösen, jedem, der Wohnraum brauchte, welchen zu geben, wurden Siedlungen auf die Wiese gesetzt, die nach etwa 25 Jahren planmäßig durch etwas Neues, Richtiges hätten ersetzt werden sollen – was dann natürlich nie geschah. So beschrieb es einer der Projektanten des Neubaugebiets Großer Dreesch. Viel später erfuhr ich, dass einige der so eifrig engagierten Autoren für das Ministerium für Staatssicherheit Berichte geschrieben haben. Sie haben viel zu schreiben gehabt über uns. Nein. Ich finde es nicht gut. Menschlich traurig. Aber bei denen, von denen ich es hörte und die ich selbst erlebt hatte, wusste ich: Aus niederen Beweggründen, zum Beispiel für Geld, haben sie es nicht getan. Sie waren wirklich überzeugt, mit ihrem Tun dem „Sozialismus“ zu nutzen. Dass sie ihm letztlich schadeten, hätte ich damals noch nicht verstanden.

Ich war ehrgeizig, wollte immer besser sein. Aber irgendwie war mir klar, dass ich mich nie wesentlich steigern konnte. Das wäre Zufall gewesen. Mir blieb nur eine andere Freude: „leistungsschwache“ Mitschüler zu guten Leistungen zu coachen. Also sie nicht abschreiben zu lassen, sondern sie zu Ergebnissen zu führen, die „man“ ihnen nicht zutraute. Das Gefühl, heimlicher „Vater“ einer guten Note Anderer zu sein, war nicht zu überbieten. Da konnte mir niemand etwas vorwerfen – Egoismus, Strebertum, was auch immer Negatives.

In der Neunten trimmte ich einen Mitschüler, der ein total gestörtes Verhältnis zur Mathematik hatte. Nun fiel ich in dem Fach immer noch aus dem Rahmen: Extrem langsam beim Schreiben konnte ich es mir nicht leisten, die einzelnen Teilschritte zu lernen und zu verwenden – ich verwendete abgekürzte Wege, die bei „normalen“ Schülern nicht akzeptiert worden wären. Mir war umfangreiche Lernerei suspekt. Was sollte ich nun aber dem Mitschüler erklären? Den vorgegebenen Weg Schritt für Schritt? Ich entschied mich für die Logik, die ich für mich entwickelt hatte. Immer wieder testete ich, was davon „haften geblieben“ war. Bei jedem kleinen Gedanken fragte er unsicher nervend „Soooo?“ Bis ich dann irgendwann erklärte, er bekäme jetzt eine Aufgabe, die er bis zum Schluss allein lösen müsse. Nachher würden wir prüfen, warum eventuell was falsch sei. Mehrmals versuchte er, mich zu einem Blick auf sein Blatt zu animieren. Endlich bot er mir eine Lösung an. Beim ersten Blick schrak ich zurück. 14 Schritte waren normal, er hatte sechs gebraucht, sodass ich erst rief, so ginge es nicht … Bis ich feststellte, dass er das, was ich ihm an Zusammenhängen erklärt hatte, in einem neuen Rechenweg umgesetzt hatte. Den hatte er selbst entwickelt. Plötzlich zerfiel alle meine „genialische“ Überlegenheit. Nur Geduld war geblieben, sich einem Problem eben anders als „normal“ zu nähern. Ein „schwacher“ Schüler war also eigentlich keiner, sondern nur einer, der andere Anregungen zum Denken brauchte, als er sie üblicherweise erhielt. In diesem einen Fall hatte ich solch eine Anregung gefunden. Welch ungeheures Potential musste in den Menschen stecken, wenn man sich ihrer geduldig annahm! Erstmals erschien mir „Leistung“ als Produkt von Zufällen und nicht als Ergebnis „guter“ oder „schlechter“ Schüler.

Und am Ende der 10. Klasse gab es noch eine „Offenbarung“. Meine Klasse machte eine einwöchige Abschlussfahrt. Zufälle brachten mich dabei mit einem Schüler zusammen, von dem ich kaum mehr wusste, als dass er mehrmals nur sehr knapp versetzt worden war. Wir unterhielten uns viel. Anfangs begeisterten wir uns an „Raumschiff Enterprise“ im Fernsehen. Das wäre ja so ungewöhnlich nicht gewesen. Aber beeindruckend war das darüber hinausgehende Wissen und Denken des Jungen, sein … philosophischer Scharfblick. Klar haben wir auch viel „gesponnen“. Aber wichtiger war, dass ich erstmals bei jemandem, den ich weit unter meinem geistigen Niveau eingeordnet hatte – die ganze Schulzeit lang – ein geschlossenes kluges Denksystem erlebte. Eigentlich machte er sich um die Zukunft der Welt mehr Gedanken als ich und er vermochte seine Überlegungen verblüffend klar zu formulieren. Ich bekam das Gefühl, in den letzten Jahren einen Freund übersehen zu haben, weil ich mich innerlich zu sehr über ihn erhoben hatte, um ihn überhaupt zu bemerken. Ich ahnte nun, dass es extrem unterschiedliche Möglichkeiten gibt, über die ein Mensch für andere, zumindest aber für einen anderen „wertvoll“ sein kann. Schon damals begann es mir zu widerstreben, solche „Werte“ gegeneinander aufzuwiegen. Warum soll jemand wegen seiner Besonderheit besser oder schlechter sein als ein anderer mit dessen anderer? Vor allem führten mich unsere utopischen Zeitreisen zu einer bitteren Erkenntnis: Es war einfach Zufall, dass ich in meine Zeit hineingeboren war und hier mit guten Zensuren brillierte. Von der sozialen Herkunft in keiner Weise privilegiert graute es mir vor der Vorstellung, in einer vergangenen Zeit zur Welt gekommen zu sein. Meine Art zu denken wäre da abfällig weggewischt worden. Nur die Muskelkraft hätte gezählt. An der aber haperte es. Oder was wäre gewesen, wäre ich in einer vergangenen Zeit zur Schule gegangen? Beim Auswendiglernen war ich schwach. Ich wäre also ein „schlechter“ Schüler gewesen. Wer konnte mir sagen, welche Qualitäten in 100 Jahren erwünscht sein würden – die ich vielleicht hätte, vielleicht aber auch nicht. Mein gutes Zeugnis war also nicht objektiv, sondern dem Zufall geschuldet, dass Fähigkeiten zu meinen Besonderheiten zählten, die gerade erwünscht und messbar gewesen waren.

Auch bei der Einschätzung der „Persönlichkeit“ gab es breit gefächerte Unterschiede. Wir Schüler hatten uns einen Sport daraus gemacht, in den letzten Schultagen der Jahre das Klassenbuch zu durchstöbern. Dort trug dann jeder Lehrer für jeden Schüler die „Kopfnoten“ ein: Betragen, Mitarbeit, Ordnung … Gesamtverhalten. Bei „Betragen“ erhielt ich vom Klassenlehrer Dreien oder Vieren. Nicht wenige andere Fachlehrer werteten „sehr gut“. Aber ich war doch derselbe Mensch?! (Nur eben nicht pflegeleicht und normgerecht.) Klar, ich fiel aus dem Raster. Dafür gab es mehrere Erklärungen: Entweder war das Raster falsch oder es war falsch, mit einem „Raster“ zu arbeiten oder … ich hätte mich endlich richtig anpassen müssen an das, was Andere von mir erwarteten. Gelegentlich versuchte ich das. Aber es ging nicht. Ich hätte mich selbst verleugnen müssen.

Es folgte eine beruflich extrem wilde Zeit. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre ich dabei in einer heutigen, also „kapitalistischen“ Gesellschaft versumpft. Genauer: Ich hätte so viele Sprünge einfach nicht geschafft. Zumindest hätte ich meinen Lebenslauf da wohl entweder fälschen oder akzeptieren müssen, dass ich, als unzuverlässig abgestempelt, zu den meisten Vorstellungsgesprächen überhaupt nicht eingeladen worden wäre. Innerhalb von drei Jahren wechselte ich zwischen drei Berufen in Handel, Kultur und Industrie, wurde ich von der „Nationalen Volksarmee“ nach einem halben Jahr als unverdaulich wieder ausgespuckt und … fand dank der erwünschten Praxiserfahrungen einen Studienplatz als künftiger Lehrer. Ich blicke auf viele Details heute mit Verwunderung zurück. Eigentlich hätte es das alles nicht geben dürfen. Es gab mich aber …

Ich bin also schon früh zwischen „anständigen“ Berufen und der Kunst hin und her gependelt. Logisch, dass mir die Art von Künstlern, mit Arbeit umzugehen, so nahe liegt, dass ich sie gern als künstlerisches Bild für die Arbeit im Kommunismus verwende. Denn meine Vorstellung ist ungefähr so, dass sich dann fast alle Arbeit als Kunst beschreiben lassen wird. Aber eben nur fast …

Nicht alle Arbeit wird Kunst – manche bleibt Pflicht

 vom arbeiten

ein jeder dieses leiden kennt
das man im volksmund arbeit nennt
oh es ist qual denn es ist pflicht
und ohne gibts das leben nicht

zumindest für den kleinen mann
der keine bank besitzen kann
womit er täglich zockt wie pest
und lebt als wär die welt sein fest

die arbeit solln ihm andre machen
selbst ein verlust ist nur zum lachen
als banker hat er keine qualen
er lässt die anderen bezahlen

selbst staaten hat er gut geschmiert
mit steuern wird er schnell saniert
gemeinwohl darf er so vergessen
er liebt hein mitmensch nur zum fressen

womit hat alles angefangen?
um arbeit ist es uns gegangen
die wär vielleicht ein großes glück
verblieb uns mehr als nur ein stück

könnt jeder mensch als künstler schaffen
nicht ausgeraubt durch fremdes raffen
die eine kunst heißt programmieren
die andre sei das reparieren

das speisen zaubern

überhaupt
ist jedes tun als kunst erlaubt
die man für alle zelebriert
das wärs wohin mein traum mich führt

soll man solch tun noch arbeit nennen?
´s ist nur weil wir nichts bessres kennen
wir sind halt heut nicht geistig frei
und kriechen durch die barbarei

Du, für mich ist der entfaltete Kommunismus eine Welt der tatsächlich maximalen Freiheit jedes Einzelnen. Wirklich jedes, verstehst du? Heute gibt es nur juristische Chancengleichheit. Praktisch ist es schon mit der Geburt sind die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Lebenswege schon bei der Geburt unterschiedlich wahrscheinlich, ob das Neugeborene einen bestimmten Lebensweg gehen wird oder welchen anderen es gehen muss. Also unabhängig von seinen Talenten, meine ich. Teilweise sogar entgegen seinen Talenten. Da kann es sein, dass jemand, der für eine leitende Aufgabe eigentlich nicht gut geeignet wäre, mit dem Geld seiner Vorfahren zum Chef gedrillt wird, während einem genialen Menschenführer nur die Karriere als Gangsterboss offensteht.

Es ist mitunter auch ein extrem langer Weg – das siehst du ja an mir – für sich selbst herauszufinden, was das Sinnvollste für einen ist … ob man das will und ob man gut geeignet ist. Die Möglichkeit einer solchen Suche darf nicht nur Millionärskindern vorbehalten bleiben. Dieses Finden ist natürlich eine der Voraussetzungen dafür, dass die Einzelnen sich wirklich gern mit ihrem speziellen Vermögen in die Gesellschaft einbringen.

Die Welt des entfalteten Kommunismus wird meist für fast jeden einzelnen Menschen einen sinnvollen Lebensplatz zu bieten haben, bei dem der Nutzen für die Gemeinschaft mit dem für sein individuelles Wohlbefinden in Einklang gebracht werden kann. Davon bin ich überzeugt. Das wird allmählich der Regelfall werden. Was ist aber mit den Fällen, in denen das nicht gelingt? Der ganze heutige Staatsapparat scheint ja darauf ausgerichtet, jedem einzureden, er sein ein Sonderfall, der an seinem eigenen Schicksal schuld ist. Die Masse der Bürger dieses Landes würde sich deshalb zu Äußerungen hinreißen lassen wie „Wegen mir brauchte es keine Polizei zu geben. Aber vor den paar Verbrechern möchte ich schon geschützt werden.“

Dass nicht gleich jede notwendige Tätigkeit von jemandem gemacht werden wird, hat Gründe auf mindestens zwei Seiten: Zuerst einmal vom Charakter der Arbeiten selbst her. Die zweite ist die natürliche Individualität, sprich: Unterschiedlichkeit der Menschen. So wie in der Natur eben weiße Hasen geboren werden, obwohl sie normalerweise nicht überleben können, müssen sie geboren werden, damit die Hasen überleben, wenn sich die Umwelt sich so veränderte, dass die dunklen schlechtere Überlebenschancen hätten, fallen auch Menschen aus dem Rahmen. Als Materialist beginne ich aber bei den Arbeiten, deren Charakter erkannt und beeinflusst werden kann.

Der Haupttrend zum und im Kommunismus wird das Schrumpfen der Masse an „Arbeit“ sein, der wir heute ausgeliefert sind. Solche eben, über die wir uns nur deshalb freuen, weil wir überhaupt welche zum Geldverdienen haben. Den Geldanreiz möchte ich aber gerade einsparen. An seine Stelle sollen Arbeiten treten, die „man“ machen wird, weil „man“ genau diese konkrete Aufgabe lösen möchte.

In der Welt wird es aber trotzdem immer notwendige unangenehme Arbeiten geben. Sagen wir als tatsächliches Beispiel, dass hilflosen Menschen der vollgeschissene Arsch geputzt werden muss (nicht nur im übertragenen Sinn). Es verändern sich allerdings die Arbeiten, die als solche empfunden werden. (Man denke an „Hausarbeit“.)

Unangenehme Arbeiten wird man insgesamt bekämpfen, soweit dies möglich ist. Ständig neu wird man sich die Frage stellen, durch welchen Fortschritt, durch welche Erfindung welche unangenehmen Tätigkeiten vermieden oder ersetzt werden können. Im konkreten Fall hieße das also, ständig weiter zu forschen, wie das Leben in seiner aktiven Phase verlängert werden kann. Kampf den Krankheiten und den mit dem Alter verbundenen Verfallsprozessen. Forschung nach technischen Hilfen. Das lässt sich verallgemeinern: Immer wieder neu wird Menschen bewusst werden, dass einige notwendige Arbeiten ihre Würde verletzen. Die meisten von ihnen werden früher oder später durch technische Systeme gelöst – um den Preis, dass dahinter die nächsten auftauchen. Und manches geht ja auch nicht. Wann wird ein Androide den Arsch seines menschlichen Gebieters putzen? Und liegt eine Inkontinenz vor, kann man ja nicht warten, bis die Krankheit als solche besiegt wäre … Manchmal dauern solche Lösungen viele hundert Jahre. Egal, was für Tätigkeiten das sind, es werden welche übrig bleiben, die nur Menschen angehen können und die trotzdem eher ungeliebt bleiben.

Es kommt also eine zweite „Lösungsebene“ hinzu: Prinzipielle Freude an der gesamten Arbeitsaufgabe lässt uns auch einzelne „unappetitliche“ Teil-Arbeiten mit Freude, zumindest aber leichter erledigen. Oder sagen wir es so: Es bereitet Befriedigung, sich selbst als sinnvoll zu erkennen. Auch wenn es nicht jedermanns Sache ist, hat es etwas für sich, abrechnen zu können „Patient sauber, fühlt sich wohl!“. Alle die, die schon die Dankbarkeit von Hilfebedürftigen empfangen durften, wissen um diesen Wert. (Wobei das Problem der Würde im konkreten Fall eher auf Seiten dessen liegt, der wie ein hilfloses Baby gepflegt werden muss.) Dem Auskosten dieser „Belohnung“ steht heutzutage in erster Linie der Zeitdruck entgegen. Es ist im bezahlten Pflegeberuf nicht vorgesehen. Auch bei anderen Berufen gibt es vom Inhalt her „unangenehme“ notwendige Tätigkeiten, die „attraktiv(er)“ würden, erkannte man sie angemessen an. Dabei könnte (!) heute schon ein Schreibtisch-“Arbeiter“ anerkennen, dass er zu mancher „Drecksarbeit“ gar nicht fähig wäre, er sich also über Menschen freuen sollte, die die verrichten. (Er sieht aber nur, dass umgekehrt die seine Arbeiten nicht packen.) Was spricht dagegen, dass es einmal für einen solchen Zweck bei heute ganz abwegig erscheinenden Berufsgruppen so etwas geben könnte wie „Restauranttester“? Um „Beste“ anzuerkennen? Das setzt natürlich immer voraus, dass jedes Ergebnis auf einen „Verantwortlichen“ zurückgeführt werden kann. Außer natürlich, dass das eine Art der „Kontrolle“ wäre – die muss auch abgelehnt werden können.

Die freiwillig etwas von den meisten wenig Geliebtes erledigen unterwerfen sich einem „inneren Zwang“ zur Arbeit. Sie erkennen aus freien Stücken die Notwendigkeit bestimmter Arbeiten und übernehmen bewusst Verantwortung für deren Erledigung. Die Zahlenbewegungen auf den Konten werden ersetzt durch die innere Befriedigung, wertvoll und nützlich zu sein. Du kannst dir leicht vorstellen, dass das unter anderem einen ganz anderen Typ von Chefs erfordert. Frag nicht, wie groß der Anteil dieser Gruppe ist. Wir haben also schon all das aussortiert, was man heute „Modeberufe“ nennen würde. Wir haben Arbeiten aussortiert, die besondere Menschen als für sich „auf den Leib geschneidert“ empfinden (besonders nicht im Sinn von „hochwertig“ sondern von „nicht so oft vorkommend).

Trotzdem wird immer ein Rest bleiben, der gelöst werden muss, für den sich aber gerade niemand findet. Sei es nun wegen der Orte, an denen das Problem gelöst werden muss oder weil sich für bestimmte Aufgaben insgesamt zu wenige Menschen begeistern lassen.

Was spricht in solchen Fällen gegen ein allgemeines Findungs- und Bewährungsjahr? Also zur normalen, frei harmonisierten Arbeitswahl tritt ergänzend und abfedernd ein stärker restriktives System hinzu. Je nach Notwendigkeit kann dies wie eine „allgemeine Wehrpflicht“ oder wie ein „freiwilliges soziales Jahr (FSJ)“ funktionieren. Für beide Systeme gibt es Argumente.

Ich könnte mir das so vorstellen:

Zuerst einmal findest du in einem weltweit vernetzten lückenlosen Datensystem alle nicht abgesicherten Arbeitsaufgaben öffentlich ausgeschrieben. Da es keine privaten Beschränkungen gibt, kann wirklich lückenlos jede Aufgabe in EINEM System erfasst werden. Es wird zwar mittelfristig vorgeplant, diese Planung darf aber nicht starr sein. Also wer eine nützliche Tätigkeit für sich sucht, kann sich vom heimischen Computer aus weltweit das für ihn am besten Geeignete aussuchen. Nun können drei Fälle eintreten: Erst einmal der Idealfall, dass die Suchenden im Wesentlichen das Passende finden und gut. Der zweite Fall ist der „Modeberufsfall“, also einmal zugespitzt: Auf eine ausgeschriebene Aufgabe als Raumfahrer stürzen sich 1000 Interessenten, die eine solche Selbstbestätigung toll finden. Es muss sehr komplexe Kriterien geben, die die Eignung von Persönlichkeiten nicht allein daran misst, ob sie 100 Meter in 10, 84 oder 10,87 Sekunden sprinten konnten. Gesellschaftliche Einsatzbereitschaft könnte ein solches Kriterium sein, also der Nachweis, auch besonders unbeliebt Notwendiges angegangen zu sein. Bleibt der dritte Fall: Es findet sich keine zum Bücken fürs „Spargelstechen“, also keiner will etwas machen, was gebraucht wird. Es muss sowieso immer mit punktuellen Lücken gerechnet werden. Nun kann man entscheiden, wie die konkrete Lücke zu schließen ist.

Das Prinzip FSJ hieße, dass sich die freiwillig zu Verpflichtenden im Windhundverfahren das für sie „Angemessenste“ heraussuchen. Das Wehrdienstprinzip dagegen wäre absolut lückenlos und schlösse für den Dienstzeitraum die Verweigerung einer Tätigkeit ohne schwer wiegenden Grund aus. Beide Prinzipien gingen davon aus, dass jeder durch diese Phase hindurch muss. Beim FSJ sitzt sozusagen jeder, der ja weiß, die Frage kommt auf ihn zu (ohne dass sie schon konkret auf ihn zugekommen ist) an seinem Computer und checkt ausgeschriebene Tätigkeiten mit einem „Mangelzeichen“.

Das Prinzip FSJ hätte natürlich eine größere Attraktivität und wäre sozusagen die vorletzte Möglichkeit. Denn auch im Kommunismus wird es „Modeberufe“ geben, bei denen Ablehnungen von Interessenten unvermeidlich sind. Die bewiesene Bereitschaft, gesellschaftlich Notwendiges über die eigene Individualität zu stellen, wäre ein Pluspunkt für die nächste Bewerbung – und das auch, obwohl sich die Kandidaten ihre gesellschaftliche Notwendigkeit hatten selbst aussuchen können. Andererseits … gerade, wenn man weiß, dass ein solches „freiwilliges Pflichtjahr“ Voraussetzung für nachfolgende Freiheiten ist, regt das Aktivitäten an, sich unter potentiell Unangenehmem das persönlich Angenehmste herauszusuchen. Du darfst nicht vergessen, dass es auch im Kommunismus eine Art „Status“ geben wird. Dauerhafte Nichtstuer werden sehr wahrscheinlich weniger gut angesehen sein als Piloten oder Forscher … so als Beispiel.

In Runde eins wird also jede „freie Stelle“ (welt)offen ausgeschrieben – unabhängig davon, ob es sich um eine „freie Stelle“ in Sinne heutiger Berufstätigkeit handelt, oder um eine zu lösende „Aufgabe“, ein kurzfristig fertigzustellendes Projekt. Welche Auswahlkriterien es zur Besetzung geben wird und ob überhaupt, wird von Aufgabe zu Aufgabe verschieden sein. Denk dir alle Grenzen weg außer der unterschiedlichen fachlichen Kompetenz. Da es unter entwickelten kommunistischen Bedingungen auch keine Sprachbarrieren geben wird, (schließlich gibt es außer regionalen auch eine Weltsprache) kann weltweit nach geeigneten Fachkräften gesucht werden – mit größerer Wahrscheinlichkeit, welche zu finden.

Sollte etwas auf diese Weise nicht gleich gelöst werden, so kann es durch Runde zwei überbrückt werden – und zwar kurzfristig. Schon die FSJ-Windhunde wissen um ihren „Springer-Charakter“, dass sie unter Umständen nur eine vorübergehende Verantwortung übernehmen. Mit anderen Worten: Die Aufgabe als solche bleibt ausgeschrieben für Bestqualifizierte und Interessierte – was natürlich den „Zwangsfreiwilligen“ kein Hinderungsgrund ist, sich eventuell dauerhaft um ihren Platz zu bemühen.

Sollte aber wider Erwarten auch nach dieser Runde immer noch eine Aufgabe unerledigt bleiben, bliebe das Pflichtjahr.

Es widerspricht kommunistischer Logik, Menschen „zu ihrem Glück zwingen“ zu wollen. Es würde also niemand als „asozial“ verfolgt, wenn er zeitlebens im Wesentlichen keiner geregelten Arbeit nachginge. Du weißt ja, wenn du zu einer Arbeit gezwungen wirst, erledigst du sie nicht nur selbst lustlos, du steckst auch deine Nebenleute an. Es widerspräche aber kommunistischer Logik ebenfalls, wenn Notwendiges einfach liegen bliebe. So klein dieser Sektor auch sein mag, er erfordert ein Sicherungsnetz für die Gemeinschaft. Auf keinen Fall plädiere ich hier für eine wie auch immer umschriebene Arbeitspflicht. In erster Linie geht es immer um die Minimierung jeder notwendigen Arbeitszeit, wie viel oder wenig das auch konkret sein mag, und damit um die Möglichkeit für jeden Einzelnen Zeit sinnvoll privat zu gestalten, Aber diese notwendige Arbeitszeit wird eben vorhanden sein. Bei aller kommunistischen Vielfalt der Möglichkeiten ist also sinnvoll, die Möglichkeit einer „Einberufung“ zur Spezialarbeit (für ein paar Monate) ebenso zu fixieren wie die Verurteilung zur Resozialisisierungstätigkeit (als Ersatz für einen „Strafvollzug“).

Damit wäre ich beim Problemkreis Zwang, Gewalt, Notwendigkeit und Freiheit.

Wenn du Freiheit definierst, alles tun zu können, was dir gerade in den Sinn kommt, dann wäre dies ein „Begriff“, der nur heute und nur für Menschen mit einem unangemessenen Überschuss an „allgemeinem Äquivalent“ umsetzbar ist und dessen Umsetzung für einen vernünftigen Menschen nicht wünschenswert wäre, da er egoistische Rücksichtslosigkeit erfordert. (Was du dir nimmst, musst du anderen wegnehmen.) Wenn man sagte, Freiheit wäre (nur) „Einsicht in die Notwendigkeit“, so klingt darin wiederum zu viel Unterwerfung mit.

Natürlich ist richtig, dass wahrer Freiheit durch Wissen begründete Einsicht vorausgehen muss. Insofern ist es ein Begriff der Vernunft. Und natürlich geht es um ein der selbst erzielten Einsicht angemessenes Verhalten.

Nehmen wir ein primitives Beispiel: Stellen wir uns vor, dass es eigentlich zur Freiheit jedes Menschen gehörte, in seinem Leben einmal Urlaub auf den Malediven gemacht zu haben. Im „Realsozialismus“ vergangener Zeit verhinderte staatliche Gewalt einen solchen Ausflug allgemein, da es sich um kein „Bruderland“ handelte. Im Realkapitalismus verhindern mehrere Ebenen für die meisten Menschen der Erde diese Freiheit praktisch auch:

Ein Teil kennt diese Freude gar nicht. Der Hutu-Kindersoldat beispielsweise war zwar räumlich der Inselgruppe etwas näher als „wir“, der Hauptinhalt dessen, was er lernen musste, beschränkte sich aber auf das schlichte Überleben.

Eine ähnlich wesentliche Zahl von Menschen muss erwägen, wozu sie das wenige „allgemeine Äquivalent“, das ihnen ihre Arbeit eingebracht hat, zuerst einsetzen sollte. Sie hat dann die „Freiheit“, sich zu entscheiden … sagen wir für oder gegen die bessere Schulbildung der Kinder, damit die es vielleicht „einmal besser haben werden“.

Bis zum Erwägen objektiver Notwendigkeiten, also bis zur Einsicht in solche, dringt heutzutage kaum ein Mensch vor. Nun stell dir aber vor, die sieben Milliarden Menschen dieser Erde wollten wirklich alle einmal Malediven-Urlaub machen! Um es vorsichtig zu formulieren: Die Malediven wären nicht mehr die Malediven, die wir meinen.

Es ist also ein höchst komplizierter, komplexer Prozess, den wir verstehen und dem entsprechend wir handeln können. Sozusagen einen bewussten Verzicht einschließend.

Zu der persönlichen Ebene kommt nun noch, dass der einzelne Bürger Mitverantwortung übernimmt: Besuchte niemand diese Malediven, wäre ihre Schönheit wertlos. Es sollten also doch ein paar Menschen dort ein paar angenehme Tage verbringen. Ein Wörtchen mitreden sollte aber JEDER, dass wir in dem Umfang in den Naturgenuss kommen, wie dies wünschenswert ist. Eigentlich wären die TECHNISCHEN Voraussetzungen für eine solche Mit-Entscheidung heute so gut wie noch nie zuvor. Es geht ja nicht darum, dass jeder alles wirklich tut, sondern, dass er real die Entscheidungsmöglichkeit nutzen KANN. Also ist „frei“, wer vernünftig handelt, weil er vernünftig handeln kann.

Und natürlich gibt es auch im Kommunismus verschiedene „Gewalten“. Staatsgewalt nicht, weil es ja keine „Staaten“ gibt. Aber es gibt eben Zwänge der Notwendigkeiten.

Die wichtigste Gewalt ist die Notwendigkeit dazuzugehören.

Nun stirbt mit dem Verschwinden eines „allgemeinen Äquivalents“ die sich verselbständigende Kriminalität ab. Es gibt einfach nichts mehr zu gewinnen durch einen Raubüberfall. Man kann ja keine Millionen Dollar auf die Malediven mitnehmen, mit denen man sich dort etwas Anderes leisten könnte als jeder x-beliebige andere Mensch. Die Achtung in einer schaffenden Gemeinschaft dagegen ist nur dadurch zu erzielen, dass man entweder selbst etwas schafft oder Andere zum erfolgreicheren Schaffen anregt. Wer nirgendwo dazugehört, ausschließlich chillt, ist sozusagen tot.

Womit ich bei einer „technischen Frage“ bin, die eigentlich keine ist:

Inwieweit „verschwindet“ überhaupt „das Geld“? Meines Erachtens mit Sicherheit nur in eben der Eigenschaft, wirklich als „allgemeines Äquivalent“ anerkannt werden zu müssen, also als gesellschaftliches Verhältnis.

Heute steht eine bestimmte Geldeinheit auf der einen Seite für eine bestimmte vollbrachte und gesellschaftlich anerkannte Arbeitszeit – unabhängig, wer sie womit vollbracht hat – und auf der anderen Seite für eine bestimmte Menge beliebiger Produkte, die Waren. Sicher wird im Kommunismus niemand sich beliebige Produkte (vor allem fremde menschliche Arbeitskraft) aneignen können, weil sein Urahn einmal eine gesellschaftlich anerkannte Tat vollbracht hatte. Das heißt aber nicht, dass es nicht gesellschaftliche Mechanismen geben wird, mit denen Mangel geregelt werden muss und wird.

Das Bild der Malediven veranschaulicht das: Bestimmte Dinge wird es objektiv auch im Kommunismus nicht im Überfluss geben KÖNNEN. Und unsere Nachfahren werden sich hüten, Behörden zu installieren, um solche beschränkt vorhandenen Güter zu verteilen – und damit Macht auszuüben.

Was heute möglich wäre, ist wesentlich feinsinniger, mit unseren überkommenen Begriffen könnten wir sagen: Eine viel umfassendere „Demokratie“ bietet sich als Lösung an.

Das Hauptstreben im Kommunismus ist aber, jedem „seine Malediven“ doch zu ermöglichen. Dies wären technische „Surrogate“ oder Illusionen, die die angestrebten Wohlfühl- oder Wohlgeschmacksempfindungen möglichst genau simulieren. Wie dies im Einzelnen umsetzbar sein wird, wäre spekulative Science Fiktion. Bedenke aber den wesentlichen Unterschied zu heutigen „Erlebnisparks“: Denen geht es zuerst um den Ertrag des Betreibers, also, dass möglichst viele zahlende Nutzer durchgeschleust werden. Genau diese Komponente entfällt aber im Kommunismus.

Ein bedingungsloses und ersatzloses Verschwinden des Geldes wäre aus meinem heutigen Verständnis heraus nicht wünschenswert. An seine Stelle sollten Systeme treten, die eine möglichst „gerechte“ Verteilung von objektiven Mangelgütern ermöglichen. (Achtung: Nur von diesen!) Gerecht heißt in diesem Fall, dass möglichst viele Mitglieder der Gesellschaft an der Entscheidung mitwirken und sie mittragen. Dass dies konkret Interessierte sind, ergibt sich schon aus der Vielzahl der Möglichkeiten, sich zu engagieren.

Der wichtigste Unterschied zu dem, was wir heute als „Geld“ gewöhnt sind, ist seine Individualisierung. Während es „richtigem“ Geld gleichgültig ist, in wessen Besitz es sich befindet, würde die kommunistische „Vergütung“ strikt personengebunden gewährt. Die einzelne Person kann Leistungen „kaufen“, auch „verschenken“ – allerdings nicht vererben oder mit ihnen spekulieren.

„Vergütung“ ist allerdings die Ausnahme. Heute hat (fast) alles einen Preis. Kommunistisch (fast) nichts. Du wirst dich bestimmt um insgesamt begrenzt verfügbare „Güter“ bewerben können – so wie du Menschen übers Internet vorschlagen kannst, die es deiner Meinung nach besonders verdient hätten, eben beispielsweise ihren Urlaub auf den echten Malediven zu verbringen. Und das könnte öffentlich diskutiert werden. Warum nicht?!

Entscheidend ist,dass sich „Geld“ potentiell in „Kapital“ verwandelt, den Keim in sich trägt, andere für sich arbeiten zu lassen.

Zur Erinnerung: Es geht um Freiheit auf der einen und die Erledigung aller notwendigen Arbeiten auf der anderen Seite, unabhängig davon, ob die jemand liebt. Das Hauptinstrument, heute diese Fragen praktisch zu lösen, ist das Geld, über das die meisten Menschen unzureichend verfügen. Wer wie frei ist, erscheint als Ergebnis seines Besitzes. Kommunistischer Besitz ist eine Persönlichkeit kennzeichnendes und schmückendes Äußeres. Insofern werden Mittel, Initiativen Einzelner öffentlich anzuerkennen, unterschiedliche Formen haben, so wie die Mittel, abzusichern, dass alle gemeinschaftlichen Aufgaben auch wirklich gelöst werden.

Ich sagte ja schon, dass wir in der DDR noch nicht einmal „Sozialismus“ hatten. Das hätte ja bedeutet, dass die arbeitenden Menschen nicht nur theoretisch Eigentümer der Produktionsmittel gewesen wären, sondern sich auch als solche gefühlt und verhalten hätten. Das hätte auch – neben dieser „Kulturrevolution“ – bedeutet, dass die Voraussetzungen existiert hätten für das allmähliche Absterben allen Staates wie wir ihn kennen. Also zumindest tendenziell hätte der Startschuss für die allgemeine Selbstverwaltung der „Betroffenen“ gefallen sein müssen.

Was wir in der DDR angestellt haben? Hmmm? Die Wachsamkeit der bewaffneten „Organe“ war leider notwendig bei aller Übertreibung im Einzelfall. Trotzdem musste ich mich im Arbeitsleben zurechtzufinden … Womit ich angekündigt haben möchte, dass gleich ein weiteres Stück meines DDR-Lebens folgt.

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (3)

ausdauer

als der genial

konstruierte torpedokäfer

zum siebten mal

gegen die gleiche

scheibe prallte

erklärte er

den staunenden fans

auf diese weise

zeige sich

seine gradlinigkeit

Es wäre mir sicher möglich gewesen, nach der 8. Klasse aufs Gymnasium zu wechseln. Diese Einrichtung hatte aber bei uns den Ruf, nur etwas für strebsame Mädchen zu sein. Außerdem hatte ich keinerlei Berufsziel. Allein auf die Frage, was ich NICHT wollte, hätte ich eine Antwort gehabt: Mein Geld mit körperlicher, besonders handwerklicher Arbeit zu verdienen. Aber positiv etwas wollen?

Mein Vater hatte sich dafür eingesetzt, dass ich einen der drei Ausbildungsplätze zum „Wirtschaftskaufmann mit Abitur“ in seinem Betrieb bekam. Mutter und Schwester waren Verkäuferinnen, also im Handel, Vater in der Großhandelsgesellschaft „Waren täglicher Bedarf“. Die Ausbildung interessierte mich … nicht. Ich konnte ja aber nicht nichts machen. Wenigstens war ich „untergebracht“. Ich durchlief in der Ausbildung die verschiedensten Abteilungen und Bereiche des Betriebes, der für die Versorgung Schwerins mit Waren des täglichen Bedarfs zuständig war. Ich wurde dann als kleiner Sachbearbeiter in der Süßwarenabteilung übernommen. Kein Traumjob, aber zumindest kam ich mit den Kollegen zurecht und die mit mir.

Doch das Verderben wartete schon: die Einberufung zum Grundwehrdienst bei der „Nationalen Volksarmee“. Um die Rolle des „Ehrendienstes“ bei den „bewaffneten Organen“ für Jungen rankten sich viele Legenden. Die wichtigste: Nur wer sich freiwillig wenigstens für drei Jahre verpflichtete, bekäme einen Studienplatz. Ich hatte zwar noch immer keine Vorstellung, WAS ich eventuell studieren könnte, aber dass ich das irgendwann tun würde, wollte ich mir nicht verbauen. Aber dafür zur Armee?! Eher nicht! Also begann ich die Pflicht-Dienstzeit mit der Absicht nicht aufzufallen. Stattdessen leistete ich mir erst einen kleinen Unfall und sorgte dann mit regelmäßigen Fingern im Rachen für Erbrechen. Schließlich wurde ich nach einem halben Jahr ins zivile Leben entlassen. Problem: Ich war nun ein Jahr zu früh in Freiheit. Der Betrieb musste mich zwar wieder aufnehmen (so war das halt in der DDR), aber der Platz in meiner Abteilung war besetzt. Der einzige freie im Betrieb war einer in der Kosmetik-Reklamationsabteilung. Klar, dass ich so schnell wie möglich irgendwo anders hin wollte. Ich ahnte noch nicht, welche psychischen Schäden die Armeezeit hinterlassen hatte und wie lange die Schreibblockade anhalten würde, also nahm ich noch einen Anlauf in Richtung Schreiben … Dass ich als „kulturpolitisch-künstlerischer Mitarbeiter für künstlerisches Wort beim Kreiskabinett für Kulturarbeit“ alles besonders gut machen wollte, ahnst du wohl schon. So wurde der Ausflug in die Welt der Kulturorganisation natürlich zum Fiasko. Gleich der erste Auftritt bei einer höheren Charge im Kreis, konkret beim Direktor des einzigen Gymnasiums, misslang und führte zu einer handfesten Beschwerde. Ich wäre ihm, einem angesehenen Leiter, überheblich gekommen, hätte ihn beleidigt, er mache nicht genug zur Förderung der Begabung seiner Schüler … so in dem Sinn. Meine Vorgesetzte zog daraus den Schluss, dass ich wohl doch etwas zu grün für die Aufgabe wäre und mir lieber Praxis in einem Produktionsbetrieb holen solle. Heute wäre dies ein Rauswurf in der Probezeit gewesen, damals gönnte man mir etwa ein halbes Jahr, mir etwas Geeignetes zu suchen. Diese Zeit verbrachte ich überwiegend mit Basisarbeit bei Schreibenden und Laienkabarettisten in Betrieben und mit der Erarbeitung von Muster-Programmen zu allen möglichen Fest- und Gedenktagen. Ein besonderes Vergnügen bereitete es mir, zum „Tag der Nationalen Volksarmee“ ein expressiv antimilitaristisches Programm zu verbreiten. Besondere Genugtuung: Nun kamen Danksagungen aus mehreren Betrieben im Kreiskabinett an. Wahrscheinlich hatte man nichts als trockene Lobhudeleien erwartet.

Nach dieser Erfahrung landete ich in einem der Schweriner Großbetriebe. ORSTA Hydraulik war innerhalb eines „Kombinats“ der Endfertigungsbetrieb für große hydraulische Anlagen. Ich wurde in der Materialwirtschaft eingesetzt. Eine hydraulische Anlage besteht im Wesentlichen aus drei Grundelementen: einem Motor, einer Pumpe und Zubehör. Ich war zuständig für bestimmte Zubehörteile, namentlich Hydraulikventile und Verschraubungen. Vielleicht nicht gerade die Perspektive, von der aus eine Volkswirtschaft zu erklären ist, aber meine …

Es gab natürlich einen spezifizierten Plan, welche Aggregate wann in welcher Zahl zusammenzubauen gewesen wären, welche Einzelteile und Baugruppen also pünktlich hätten zur Verfügung stehen müssen. Antworten auf die Frage, warum die benötigten Aggregate jeweils nicht zur Verfügung standen, drangen nicht bis auf meine Ebene herunter. Dass sie nie so ankamen, wie ursprünglich geplant, merkte jeder. Da dann permanent versucht wurde, einen korrigierten Plan vorzulegen, der eventuell umsetzbar gewesen wäre, gab es im Laufe der Zeit bald niemanden im Betrieb, der die anfängliche Planung noch ernst nahm. Letztlich lief alles darauf hinaus, gegen Ende der Monate an die Zahlenfront zu werfen, was dann wirklich montierbar war. In diesem Chaos spielte meine Abteilung eine eher untergeordnete Rolle. Jeder sah ein, dass kein Aggregat ohne die passende Pumpe und ihren Motor entstehen konnte. Wenn dann zu erahnen war, welches Aggregat Chancen hatte, tatsächlich noch im laufenden Monat gebaut zu werden, galt es, irgendwie auch noch den Kleinkram dazu zu besorgen.

Nun hat so eine „Planung“ Konsequenzen: Die unmittelbare Montage sollte jeweils dann beginnen, wenn alle zu montierenden Teile am Montageplatz vorlagen … EIGENTLICH eine sinnvolle Vorgehensweise. Zur detaillierten Planerfüllung gehörte auch, die Kleinteile nach dem Ausgangsplan aus dem Lager in die Montage zu bringen. Gelegentlich geschah dies auch. Im seltensten Fall wurde ja aber wirklich nach dem Ursprungsplan produziert. Wer also gut gearbeitet hatte, musste doppelt arbeiten, weil die planmäßigen, aber unter den neuen Vorgaben nicht verwendbaren Teile nun der tatsächlichen Fertigung im Weg waren. Das Ergebnis bei den Lagerarbeitern war eine pervertierte Form von Dienst nach Vorschrift: Sie rührten nichts mehr an, wovon sie nicht wussten, dass auch die anderen Bauelemente vollständig vorlagen. Da diese Bedingung mindestens an den ersten 22 Tagen jedes Monats fast nie erfüllt war, rührte sich in meinem Lagerbereich in dieser Zeit so gut wie nichts. Da es aber ausgeschlossen war, drei Wochen hintereinander tatsächlich NICHTS zu tun, wurde saufend und Karten spielend beieinandergesessen. Dieses System hatte weitere für die Lagerarbeiter angenehme Nebeneffekte: An den letzten Tagen der Monate „brannte die Luft“: Da musste all das bis dahin Versäumte mit den nun tatsächlich vorhandenen Teilen nachgeholt werden. Denn letztlich sollten die Pläne ja sogar übererfüllt werden. (Irgendwelche sind sie es auch offiziell.) Das war nun in regulärer Arbeitszeit nicht zu bewältigen. Da wurden Sonderzahlungen lockergemacht, nur damit sich die Arbeiter an Wochenenden im Betrieb sehen ließen – neben den „normalen“ Zuschlägen, versteht sich.

Diese Situation war der Normalzustand, als ich meine Arbeit im Produktionsbetrieb aufnahm. Naiv wie ich war, versuchte ich umzusetzen, was ich umsetzen sollte. Stieß auf lauter Unmöglichkeiten. Musste, um etwas (oder jemanden) zu bewegen, die Arbeiter mit Wodka ködern. Vieles wurde auf dieser Basis möglich. Von Abteilungsleitern aufwärts war „unten“ niemand zu sehen. Man könnte meine Eindrücke „Kulturschock“ nennen. Irgendwie verging mir beim Anblick der die Arbeitszeit totsaufenden Kollegen die Illusion von der Arbeiterklasse an der Macht und vom „Volkseigentum“ … Sahen so „Eigentümer“ aus? Angetrunkene in Erwartung des nächsten „Schicksalsschlages“ namens „Plankorrektur“?!

Wie gesagt, ich brachte den „Lunikoff“ mit, wenn ich etwas wollte, und die Arbeiter, überwiegend junge Leute, kümmerten sich dann um „mein“ Problem. Dass wir voneinander nicht besonders viel hielten, verheimlichten wir nicht, aber der „Sesselfurzer“ kümmerte sich eben und das würdigten sie auf ihre Weise …

Schon beim zweiten Mal war ich gefordert, wenigstens mit anzustoßen. Trotz aller Vorbehalte gegeneinander kamen bald Gespräche zustande. Eines dieser Gespräche drehte sich um Verschraubungen für Ventile, von denen bei mir buchtechnisch viele vorrätig waren, von denen die Arbeiter aber behaupteten, sie seien alle. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass die Gesuchten bei einem der Aggregate vor der Montage gegen die Originalverschraubungen ausgetauscht wurden. Die laut Plan vorgesehenen passten nämlich nicht. Je länger wir uns unterhielten, umso spannender wurde die Angelegenheit. Konnte es sein, dass da irgendwo ein Fehler vorlag?

Es lag einer vor. Der war, wie´s aussah, bereits bei der Projektierung entstanden. Plötzlich ahnten wir, dass wir sowohl Arbeitszeit als auch Material einsparen konnten. (Die abmontierten nicht passenden Verschraubungen wurden bisher als Abfall behandelt.) Da es weder leicht war, den schuldigen Punkt zu finden noch fachgerecht zu formulieren, wo was verändert werden musste, wuchs eine kleine Forschungsgemeinschaft zusammen. Dieselben Menschen, die während der ganzen vorangegangenen Zeit sich eigentlich als gesellschaftliche Schmarotzer aufgeführt hatten, empfanden sich plötzlich als Miteigentümer, die selbstverständlich sparsam mit „ihrem“ Volkseigentum umgehen wollten. Man erkannte sie kaum wieder. Aus den Säufern wurde eine Jugendbrigade. Plötzlich ging es um „uns“ – unseren Staat, unsere Gesellschaft, etwas, was wir verbessern konnten. Eine für mich unglaublich erscheinende Wandlung. Thor, wenn ich es nicht miterlebt hätte, ich hätte es nicht geglaubt.

Nun ja, die Angelegenheit geriet „natürlich“ später in die Fänge sozialistischer Bürokratie. Plötzlich hatte das „Büro für Neuererwesen“ etwas Reales zu tun. Und zwar etwas, was dem Ideal des Staates sehr nahe kam – hatten sich doch tatsächlich richtige Arbeiter mit Angestellten und Angehörigen der Intelligenz zusammengefunden, um einen Arbeitsablauf zu verbessern! „Leider“ nur spontan. Von nun an sollte alles einen planmäßigen Rahmen bekommen. Wir sollten gezielt und geplant Verbesserungen erarbeiten. Wir erstellten auch tatsächlich ein Jugendobjekt. Allerdings bestand dessen Hauptkreativität in der Fixierung eines Nutzens, der nie eintreten konnte. Ich weiß nicht, wie klar das den Einzelnen war, aber mir begann die Sache peinlich zu werden. Die planorganisierte Nützlichkeit verwandelte sich in eine Form des Sich-in-die-Taschen-Lügens. Ich suchte im Unterbewusstsein bereits eine Fluchtmöglichkeit. Es war nur vorübergehend ein Keim aufgegangen. So wäre unsere Gesellschaft geworden …

Zu jener Zeit war ich mit einer Abiturientin aus Berlin zusammen. Die hatte außer vielleicht am „Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ noch nie einen Arbeiter in Natur gesehen (Der Vater war Mediziner und Edelgrundstücksbesitzer, die Mutter Hausfrau). Aber aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht nach Lehrbuch „wusste“ sie, was und wie die Arbeiterklasse war – und demzufolge nicht sein konnte – und zum anderen war ihr klar, dass jemand, der behauptete, so etwas Unmögliches erlebt zu haben wie ich, nur ein Klassenfeind sein konnte. Nun war ich immer sehr kritisch gewesen. Dass mir aber meine Bettgefährtin, die keine Ahnung hatte, nicht nur erklären wollte, was ich erlebt haben konnte (und was nicht), sondern auch, dass ich ein „Klassenfeind“ war, reizte meinen Widerspruch. Ich nicht auf der Seite des Sozialismus?! Du wirst schon sehen! Vielleicht bin ich bald selbst Staatsbürgerkundelehrer – ich weiß dann wenigstens, wovon ich spreche. Sie zeigte mir einen Vogel – hätt ich an ihrer Stelle wohl auch. Aber ich meinte das spontan Gesagte ernst. Gleich in der nächsten Woche lauerte ich am Arbeitsplatz auf eine Gelegenheit, allein das Telefon benutzen zu können. Die Nummer der Hochschule, die die von mir angestrebte Fachkombination Deutsch und Staatsbürgerkunde anbot, hatte ich mir bereits herausgesucht. Kaum war ich ungestört, erkundete ich mich dort, ob noch ein Platz frei sei. Deutsch / Staatsbürgerkunde nicht, aber Staatsbürgerkunde / Deutsch, bekam ich zur Antwort. Na gut, nehm ich. Was muss ich denn tun? Einen Antrag ausfüllen und zum Arzt und man schicke mir alle Formulare zu.

Das war im August. Im September desselben Jahres (!) begann ich mein Lehrerstudium. Die anderen Studenten hatten sich natürlich ein Jahr früher beworben und waren im Mai bereits zu einem Jugendlager zusammengetroffen.

 

Die Eile enthielt auch einen Bumerang, der später auf mich zurückfiel: Jeder zukünftige Lehrer wurde planmäßig gründlich unter anderem vom Hals-, Nasen- und Ohrenarzt untersucht, nicht nur, aber auch auf die Eignung der Stimmbänder. Die waren aufgrund eines Bronchialinfekts bei mir in jenem August nicht zu begutachten. Der Arzt schrieb also, dass er keinen Befund erstellen könne. Während des Studiums stellte sich dann heraus, dass ich unter normalen Bedingungen nicht zugelassen worden wäre. Aber da ich nun einmal schon dabei war und ja wollte, konnte ich weitermachen.

Wenn ich heute von den vielen Bespitzelungen höre, muss ich laut lachen: So schnell, wie in meinem Fall eine absolut unbürokratische Lösung möglich gemacht worden war, war damals technisch keine Akte anzufordern und zu sichten. Selbst hier, wo sich im Nachhinein eigentlich die spontane Entscheidung als Fehler herausstellte, war sie etwas Positives.

Darf man mir verübeln, dass ich das vergnüglich fand? Aus einer spontanen Tageslaune heraus landete ich auf einem Pädagogenplatz – und noch dazu auf dem des Rotlichtbestrahlers für unschuldige Kinder. Ja, so anarchisch habe ich Staatsbürgerkundelehrer werden können. Und mir ist nie ein „Stasi“-Schlapphut mit dem Wunsch nach einer „Verpflichtung“ begegnet (aus anderen Gründen auch nicht) – ich war damals nicht einmal Mitglied oder „Kandidat“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Das war nicht Bedingung. Später habe ich mich darum bemüht. Das war schwierig. Ich nahm es allerdings auch ernst mit der Auswahl meiner Bürgen. Ich hatte meine Freiheit voll ausgereizt und erwartete nicht von vornherein, dass man ausgerechnet mir Vertrauen entgegenbrächte – brachte man aber.

Während wir bei der praktischen Ausgestaltung des Studiums und im Ausreizen unserer Meinungsbildung in der „Sektion Marxismus-Leninismus“ große Freiheiten genossen, beobachteten wir bei den Studenten der Geschichtssektion Anderes. Dort wurde schulmäßig gegängelt. Viele der Gedankengänge, mit denen uns unsere Professoren „bearbeiteten“, hätten nach heute üblichem DDR-Bild deren sofortiges Verschwinden in „Stasi-Knästen“ zur Folge haben müssen.

Einzig die „Freiheit“ zum Drogen“konsum“ hatten wir nicht – ich glaube aber nicht, dass mir da etwas entgangen sein könnte – mit Alkohol wurde die „Erfahrungslücke“ ausgefüllt. Klar wäre ich gern auch einmal durch die andere Hälfte der Welt gereist, aber mit offenen Augen durch die Länder des Ostens zu reisen war zumindest bereichernder, als sich an fernen Küsten zuzuballermannen.

Für meinen Gesamtweg war dann ein anderer Bruch Ausschlag gebend: Klar, ich konnte mich hinter den Stimmbändern verstecken. Aber wahrscheinlich wäre ich nie ein guter Lehrer geworden. Was den Umgang mit Schülern anging, bin ich eben eher „Coach“ oder Geistes-“Trainer“ für interessierte Gruppen als ein Massen dressierender Lehrer. An der ersten Einsatzschule nach dem Studium war ich aber der einzige Staatsbürgerkundelehrer. Ich hatte alle Schüler der Schule in dem Fach zu unterrichten, ohne sie je kennen gelernt zu haben. Vielleicht hätte man mir meine „Anfangsprobleme“ kameradschaftlich verziehen. Aber eine Kollision mit der Parteisekretärin der Schule brachte das Ende. Meine scharf antimilitaristischen Auffassungen, die natürlich auch nicht vor menschenfeindlichen Umgangsformen innerhalb der NVA Halt machten, stießen bei der „150prozentigen“ Genossin, deren beide Söhne begeisterte Offiziere waren, auf „machtvolle“ Ablehnung. So etwas wie mich konnte man nicht auf sich erst entwickelnde Persönlichkeiten loslassen. Als sich mein Scheitern immer klarer abzeichnete, schien mir die Konsequenz klar: Ich war im Kreis der Versager gelandet. Meiner damaligen Partnerin (und späteren Ehefrau) verdankte ich die Chuzpe, mich trotzdem auch für Aufgaben zu bewerben, die anspruchsvoller als die eines Lehrers erschienen. Ich wollte und ich bekam erneut eine Chance. Ohne recht zu ahnen, was mich erwartete, landete ich im Bildungsbereich eines Außenhandelsbetriebes, aber davon erzähle ich später weiter. Wir wollten ja gedanklich ein paar Bereiche des praktischen „gesellschaftlichen“ Lebens durchspielen. Und bitte komm mir nicht wieder mit der Versorgung im Einzelhandel. Das hängt mir zum Hals raus: Dort der Mangel und hier die vollen Schaufenster. Aber okay, wer die DDR erlebt hat, weiß, dass dort selbst mit Wartezeiten auf einen neuen PKW schwarz gehandelt wurde, der Preis für gebrauchte teilweise weit über dem für Neuwagen lag (weil er eben den Wartezeitbonus enthielt) und dass außerhalb der Hauptstadt der Erwerb vieler relativ „normaler“ Lebensmittel ein Glücksfall war …

Oh … keine Waren, aber Plan

Die Hu und die Fu

in zwei welten
lichtjahre fern
lebten die hu
und lebten die fu
und hatten sich gern

der hu wie der fu

waren je drei

vier nahrhafte gan

hatten beide dabei

die hu teilten jedem eine gan zu

die übrige pflanzten sie 

und sie wuchs bald in ruh

doch wieder trug sie der früchte vier

die waren nicht teilbar dort wie hier

so aßen und pflanzten die hu je zwei

und siehe

nun hatte ein jeder drei

die fu aber

töteten erst ihren schwachen

und hatten gleich zwei gan

zum fettlebe machen

die knochen der fu

verwehen im wind

weil neue gan

nie gewachsen sind

und kommen wir einst im hugarten an

so speisen wir sparsam

die gästegan

Weißt du, wenn du solche Verhältnisse wie die oben am Beispiel des Kaufs eines PKW geschilderten mit einer heute produzierten „Brille“ betrachtet, kannst du daraus den Schluss ziehen, die „Marktwirtschaft“ sei einer „planwirtschaftlichen“ überlegen. Zumindest kann ich das in diesem Bereich nicht so leicht widerlegen wie beispielsweise bei der medizinischer Versorgung, wo das Streben nach „Maximalprofit“, ja „Wirtschaftlichkeit“ überhaupt, dem eigentlichen Versorgungszweck „Gesundheit“ direkt entgegensteht, das Ziel, (höchste) Gewinne zu machen, das Ziel, alle Menschen bestmöglich gesund zu machen, fast ausschließt – und umgekehrt.

Ich habe dich ja schon darauf hingewiesen: Der entfaltete Kommunismus wird eine Gesellschaft aus lauter „Ausnahmen“, Sonderfällen usw. sein. Er wird sich also administrativen Pauschalierungen entziehen. Da wird es also neben „rein kommunistischen“ sowohl Relikte als auch Neuschöpfungen marktähnlicher Regelungen geben. Das heißt aber nicht, dass ein so grundsätzlicher Bereich wie die Versorgung mit den Dingen, die man zum Leben braucht, vorkommunistisch bleibt. WARUM funktionierte denn so manches zu DDR-Zeiten nicht und konnte es auch nicht? Das erklärt dann hoffentlich, warum sich das in einer „neuen DDR“ und danach nicht wiederholen wird.

In Sonntagsreden wurde früher viel vom „objektivem“ Charakter des Marktgesetzes theoretisiert. Praktisch waren oft dieselben „Theoretiker“ der Meinung, die Marktgesetze durch administrative Maßnahmen außer Kraft setzen zu können, ja sie sogar außer Kraft gesetzt zu HABEN, weil sie – wie falsch – nur im Kapitalismus gelten würden. Nun war das, was in „sozialistischen“ Schaufenstern ausgepreist herumlag, genauso „Ware“ wie das beim Kapitalisten im Land nebenan. Der Preis der einzelnen Ware konnte per Gesetz – eben administrativ – festgesetzt werden, so wie dies politisch wünschenswert schien. Damit war das Wertgesetz, also die tendenziell sich reproduzierende Formel, dass die Summe aller Preise der Summe aller Werte entspricht, aber immer noch da. Und die Werte entstehen eben dadurch, dass in jeder Ware eine gesellschaftlich anerkannte Arbeitszeit „eingefangen“ ist. Ist also ein Preis in diesem Sinne niedriger, müssten in der Gesamtgesellschaft andere Waren in gleichem Umfang mit einem höheren Preis als ihrem Wert verkauft werden. Nicht im einzelnen Produkt, aber in einer Volkswirtschaft entscheidet dann die Arbeitsproduktivität über die Summe der Preise. Und da müssen sich einzelne Missverhältnisse – auch gewollte – am Ende wieder ausgleichen. Das ist nicht gelungen. Das konnte nicht gelingen, da das Wertgesetz der Nährboden ist, auf dem Krisen wachsen – prinzipiell auch im Sozialismus, wenn auch dort mit anderen Auswirkungen und Verläufen, und eine planmäßige Anpassung politisch gewollter Preise an das Marktgesetz ist eben ein enormer technischer Aufwand.

Wir wollen aber zu einem funktionierenden kommunistischen System kommen. Dafür benötigen wir praktische Voraussetzungen. Eine habe ich bereits hergeleitet: Die Entwicklung zum Kommunismus kann erst beginnen (!), wenn keine Systemkonkurrenz mehr besteht. Das liegt nicht daran, dass kapitalistisch besser versorgt werden kann, sondern weil es einer nachhaltigen Wirtschaft nicht darum gehen kann, etwas so zu produzieren, dass es gekauft wird, weil es „glitzert“ und ggf. bald erneuert wird, es darf nur produziert werden, was Gebrauchswert besitzt, der vorhandene Bedürfnisse befriedigt oder solche, die zu entwickeln wünschenswert ist. (Okay, das Staunen vor schön gestalteten Schaufenstern kann zu einen „Gebrauchswert“ für sich werden.) Nun basieren Kapitalismus und Sozialismus aber auf Mangel. Wir vergessen nämlich meist, dass die extreme Armut eines Teils der Menschheit notwendige Voraussetzung für den relativen „Wohlstand“ in den Konsumzentren ist, sofern wir selbst im Rampenlicht stehen.

Der Übergang vom „Sozialismus“ zum Kommunismus hat noch einmal etwas extrem Revolutionäres. Es ist ja richtig: Als „ökonomische Gesellschaftsformation“ gehören sie zusammen, weil sie im Großen und Ganzen beide keine fremde Arbeit ausbeutende Klasse kennen. Aber es ist eine andere Frage, was man in einem Teil der Welt erreichen kann, solange es im internationalen Rahmen noch Ausbeuterklassen gibt. Es muss also eine Übergangsgesellschaft mit andauernden revolutionären Ereignissen geben. In dieser Phase waren wir im „Frühsozialismus“. Danach entfaltete sich erst der Sozialismus, indem er das Weltlebensniveau immer allgemeiner und planmäßiger hebt. Immer mehr rückt die konkrete „technische Lösung“ an die Stelle institutionalisierter Ordnung. Wenn ich von „Kommunismus“ spreche, meine ich seine entfaltete Form, bei der es kein Privateigentum an wesentlichen Produktionsmitteln gibt, weil kein Geld sich in Kapital verwandeln könnte. Damit hängt auch etwas Anderes zusammen: Im Sozialismus wird jeder Arbeit ein Wert zugeordnet. Es gibt also neben der konkreten Arbeit eine abstrakte Arbeit, die sie mit anderen vergleichbar machen soll. Der Kommunismus erkennt im Wesentlichen jede Arbeitsleistung als gleichwertig an, was natürlich ein anderes Verhältnis zum Arbeiten voraussetzt, als es heute als normal angesehen wird. (Das heißt ja nicht, dass auch heute schon manchen Menschen vorrangig deshalb arbeiten, weil sie die konkrete Aufgabe lösen wollen. Insofern verhalten sie sich eben kommunistisch.) Wichtig ist auch, dass die Keime des entfalteten Kommunismus bereits in den Phasen des „Sozialismus“ vorgereift werden. Der Übergang von der kapitalistischen Klassenherrschaft zum Sozialismus erfolgt gedreht: Zuerst muss die politische Macht errungen werden, um die neue ökonomische Basis zu gestalten. Beim Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus sind die ökonomischen Beziehungen geklärt, wenn ihre äußeren politischen „Hüllen“ abgeworfen werden.

Wenn die „Springquellen“ der Produktion ausreichend sprudeln, haben wir die Grundlage einer besseren Welt. Aber mit Haken: Zum einen hieße das Vergeudung von Ressourcen. Die junge Sowjetmacht ist daran kläglich gescheitert. Selbstverständlich konnte sie bereits so viel Brot produzieren, dass alle Bürger genug davon gehabt hätten. Doch die Leute „produzierten“ eine sich selbst verwirklichende Prophezeiung: Befangen im Denken der eben nicht toten alten Gesellschaft erwarteten sie das baldige Ende des Experiments, hamsterten … und erreichten so, dass der Bedarf nicht gedeckt werden konnte. (Gut, es gab wesentlich mehr Gründe.) Auch heute griffe die Psyche der Marktgesellschaft ins Geschehen ein. Gäbe es die Autos in Deutschland – wo daran eigentlich ein Überangebot herrscht – umsonst, stellte sich erstmal jeder einen Reservewagen neben seine angestrebte Nobelkarosse, was letztlich einen Mangel schüfe. Wobei wohl der echte Mangel dann in Parkplätzen bestünde. Es müsste ein massives Überangebot erreicht werden, damit sich die Verhältnisse wieder normalisierten. Im Fall der Autos entstände dann als neue „Störung“ für die Allgemeinheit, dass „alles zugeparkt wäre“. Daraus entstände ein „Problemlösungsdruck“.Wenn aber Lebensmittel u.ä. Produkte gehortet würden, so reproduzierten sich immer neue Mangelsituationen von Gütern, die bis dahin noch nicht gehortet worden waren. Allein über die Produktion ist das Problem also nicht zu lösen. Es müssen schon im Sozialismus den Menschen komplette Systeme vorgeführt werden, die ökologisch und funktionsfähig sind.

Wichtiger als Denkanstoß ist aber ein prinzipieller Vergleich von Mechanismen, die den Kapitalismus dem Sozialismus gegenüber überlegen macht … und umgekehrt.

Ein Grundbegriff Marxschen ökonomischen Denkens ist der des „Doppelcharakters“. Also alle Ware hat zugleich einen abstrakten (Tausch-)Wert und einen konkreten Gebrauchswert, ist Ergebnis konkreter Arbeit, die zugleich über (gewertete) Arbeitszeit abstrakte Arbeit ist usw. Für Marx war kaum des Betonens wert, dass jede „Ware“ einen „Gebrauchswert“ haben MUSS – sonst würde sie ja nicht gekauft und somit gesellschaftlich anerkannt.

Prinzipiell ist dies richtig und bis auf die Ebene des Wertgesetzes hinauf kann es so gesehen werden. Aber der Teufel liegt im Detail. Jeder Gebrauchswert ist nämlich konkret und schert sich als solcher einen Dreck um den abstrakten Wert der Ware.

Im Kapitalismus – und mit dem hat sich Marx ja beschäftigt – ist das gesellschaftlich gleichgültig. Man kann entweder zahlen oder nicht. Nur das zählt. Die Elemente der Warenwirtschaft, bei denen dies kompliziert werden kann, werden „ausgelagert“. An sich ist es dabei gleichgültig, ob diese „Auslagerung“ privatwirtschaftlich geregelt wird – also zur „Selbstausbeutung“ eines „selbständigen“ Kleinen führt – oder vergesellschaftet, also durch den Staat finanziert wird. Beim ökonomischen Auftreten des Staates sind nur seine zwei Finanzierungsschienen wichtig: einmal die Beteiligung an allen Einkommen über Steuern, und dann über Kreditaufnahme beim Kapital. Die Kreditaufnahme aber bewirkt letztlich, dass künftige Steuereinnahmen zum heutigen Profit des Finanzkapitals werden.

Die Besonderheit, dass konkrete Gebrauchswerte nur Anerkennung finden, soweit sie ein abstraktes „allgemeines Äquivalent“ im Wert finden, ist dem Sozialismus aber vom Wesen her fremd. Wenig profitable Zonen sind genauso vergesellschaftet wie die Gewinn bringenden. Man möchte also auch den mit „Gesundheit“ versorgen, der dies in keiner Weise bezahlen kann. Es werden Bedürfnisse an Gebrauchswerten befriedigt, ohne dass dies ein Markt erlaubte, sprich: diese potentiellen Werte werden dem prinzipiell vorhandenen Markt entzogen. Er „hungert“.

Andererseits können Waren, die kein individuelles Bedürfnis befriedigen, aber ein klassenherrschaftliches gesellschaftliches (also zum Beispiel die Rüstungsindustrie), nicht als Profitquelle eingesetzt werden. Der sozialistische Staat als Gemeinschaftseigentum bezahlt im Gegenteil die Rüstung mit dem dann fehlenden Wert der Waren, die ansonsten individuelle Bedürfnisse befriedigt hätten. Der kapitalistische Staat bezahlt den privaten Produzenten mit dem vorweggenommenen Gewinn seiner durch die Waffen erzielten potentiellen Macht einschließlich künftiger Steuern.

Das bedeutet, dass eine sozialistische Wirtschaft im unmittelbaren Vergleich mit einer kapitalistischen eine überlegene Arbeitsproduktivität haben müsste, um mit jener überhaupt gleichzuziehen – obwohl sie ihre Eigentümer-Produzenten nicht zur Erhöhung der Arbeitsintensität zwingen möchte, während für den Kapitalisten die Erhöhung der Arbeitsintensität ans „zumutbare Limit“ normal ist.

Wie kann dann eine solche Wirtschaft überhaupt „überleben“?

Zumindest nicht dadurch, dass man den Menschen einzureden versucht, dass wir schon unser Ziel erreicht hätten, obwohl die alltäglich das Gegenteil sehen. Um sich die längerfristige Antwort vorstellen zu können, muss man neue Möglichkeiten weiterdenken. Da es zu DDR-Zeiten keinen neuen PKW „frei“ zu kaufen gab, bestellte „man“ einen. Aus mehreren Gründen war es aber umgekehrt nicht möglich und sinnvoll, dem Umfang der Bestellungen entsprechend die Produktion zu steigern. Also „produzierte“ man verlängerte Wartelisten. Genau dort aber hätte Planung angesetzt. Eine Warteliste ist an sich nichts Schlechtes, solange sie nicht ausufert. Sie bekäme eine ganz neue Rolle, sobald sie den Zugriff auf einen Welt-Reserven-Pool steuerte beziehungsweise überhaupt erst einmal Grundlage für eine „bedarfsgerechte“ Produktion würde. Technisch ist das heute bereits vorstellbar.

Stell dir im Internet ein gigantisches virtuelles „Kauf“-Haus vor. Du kannst dir ja prinzipiell deine Lebensumstände so einrichten, dass sie deinen Wunschvorstellungen nahe kommen. Letztlich ist alles nur noch ein Problem der Distribution. Wie kommen Wunschprodukte und Nutzer real zusammen. Zwar gibt es Typen, die nichts wegschmeißen können. Sollte die Gesellschaft an „Kranken“ scheitern? Manche Problemlage „kippt“ sowieso an bestimmten Punkten. Individuelle Beförderungsgeräte braucht man nur in bestimmtem Umfang … Sie werden zum Störenden, wenn man übertreibt. Der Viertwagen vorm Haus bringt Ärger mit der Gesellschaft in Form des Nachbarn. Die übervolle Kühltruhe wird einfach lästig, wenn Lebensmittel verderben. Dann musst du die Fehlkalkulation entsorgen. Je unkomplizierter du aber Ersatz aus den gesellschaftlichen Depots entnehmen beziehungsweise in solche zurücktauschen kannst, umso häufiger machst du das auch. Wenn die neue Bestellung angeliefert wird, können die Restbestände abgeholt werden.

Klar: Es wird nicht DIE Methode geben. Aber warum nicht ein Versandsystem und Orte, an denen man optimale Kontakte zwischen Produktion und Verbrauch reguliert? Prinzipiell hieße das, dass man keinen der heute bekannten Vertriebswege ganz einsparte. Es würde innerhalb der vielen nur die Bedeutung des Internets steigen. Tauschbörsen. Aber daneben auch „Kauf“-Häuser, in denen man Kleidungsstücke am Körper testen kann. Die Erfassung über ein technisches System (über eines!) schränkt die heute normale Verschwendung von Ressourcen ein – bei Planbarkeit und bei unbeschränktem Zugang aller Weltbürger zum System – auch für die, die heute „Kulis“ sind. Das auszumalen wäre ein lohnender Gegenstand für Science Fiktion. Mir geht es erst einmal nur darum, dass keine Wegwerfgesellschaft allein daraus entstehen muss, dass dich nichts etwas kostet.

Weil dies immer wieder neu auftaucht, ein paar Worte zum Begriff „Planwirtschaft“. Stell mir bloß nicht „Marktwirtschaft“ und „Planwirtschaft“ als Pole entgegen! Das, was mit Blick auf den „Ostblock“ heute „Planwirtschaft“ genannt wird, war wirklich treffender „Kommando-Wirtschaft“ zu nennen, selbst, wenn dies abwertender klingt, als es eigentlich gemeint ist. Zu Zeiten des „Realsozialismus“ des 20. Jahrhunderts war eine echte Planwirtschaft weltweit noch gar nicht möglich. Die grundsätzlichen Beziehungen regelte auch da „der Markt“ mit seinen ökonomischen Gesetzen. Objektiv, also unabhängig vom einzelnen Wollen. Sich gelegentlich andeutende Elemente von solidarischem Miteinander, die es auch gab, erhöhten erst einmal nur die Gesamtkosten.

In heutigen „Marktwirtschaften“ gibt es dagegen diverse Eingriffe in den Markt mit unterschiedlicher Wirksamkeit. Jeder Konzern versucht sich nicht nur in strategischer und operativer Planung, er versucht diese Pläne auch nach innen direkt und nach außen indirekt durchzusetzen. Nach innen administrativ und mit Druck und nach außen über Rahmenbedingungen, die Institutionen von der Art eines IWF so gestalten, dass bestimmtes Handeln mehr, anderes weniger lukrativ erscheint, wodurch eine gewünschte Wirtschaftsentwicklung gefördert und teilweise erreicht wird. Dazu kommt, dass jede „Werbeindustrie“ auch ein Mittel einer pervertierten „Planwirtschaft“ ist, indem sie Bedürfnisse produziert. Jeder sieht, dass es weiter Krisen gibt. Jeder hat aber bisher auch gesehen, dass trotz gigantischen Zusammenbruchspotentials der totale Zusammenbruch immer wieder verhindert, die klassische Konjunkturkurve abgeflacht werden konnte. Solcherart Planung entspricht dem heutigen Niveau der Produktionsverhältnisse und es war eine Anpassung an Realitäten, dass frühsozialistische Ökonomen so etwas für ihr System einforderten – also Marktmechanismen bewusster einzusetzen.

Die damalige Kommando-Wirtschaft sollten wir doch nicht als Maßstab für die Bewertung einer wunderbaren Sache, nämlich einer immer besser funktionierenden Wirtschaftsplanung heranziehen!

Technisch waren bis etwa 1990 nur geschlossene Systeme berechenbar. Das heißt, es waren gewaltsam Bedingungen durchzusetzen, um eine festgesetzte Einzelgröße zu gewährleisten. Die frühe sowjetische Raumfahrt bewies, dass das sogar in sich ihrem Wesen nach besonders stark einer Planung entziehenden Bereichen funktionierte: in der innovationsintensiven Wirtschaft. Die russische Militärtechnik zehrt heute noch vom sowjetischen Forschungsniveau. Aber es ist natürlich keine Planung, zu befehlen, wir müssen x Kräfte auf y konzentrieren … und die anderen müssen sich auch anstrengen. Oder Zahlensysteme zu konstruieren nach dem Prinzip „was wäre, wenn …“

Ich sage nicht, dass das nicht sinnvoll gewesen wäre. Ich sage nur, dass es keine Planwirtschaft war und sein konnte. Dazu kommt, dass ein planbares geschlossenes System einfach nicht existierte. Das hätte Autarkie bedeutet. Also alle Rohstoffe und Produkte hätten innerhalb des eigenen Einflussbereichs gewonnen, verarbeitet und verbraucht werden müssen – ohne jeden Einfluss des „Weltmarkts“. Das war besonders absurd für die DDR, die 1945 fest in eine Gesamtwirtschaft mit industriellen Zentren im Westen eingebunden war. Gab es im Ostraum auch Chemie-Verarbeitung, so doch wenig Maschinenbau und vor allem Stahlwerke. Eine moderne Wirtschaft ist globalisiert. Wirtschaften ergänzen sich. Jeder sollte das machen, wozu er die besten Voraussetzungen hat – wodurch er von Anderen abhängig wird. Selbst wenn diese „Anderen“ die sowjetischen Freunde mit ihren Bodenschätzen sind. Planung wird umso absurder, je mehr man von jemandem beziehungsweise etwas abhängig ist, was man nicht planen, nicht beeinflussen kann. Genauer: sie kann dann sogar gezielt gestört werden (und wurde auch gezielt gestört).

Ein echtes Planungssystem ist eine Vernetzung von geschlossenen Mikro(plan)systemen. Sie erschöpft sich nicht in selektiver Kennziffererfüllung – die natürlich immer etwas willkürlich ist – sondern strebt die Optimierung des Ganzen an.

Ein eigentlich allgemein anerkannter Bereich, in dem man sich heutzutage echte Planung wünschte, ist die globale Klimaentwicklung. An ihr sieht man auch die Komplexität des Problems: Man ist inzwischen in der Lage, immer genauere Modelle zu entwickeln, die Voraussagen über die Veränderungen ermöglichen, denen wir entgegengehen. Nur zeigen sich dann die Grenzen der Produktionsverhältnisse: Zig Vertreter von zig Teilsystemen (Staaten, Unternehmen, Wissenschaftler usw.) hören einander unterschiedlich interessiert zu, sind im Prinzip einig, „dass etwas getan werden muss“ …, aber sabotieren alles, was die eigene Konkurrenzkraft beeinträchtigen könnte.

Planung schließt also ein, dass für alle Beteiligten der gemeinsame Nutzen nicht zum Schaden des Einzelnen wird. In einer Marktwirtschaft – und mag die auch Sozialismus heißen – ist dies aber nicht zu verhindern.

Okay. Ein uneingeschränkt geschlossenes System zum Planen wird es nie geben. Aber es wäre heute bereits möglich, ein arbeitsfähiges Weltsystem in Betrieb zu nehmen. Das erfasste die wesentlichsten Teileffekte. Mit jedem neuen Durchlauf kann es verbessert werden. Vor allem könnte dabei die rein ökonomische Bewertung immer mehr hinter einer ökologischen im engen und weiten Sinn zurücktreten. Anders ausgedrückt: Im Moment stellte sich die Hauptfrage, wie das Lebensniveau der Menschen in den zurückgebliebenen Weltregionen an das der hoch entwickelten herangeführt werden kann, ohne die Lebensbedingungen auf der Erde als Ganzes zu verschlechtern. Dies tritt dann immer mehr zurück hinter die Frage, wie die Lebenswelt Erde insgesamt lebenswerter für alle wird.

Das schließt unter Umständen die Einschränkung von Warenströmen ein, also die Frage, was für die Welt zentralisiert geschaffen werden und was wo einen regional geschlossenen Kreislauf bilden sollte. Diese Frage kann aber erst unvoreingenommen beantwortet werden, wenn nicht der eine die Kosten des anderen tragen soll.

Ich kann mir Massen von Begeisterten vorstellen, die rein aus Hobbytreiberei vor Computermonitoren säßen, um Beispielsysteme auszuprobieren. (Man denke an die „Schwärme“, die an Wikipedia mitarbeiten, die Computerspiele verbessern helfen und Anderes, was es heute schon gibt ohne materiellen Gewinn für die Beteiligten.) Optimierung bedeutet ja immer, den Gewinn an einer Kennziffer mit dem Schaden bei anderen zu vergleichen.

Noch einmal unterstrichen: Echte Planungssysteme bedürfen der Verfügbarkeit über das zu Planende – also einer gemeinschaftlichen Eigentumsform – und des Potentials vernetzter Weltrechentechnik und -kommunikation. Sie sind seit wenigen Jahren technisch real vorstellbar, werden aber durch die gesellschaftlichen Verhältnisse blockiert … eingeschlossen in eine solche „Blockade“ ist auch das Nachdenken darüber. Dass sich Linke dem unterwerfen, sollte uns zu denken geben …

Im Moment aber entstehen gerade makabre „Teilsysteme“der „Planung“ Gegen die potentiellen Millionen (Milliarden) Menschen auf der Flucht vor Armut und Unterdrückung werden Abschottungssysteme entwickelt. Diese Systeme müssten durch eine der Völkerwanderung ins Römische Reich vergleichbare Flut der Unterdrückten niedergewalzt werden. Durch Menschen gemachte Tsunamis an Stelle der Hunnen …

Das hieße aber, dass über Jahrhunderte der Welt-Lebensstandard schrumpfte.

Wir müssen uns das vor Augen führen: Heute können wir alles vorhersehen und die Bedingungen für ein anderes Entwicklungsszenario schaffen. Es muss nicht so kommen. Was tut jeder einzelne dagegen, dass in die Länder, die zu unseren Partnern entwickelt werden könnten, Krieg gebracht wird, Potenzen zerstört werden? Und das Internet verkommt inzwischen zum Weltspionagenetzwerk.

Man bedenke, dass ein Planungssystem „nur“ ständig weiterentwickelt werden müsste, also, einmal aufgebaut, bereits seine Wirkung erzielte, während wir von Not getrieben jeweils nur an die schlimmsten Ecken des chaotischen Systems greifen … und gleich darauf vor dem nächsten Problem des Systems stehen.

Aber welcher Bereich ist der erste?

Vor allem Anderen stehen die Elementarbedürfnisse Trinken, Essen, Fortpflanzen und „Wohnen“. Wir sollten immer im Hinterkopf behalten: Der Übergang zum Kommunismus, nein, die Übergänge zum Kommunismus beseitigen eine unterschiedlich große Masse an Arbeitszeitverschwendung.

Nehmen wir dies als Vorteil: Um einen inneren Produktkreislauf auf vorhandenem Niveau aufrechtzuerhalten, besteht in industriell hoch entwickelten Staaten das größte Potential an sofort verkürzbarer Arbeitszeit. In der Ausdrucksweise der Marxisten hieße das, dort wird heute am stärksten ausgebeutet, da der Durchschnittsarbeiter die wenigste Zeit tatsächlich arbeiten müsste, um seinen relativ (im Vergleich zu den Arbeitern in unterentwickelten Staaten) hohen Lebensstandard zu erhalten.

Noch einmal zurück: Wir können davon ausgehen, dass im Kommunismus jeder „Bürger“ (mindestens) einen „Computer mit Internetanschluss“ (wie immer das dann heißen mag) haben wird. Da der „Versandhandel“ kein eigenständiges Geschäft sein wird, gibt es keinen Grund, warum sich nicht jeder Bürger in eine Art „Angebotsportal“ einloggen sollte. Dort kann er seine Auswahl treffen an Gütern, die er für sich allein verbrauchen und solche, die er zeitlich beschränkt nutzen möchte. Er kann dort auch auswählen, ob er diese Güter nach Hause geschickt bekommen möchte oder an eine Sammelstelle (einen „Supermarkt“), an der er sie abholen kann. Ja, da dies alles ein durchgehend vernetztes System wird, kann er auch zwischen sofort lieferbaren und noch zu produzierenden Gütern wählen. Diese Vorbestellungen sind dann künftige Produktionsgrundlage. Selbst Entwurfsvorschläge sind denkbar.

Natürlich muss es Unterschiede geben zwischen „landwirtschaftlichen Produkten“ mit kurzen Verfallsdaten und Textilien oder Haushaltstechnik im weitesten Sinn. Das Beschriebene bezieht sich logisch auf Güter ohne kurze Verfallsfristen. Technisch aber wäre so etwas heute bereits machbar, stößt aber stets an die Schranke, dass jede Kette ihre eigene Produktreihe verkaufen muss. Ein technisches Konzept für eine optimale Gesamtlogistik zu erarbeiten erfordert zwar viel Vorarbeit, bringt aber letztlich gegenüber dem „Marktsystem“ Gewinne. Schließlich wäre es ein Vorzug, zu Hause vorauszuwählen, was dann „im Laden“ anprobiert wird.

Sicher bedarf es „politischen Modedesigner-Geschicks“, Benutztes als „chic“ zu kreieren. Aber bedenke: Wer heute das Teuerste und Modernste als Besitz vorführt, demonstriert zuerst einmal, dass er es sich leisten kann. Dieses Symbol für „Ich bin ein Leitwolf“ fällt weg. Prinzipiell kann sich ja jeder alles „leisten“. Dadurch gewinnt ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen einen neuen Stellenwert. Man „zeigt“ sich eben als einer der Positiven, wenn man die Arbeit anderer schätzt. Du musst ja nicht gleich als Clochard herumlaufen. Aber ein Verschwender zu sein, bringt öffentliche Minuspunkte. Und warum sollte ich jenes Kleidungsstück gegen ein neues austauschen, das meine Persönlichkeit besonders hervorhebt?!

Ahnst du, wie anders das gegenüber dem gewesenen Sozialismus-Anlauf werden wird? Um dort überhaupt Bestände zu erfassen, hätten schon Unmengen an Lochkarten hergestellt werden müssen. Interessiert war auch keiner. Auf echten privaten Markt hatte man schon verzichtet, ohne etwas Neues an seiner Stelle zu haben … Aber das hätten wir jetzt, verstehst du, Junge, wir könnten, wenn man uns ließe! Entschuldige, ich komme ins Spinnen. Das muss aber auch sein. Zukunft ist nämlich nicht nur Logik sondern auch in die Wirklichkeit geholter Traum. Also müssen wir eben auch mal träumen dürfen, ich möchte das zumindest …

Was aber hat ein Kleingärtner vom kommunistischen „Markt“? Erst einmal wächst der Sonderfall „Selbstversorgung“ mit Spezialitäten (wobei „Selbstversorgung“ eben auch die frischen Brombeeren für die besten Freunde einschließt). Dazu kommt das „Flair“ von Basaren. Man „handelt“ Produkte, indem man sich lobend über sie unterhält und darüber wiederum mit anderen Menschen ins Gespräch kommt. Weil es Spaß macht. Man beachte: Das macht nur einer begrenzten Zahl von Leuten Spaß, aber auf die kommt es an. Der Austausch von Freuden. „Hast du noch mehr davon?“ Andererseits kann aber auch über das Internet bestellt werden, wer von wem seinen Apfelbaum abgeerntet bekommen möchte. Und wieder ist das Ergebnis eine angenehme Bekanntschaft (anderenfalls würde man ja den Kontakt zum anderen sofort abbrechen). Ein lockeres Gespräch erfüllt unter Umständen die Funktion einer „Bezahlung“, ein persönliches Anlächeln, Kontakt eben. Eines ist ja ausgeschlossen: Betrug. Niemand ist in der Lage, einem Anderen eine minderwertige „Ware“ gegen ein „allgemeines Äquivalent“ auszutauschen. Man kann nur das aktuelle Lächeln bekommen, das man haben will. Wie lange der Übergang dauern wird, ist aus heutiger Sicht nicht einschätzbar. Wenn wir von der Unmöglichkeit ausgehen, ignorieren wir aber alle die, die heute bereits gegen den allgemeinen Warenmarkttrend Menschen etwas aus Freude am Erfreuen anbieten. Um wie viel breiter muss dieser Trend werden, wenn nur so belohnt werden kann …

Darf ich zusammenfassen? Stocktrocken?!

Ein grundsätzlich höheres Niveau der Versorgung der Erdbewohner ihren Bedürfnissen entsprechend setzt ein qualitativ hochwertiges Planungssystem voraus. Die Zeit hierfür ist heute bereits überreif, weil wir Menschen fleißig dabei sind, alle irdischen Ressourcen zu verbrauchen. Die technische Seite, ein vernetztes System von hochkapazitiver Rechentechnik, ist seit Ende des letzten Jahrhunderts gegeben, wir haben nur noch die rechtliche Seite zu klären, also dass unterschiedliche Eigentümerinteressen einer gemeinschaftlichen Planung nicht mehr entgegenstehen.

Auf zur Beförderung …

Diesmal

Hinter der Tür

wartet der Weg

über die Straße und

ich sehe ihn voraus,

meinen Sterbflug

durch die Luft

nach dem Aufprall

und was ich nun

nie zu Ende führen werde.

Ich öffne die Tür.

Auf dem Weg

über die Straße

lauert endlich

die Entschuldigung,

nichts zu Ende

zu bringen.

Nehmen wir uns etwas Anderes vor, sagen wir, des Deutschen liebstes Kind, das Auto. Ich möchte hier nicht meine SF-Fantasie ausufern lassen. Niemand kann im Einzelnen voraussagen, wie das Verkehrssystem in kommunistischer Zukunft aussehen wird. Sicher werden über die künftigen „Straßen“ keine heutigen Personenkraftwagen fahren. Es gibt aber Grund, unseren Nachfahren etwas zuzubilligen, das die „Auto“ nennen, also etwas, was individuell ist und selbst fährt (oder fliegt). Diese „Autos“ wären wahrscheinlich wirklich welche: Sie führen also selbst.

 

Zwangsweise keine Möglichkeit zu haben, persönlich das „Steuer in die Hand zu nehmen“ oder „Gas zu geben“ widerspräche dem kommunistischen Individualismus, aber ich denke, im Normalfall heißt es, das Ziel angeben und den „Rest“ erledigt der „Fahrroboter“, der mit Systemen zur Fahrstrecken-Optimierung genauso ausgestattet sein wird wie mit welchen zur Unfall-Vermeidung. Dies entspräche dem Kernziel der Gesellschaft, das Wohlbefinden aller seiner Mitglieder zu erhalten. Keine Ahnung, was gegen groben (jugendlichen?) Unfug gemacht werden wird. Oder ob die „Straßen“ eventuell irgendwann in der Luft liegen könnten. So viel werden sich die Menschen einfallen lassen, wenn es nicht mehr um Profit geht, sondern um Vergnügen am Kreativ-Sein.

Die Planung solcher Systeme und ihre Einführung führte im heutigen Kapitalismus zu langfristigen Schäden für die Menschheit. Es muss ja entschieden werden, wo welche „Anbindung“ geschaffen wird, große Startinvestitionen müssen durch die Gesellschaft getragen werden (heute über Steuern). Das verführt verschiedenste Gruppen, auf solche Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Lobbyarbeit – hast du sicher schon davon gehört. Die Modellrechnungen, die die gesamtgesellschaftlich günstigste Variante ermitteln sollen, sind schwer überschaubar und leicht manipulierbar. Man kann als Beispiel eben nicht nur vergleichen, dass ein fahrendes Elektroauto weniger Abgase ausstößt als ein fahrender Diesel. Man müsste mindestens die Vorstufen, also die Aufwendungen und Schädigungen, bevor Strom aus der „Zapfsäule“ kommt, einbeziehen. Solange es letztlich um den Profit der Beteiligten geht, wird jeder genau die Aspekte herausgreifen, die sein Einzelinteresse wie Allgemeinwohl aussehen lassen.

Bleiben wir beim „Auto“-Verkehr. Heute unterscheiden wir streng zwischen „Individual-Verkehr“ und öffentlichem. Bei dieser Unterscheidung wäre im Sinne der menschlichen Gemeinschaft der öffentliche Verkehr vorzuziehen. Es wäre günstiger für „die Umwelt“ im engsten und weiteren Sinn, wenn in Berlin die S- und U-Bahnen in kürzeren Takten und unentgeltlich führen. Man könnte sich entschieden angenehmer durch die Innenstadt bewegen – übrigens auch die, die im Moment in ihren Wagen steigen. Aber wohlgemerkt: Das wären Maßnahmen des Sozialismus, die relativ schnell erste Entlastungen brächten.

Kommunistisch wäre dies noch nicht. Pauschalantworten sowieso nicht. Und es wäre eben auch nicht kommunistisch, die Besitzer geliebter fahrbarer Untersätze „zu ihrem Glück in der Gemeinschaft zu zwingen“. Die Gesamtentwicklung erlaubt uns aber glücklicherweise positiv zu spekulieren, uns zum Beispiel vorzustellen, dass die Weiterentwicklung der Kommunikationstechnik einen Großteil des Berufsverkehrs und viele Dienstreisen unnötig macht, dass Konferenzschaltungen an Videophonen das Zusammentreffen der Personen in einem Raum fast vollständig simulieren. Auch dass eine sinnvollere Standort-Logistik den Umfang der Warentransporte verringert. Also ähnlich wie bei der menschenfreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt beginnen die Überlegungen zum Verkehr der Zukunft damit, den notwendigen Gesamtaufwand zu vermindern.

Einschneidender wirkte sich unter kommunistischen Vorzeichen aber die Aufhebung des Unterschieds zwischen individuellem und öffentlichem Verkehr aus. Im Moment wird der Individualverkehr gepusht, weil die Firmen der Autoindustrie Umsatz machen wollen und müssen – und sei es dadurch, dass sie möglichst schnell die eine Baureihe durch die nächste ersetzen.

Nun stell dir ein relativ perfektioniertes Verkehrsleitsystem vor, in dem die „Autos“ von Automaten gefahren werden. Das Ergebnis wären halböffentliche Taxen. Sie ständen ihren „Besitzern“ bei Bedarf zur Verfügung, und zwar nicht nur einem, sondern jedem im Wechsel mit anderen. Warum soll man nicht vor Verlassen der Wohnung den Wunsch, nach xy zu kommen, ins System „eingeben“ und draußen taucht dann ein Automat als „Chauffeur“ auf? Das braucht doch Freaks nicht daran zu hindern, ihren speziellen Lieblingswagen zu hüten und nur den zu nutzen. Aber für die Masse der Bürger ist heute schon das Auto nur ein Nutzgegenstand. Denen wäre lieber, sie könnten ein „Taxi“ nehmen und hätten zum Beispiel nie Probleme mit Werkstätten oder technischer Überprüfung. Das Verkehrsleitsystem schlösse ein, dass die „Taxistände“ bedarfsnah lägen – also so wie bei heutigen Taxen an Bahnhöfen morgens in Wohnnähe usw. Solche parkraumfreundlichen „Taxen“ könnten sogar allmählich eingeführt werden. Es muss nur immer darauf geachtet werden, dass jede Verabsolutierung ohne Ausnahmen in Einzelfällen „ungerecht“ und demzufolge nicht „kommunistisch“ wäre.

Sich einen eigenen PKW anzuschaffen, um einmal in Urlaub zu fahren, ist eigentlich absurd. Wer sollte etwas dagegen haben, eine große Reise anzumelden und auch hier steht der „Chauffeur“ pünktlich vor der Tür? Macht ja heute nur deshalb keiner, weil´s so teuer ist.

Das sind alles Systemlösungen, bei denen der Aufwand, sie funktionierend zu betreiben, bereits heute vertretbar wäre – nur nicht der Aufwand, sie aufzubauen. (Und natürlich ist das Ziel des Ganzen, die Menge der Verkehrsmaschinen insgesamt zu reduzieren, „wirtschaftsfeindlich“.)

Nun stelle ich aber immer wieder neu die naive Frage: Wie viele hoch komplizierte Raketensysteme werden heute gebaut, die, technisch veraltet, umgehend durch neuere ersetzt werden? Wie viel unwiederbringliches menschliches Potential verschlingen die nutzlos? Ein einzelner Flugzeugträger kostet Milliarden. Ein Verkehrssystem wie das hier angerissene optimierte ganz nebenbei die Kraftstoffversorgung. Im Gegensatz zu gesellschaftlichen Aufwendungen für Flugzeugträger und Vergleichbares sinken die Kosten, sobald das (zugegebenermaßen aufwändige) Verkehrssystem arbeitet.

Und der „Fortschritt“ verschärft doch weltweit die Probleme nur weiter. Wann sehen die Autofahrer ein, dass ihr Leben ohne Parkprobleme einfacher wäre? Falsche Frage! Richtige Frage: Wann wäre das Leben von „Autofahrern“ einfacher? All das hier Angedeutete bedarf keiner totalen technischen Revolution. Es muss nicht erst das „Beamen“ oder Ähnliches erfunden werden. Prinzipiell sind selbst für die Automaten als Fahrer technische Lösungen vorstellbar; sie bedürften nur eines langen Ausreifens. Aber mit dem muss eben begonnen werden – und er bedeutete eine ganz andersartige Automobilindustrie, richtiger: es bedürfte an ihrer Stelle eine „Verkehrsindustrie“. Heute wäre die besonders in Deutschland nicht erwünscht. Er bedeutete nämlich eine stark reduzierte Zahl zu produzierender Autos insgesamt. Profit und Arbeitsplätze, um die Welt mit unnötigen Autos vollzustopfen.

Der Verkehr in seiner Vielfalt ist eines der Probleme, die durch gemeinschaftliches Denken wesentlich optimiert werden könnte. Das schließt sowohl ein, insgesamt Ressourcen einzusparen als auch es jedem Einzelnen angenehmer zu machen, an einem Wunschzeitpunkt zu einem Wunschort zu kommen … weltweit gedacht. Das könnten wir, wenn wir nicht durch Privatbesitz beschränkt dächten.

Bedürfnisbefriedigungsanstalt Kommunismus

Nach der Geldzeit

1

Ich stell mir vor, worauf man dann, gäb es kein Geld, verzichten kann.

Da hätten erstmal, klar, die Banken, die Aktienhorter abzudanken.

Wir müssten keine Steuern klären, nicht Börsenfuzzis miternähren.

2

Kein Grenzer würde übrig bleiben. Es wär egal, was wir wo treiben.

Kein Polizist hätt´seine Not mit denen ohne täglich Brot.

Nur kleine Reste würden alt bei Schlichtung ohne Staatsgewalt.

3

Kein Phrasenfreund im Parlament verdirbt der Tage Happyend.

Kein Betteln, Kriechen, „Hartz“-Almosen zernagt´ den „Wert“ von „Arbeitslosen“.

Kein Wochenwerk gehasster Stunden wär „unternehmerisch“ verschwunden.

4

Ob Chrysler, Kia, BMW – sie tun der Erde nicht mehr weh.

Als Frage auch im Autofalle bleibt nur, was gut wär für uns alle.

Wär das Profitinteresse weg, ersparte das viel Umweltdreck.

5

Was tausend Kriege schon vernichtet, wird zwar nie wieder neu errichtet.

Doch wärn sie weg, die vielen Waffen, die Tote, Krüppel, Trümmer schaffen,

weil niemand, der sie fabrizierte, noch auf dem Erdball existierte.

6

Tat früher sehr viel Arbeit not, um abzusichern täglich Brot,

bleibt nicht stupides Buckeln, Klotzen, je mehr vor Technik wir nur strotzen.

Wie wenig Arbeit könnte reichen, die Welt an Reichtum anzugleichen.

Das Erdengut, wir werdens teilen, gemeinsam kreativ verweilen,

einander nicht mehr fertigmachen, worüber fremde Konten lachen.

7

Glaubt ihr, dann gäb es nichts zu tun, ein jeder würde geldfrei ruhn?

Man ränge auf dem Erdenrund, dass, wer da lebt, auch wär gesund.

Dafür dann lohnten sich auch Mühen – wer wollt´nicht vor Ideen sprühen!

8

Wär keiner arm und keiner reich, wär überall ein jeder gleich.

Man malte, schriebe, musizierte, man spielte, lernte, fantasierte,

gemeinsam mal und mal alleine, man hülfe Nachbarn auf die Beine …

Welch leben voller Poesie – dahin kommt heut´ nicht Fantasie!

9

Ich stell mir vor, was alles dann, gäb es kein Geld, sich ändern kann.

Doch bin ich dafür leider zu allein. Das muss ein Werk von vielen sein.

Wie viel könnt mensch wohl noch erreichen, zerstörte er nicht Seinesgleichen.

Die Frage, wie „realistisch“ eine Formel „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ ist, habe ich noch nicht beantwortet, richtig. Du ahnst aber, dass ich an die Sache herangehe wie der Indianer, der sagt, Mensch kann kein Stück von Mutter Erde besitzen, und der trotzdem, nein, gerade deshalb schonend mit all dem umgegangen ist, was diese Mutter Erde ihm gewährte.

Dass ich die Frage aufwerfen muss – auch linke Kritik zwingt mich dazu – liegt eben an unserem Denken, das selbst bei Linken von aktuellen Verhältnissen, also unserem Verständnis ausgeht. Also immer wieder: Nach kommunistischen Prinzipien allgemein zusammenzuleben, setzt Bedingungen voraus, die wir zuvor schaffen müssen – solche, die uns teilweise sogar seltsam vorkommen, und solche, die heute einige Menschen bereits angedacht haben.

Wieder müssen wir beim Grundproblem beginnen, was „Bedürfnisse“ sind und wie sie entstehen. Es gibt elementare Bedürfnissen und solchen „gesellschaftlicher Natur“.

Elementare Bedürfnisse sind von der Natur vorgegeben. Wenn der Körper Energie braucht, dann „produziert“ er Hunger, wenn Flüssigkeit erforderlich ist, Durst; „irgendetwas“ muss gegen das Frieren gemacht werden, unter anderem die Spermienproduktion animiert zu schönen Gefühlen, die die Fortpflanzung der Menschheit zur Folge haben … ohne dass ein einziger Sexualpartner auf der ganzen Welt dabei an die „Fortpflanzung der Menschheit“ denken muss.

Alle anderen Bedürfnisse sind „gesellschaftliche“ – selbst solche, die sich auf die Qualität der Befriedigung der elementaren beziehen. Dem Hunger ist es egal, ob er durch Fleisch eines toten Rehs, Kartoffeln, Reis … oder Kaviar befriedigt wird. Es gibt natürlich Übergänge, also für eine „Rundumentwicklung“ wäre es das Beste, sich abwechslungsreich zu ernähren und regelmäßig auf bestimmte Inhaltsstoffe zu achten. Das Niveau der Befriedigung elementarer Bedürfnisse muss für den Kommunismus weltweit auf relativ hohem Niveau gesichert sein. Es darf im weitesten Sinne niemand „hungern und frieren“ müssen – und zwar bedingungslos kein Mensch. Es gibt seriöse Untersuchungen, die dies bereits heute technisch für machbar halten. Wenn ein gebildeter Europäer von „Bedürfnissen“ spricht, denkt er aber meist nicht an die elementaren. Er geht bereits davon aus, dass die befriedigt sind, weil er es im Gegensatz zu Bewohnern der „dritten Welt“ nicht anders kennt.

Schwieriger ist es mit den gesellschaftlich beeinflussten Bedürfnissen. Dort wirken Mechanismen, die wir uns heute schwer wegdenken können, um den Kommunismus zu verstehen, aber zumindest teilweise wegdenken müssen. Den wichtigsten dabei nenne ich „Neid“. Ich würde es heute für wichtig ansehen, dass viele Menschen etwas deshalb besitzen möchten, weil sie wissen, dass Andere das schon haben. Dieser „Neid“ lässt sich in Marxscher Weise noch weiter auseinandernehmen:

Zuerst muss ein begehrbares Gut vorhanden sein. Das Begehren hält sich in Grenzen, solange alle wissen, dass es etwas nicht gibt.

Zum Wesen klassenorientierter Marktwirtschaften gehört das bewusste Wecken des Besitz-Begehrens. Der, der ein beliebiges Gut zur Profit bringenden Ware machen will und muss, will unabhängig von allem Anderen (und sei es die Gefährdung der Gesundheit der Käufer), dass genau sein Gut Anerkennung als Ware findet, er es verkaufen kann. Deshalb drängt er es potentiellen Kunden auf verschiedene Weise auf. Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse unterliegt jeder Mensch (in jeder Gesellschaft) einem andauernden Anpassungsdruck. (Besonders drastisch ist dieser Druck natürlich dort, wo man besonders eng einer Normen bildenden Gruppe angehört, wenn die Anderen zum Beispiel wissen, dass du eben das gerade angesagte Handy NICHT hast.)

Nun wächst Neid zuerst einmal aus dem Wissen um tatsächliche Ungleichheit. Die erste Folge der Ausbeutungsverhältnisse im Feudalismus war keine Revolutionsbewegung, sondern der allgemeine Wunsch, auch zu DENEN zu gehören. Du kennst doch die alten Märchen: Das Ideal heißt da Prinzessin, Prinz, (guter) König. Aber erscheint es nicht einleuchtend, dass immer weniger es für erstrebenswert halten, eine Prinzessin zu sein, wenn a) es keine Prinzessinnen gibt, b) keine Hochglanzpostillen höfische Welten als erstrebenswert darstellen, c) keine wesentlichen Gruppen sich nach einem unerfüllten „besseren“ Leben sehnen müssen und d) es alternative Ideale gibt?

Oder nimm die Mode: Sie ist ja von „Markt-Bedürfnissen“ bestimmt: Damit möglichst viel verkauft wird, muss man dem Kleidungsstück ansehen, aus welchem Jahr es stammt. Das hat zur Folge, dass viele das jeweils Neueste kaufen, um nicht als „unmodern“ abgestempelt zu werden. Ich behaupte nicht, das dies im Kommunismus vollständig verschwinden wird. Es wird aber zurückgedrängt durch die mehr oder weniger dezente Betonung der speziellen Individualität der Einzelnen. Die Zahl derer, die selbst etwas zu ihnen Passendes kreieren, wird drastisch zunehmen. Die Möglichkeiten, solch eigene Kreationen auch umzusetzen, sind ja nicht beschränkt. Sich Ideen zu beschaffen ermöglicht das Medium Internet genauso wie die Schaffung einer eigenen „Modegemeinde“ – die dann eine eigene Produktions- und Vertriebskette organisiert. Das kostet ja nichts außer Ideen und etwas Zeit … und ist eine Frage des Selbstbewusstseins – für die sich Kleidenden, wenn sie eine echte „Stumphusen“ tragen, und für die Stumphusen, dass sie eben „die Stumphusen“ ist. Neu ist nur, dass die normale Massenproduktion aussehen darf wie die Stumphusenkollektion … aber nicht muss, weil kein materieller Status gezeigt wird. …

Sieh aber immer beide Seiten: Auf der einen die manipulierten „Bedürfnisse“, die „der Markt“ erst schafft, fördert, verstärkt und die in dem Moment zu schrumpfen beginnen, in dem es keinen Markt mehr gibt. Man darf also auch keine DDR-Verhältnisse als Maßstab heranziehen, wo natürlich direkt und indirekt die Marktblicke nach Westen bestimmend blieben und der (die) „etwas Besseres“ war, der (die) das hatte, was andere haben wollten.

Auf der anderen Seite werden wir natürlich auch im Kommunismus Bedürfnisse vorsätzlich wecken – nur eben andere. Das setzt bereits im frühen Kindesalter an. Da es in der Absicht der Gesellschaft liegt, dass sich ihre Mitglieder zu allseitig entwickelten Persönlichkeiten entfalten, wird auch der frühkindlichen Ausprägung musischer, mathematischer, sportlicher, wissenschaftlicher, handwerklicher und immer wieder andersartiger künstlerischer Empfindsamkeit eine ganz andere praktische Wertschätzung entgegengebracht, als wir das bisher je erlebt haben (obwohl die DDR-Verhältnisse in diese Richtung gingen). Also nicht in jedem Menschen im Kommunismus wird ein Supertalent entdeckt werden – worin auch immer. Aber es werden anteilig viel mehr Kräfte aufgewandt, um Talente zu wecken und entfalten, vor allem jedoch wird in der Breite die Aufnahmebereitschaft für verschiedenartige „Sinnes-Reize“ erhöht, die Genussfähigkeit gezielt verstärkt werden.

Hier ist sicher am leichtesten zu begreifen, dass das kein abschließend harmonischer Prozess ist. Das tatsächliche Niveau jedes Einzelnen wird unterschiedlich weit hinter den Möglichkeiten zurückbleiben und jeder muss sich mit seinen Mängeln auseinandersetzen. Das wird jeder auf eigene Weise tun. Im Trend aber werden die Möglichkeiten jedes Einzelnen immer mehr erkannt und „ausgereizt“ …

Um sich vorzustellen, dass und vielleicht wie so etwas geht, ein ganz praktisches Beispiel: Wenn du ein Musikstück hörst, unterliegst du unterbewussten „Mechanismen“. Dein Gehör ist nicht allein, aber auch Gewohnheiten unterworfen. Wenn du auf eine Musikrichtung fixiert bist, wirst du eher „schön“ finden, was dem Gewohnten ähnelt. Dies prägten zu großen Teilen Entwicklungszeiten, an die wir uns nicht mehr erinnern können. Oft sind wir aber auch bereit, unterbewusst ein Musikstück eher als „schön“ zu empfinden, wenn es uns als „Hit“ vorgestellt wird oder wenn Freunde es stark finden usw. Mit einer verengten Weltsicht verengt sich auch die Aufnahmefähigkeit für Schönes. Es geht dabei sowohl um das aktive Produzieren von „Schönem“ als auch einfach das Genießen dessen, was andere gemacht haben. Das schließt ein, Harmonien in vordergründigen Disharmonien zu entdecken, Auseinandersetzungen als kreativ annehmen zu können. Das erklärt zum Beispiel mit, warum immer wieder neu Elterngenerationen den Musikrichtungen ihrer Kinder so skeptisch gegenüberstehen, sie häufig nicht einmal als Musik akzeptieren. Wenn du dann nachfragst, ist denen das mit ihren Eltern genauso gegangen, und eigentlich müsste ihnen einleuchten, wenn der nächste Stil für die spätere Generation … und immer weiter so fort …

Vielleicht kann man sich ein winziges Startbild machen, wenn man das System der Sportförderung in der DDR auf alle Bereiche der Persönlichkeitsentfaltung ausdehnte. Also eine Wechselwirkung von „Breitensport“ und „Leistungssport“. Dass dabei nicht jeder „Sport“ mögen wird, ist Element seiner besonderen Persönlichkeit. Um eine solche Entscheidung aber treffen zu können, muss er natürlich in Berührung mit dem „Sport“ gekommen sein. Oder anders: Bach nicht zu „mögen“, weil man nur Bohlen kennt, ist genauso doof wie umgekehrt.

Die Abgrenzungen kommen im Kommunismus fast von allein … aber mit der erworbenen Fähigkeit, das der eigenen Persönlichkeit am ehesten Entsprechende aus einer breiten Vielfalt auszuwählen. Zumindest was Musik angeht, wäre dies heute technisch bereits gut umsetzbar, stößt aber gerade hier auf marktbedingte Schranken.

Es ist einfach etwas Anderes, nach dem Erwerb der nächsten Sache zu „streben“ und, kaum, dass man sie erworben hat, nach der nächsten, als „sich rundum zu entfalten“.

Nicht alle Menschen werden irgendwo super sein – genau das würde ja dem Grundsatz der Vielseitigkeit widersprechen -, aber man kann es „Synergie-Effekt“ nennen, was jene „allseitig entwickelten Persönlichkeiten“ für die Gesellschaft erbringen werden: Leonardo da Vinci hat die Qualität der Leistungen auf einem Gebiet auch aus der Vielseitigkeit der verwirklichten Interessen auf anderen Gebieten gewonnen, Goethe war kein „Genie“ der Farbenlehre … aber seinen Leistungen als Dichter hat die Beschäftigung mit Farben sicher nicht geschadet usw.

Die Zeit der Universalgenies ist zwar vorbei. Die Zeit der vielseitigen Menschen aber bricht erst mit der kommunistischen Gesellschaft an – und diese Menschen werden „modern“ sein. Ihretwegen wird es wenig bedeutsam sein, ob alle mitmachen – es reicht, wenn, mit einem schrecklichen heutigen Wort bezeichnet, die „Leistungsträger“ in den Superkreativen ihre Vorbilder sehen. Anerkannte Vorbilder aber besitzen Sogwirkung. Insofern kommen Schul-Coaches (um nicht „Lehrer“ zu sagen) viel größere Bedeutung zu. Sie sind eine von mehreren Gruppen, die darauf achten müssen, dass sich Jugendgruppen keine ihre Mitmenschen missachtenden Idole wählen.

 

Wir sind heute zu wenig in der Lage, „Neben-Fähigkeiten“ zu nutzen und schätzen. Selbst ein „Partylöwe“ ist eben mehr als ein Nichtsnutz. Praktisch ist er doch jemand, der für Augenblicke die Laune seiner Mitmenschen zu verbessern vermag. Vielleicht ist das genau die Laune, die ihnen bisher (leicht übertrieben) für die nächste Erfindung gefehlt hat?!

Wir haben es mit einer total anderen Welt zu tun: Wenn wir das Wirken der dann bereits funktionierenden Roboter berücksichtigen, so bleibt an Tätigkeiten, die wir heute im weitesten Sinne als Arbeit bezeichnen, weniger als acht Stunden übrig … pro Woche. Sofern es sich dabei um Arbeiten handelt, die nicht von „zu Hause“ aus erledigt werden können, die also die körperliche Anwesenheit des „Arbeitenden“ erfordern, lohnt sich ein Arbeitsweg aber erst bei einer ausreichend langen Arbeitszeit.

Es gibt mehrere Lösungen:

Für einen Teil der Menschheit wird die „klassische“ Arbeit zu einem „Luxus“, um den sie sich bemüht, weil sie darin den Weg zu ihrer Selbstentfaltung sieht. Dazu gehören die wachsenden Anteile von Umlernzeiten, in denen die, die keine Fachidioten sein möchten, ihre Fähigkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen erweitern.

Vereinfachend sage ich „für einen anderen Teil der Menschheit“ (obwohl dies oft dieselben Menschen sein werden) beginnt die freie Suche nach erfüllender Tätigkeit in Künsten im weitesten Sinne. Die Übergänge zwischen dem was wir heute in „Hobby“ und „Kunst“ unterteilen würden, werden fließender. Da jeder sich dazu bekennen kann, was er so treibt, finden sich auch weltweit gleich Gesinnte zusammen. Letztlich erfüllen sie füreinander, aber eben auch für andere die „Funktion“, Freude zu bereiten. In verschiedenartigsten Umfelden begegnen sich Menschen und kommunizieren.

Insofern verselbständigt sich auch die Kommunikation als solche. Sich frei mit anderen Menschen auszutauschen ist wieder normaler Bestandteil des Lebens – weil es keinen gesellschaftlichen Beschränkungen unterliegt. Keine Kommunikation ist im Gegensatz zu den vorkapitalistischen „Gemeinschaften“ durch die Natur – oder wie im Kapitalismus durch ein entfremdetes Arbeits- und Erwerbsleben – erzwungen: Der Urmensch brauchte seine Gruppe zum Überleben. Die Gruppenmitglieder hingen aneinander und mussten daraus das Beste machen. Der Bauer im Feudalismus war an seine Scholle „gefesselt“ und musste ein Verhältnis zu seinen Nachbarn schaffen. Der Mensch im Kommunismus kann zu jedem Mitmenschen bewusst seinen Weg suchen … oder es bleiben lassen: sich in eine Internet-Gemeinde einfinden, jemanden ansprechen, jemanden besuchen, jemanden auf Veranstaltungen treffen … oder eben bei einer Arbeit, die beide von vornherein interessant finden – sonst hätten sie sie ja nicht gewählt. Er kann der Masse seiner Mitmenschen aber eben auch bewusst aus dem Weg gehen. Er wird sich aber tendenziell schwerlich selbst aus aller Gesellschaft isolieren, weil dies die Lebensfreude mindert …

Andererseits hatte begleitende Kommunikation einen eigenen Wohlfühleffekt, bevor sich die kapitalistisch reine entfremdete Arbeit durchsetzte. Viele Menschen hatten eben Vergnügen daran, sich bei ihren Handarbeiten mit den Nachbarn zu unterhalten. Der Ertrag war nicht akkordhoch, aber die Stressschäden der Beteiligten waren deutlich geringer, würde ich einmal behaupten. Solche Situationen werden im Kommunismus wieder normaler sein …

Und eines darfst du nicht vergessen: Jedem Menschen steht frei, Dinge zu tun, die wir heute „direkte Demokratie leben“ nennen würden. Die Zahl der Foren wird sehr groß sein, in denen Fragen des „gesellschaftlichen Zusammenlebens“ diskutiert und letztlich entschieden werden, Projekte, die „Investitionen kosten“, Entscheidungen, die von Bedeutung nicht nur für Wenige sind. Im Prinzip kann jeder ein solches Forum gründen oder sich einem anschließen. Es wird nur der organisatorischen Sicherheit wegen Schlichterräte und Sprecher geben. Weltweit, regional und fachbereichsbezogen. Ich hatte ja schon begründet, dass die Masse an Möglichkeiten verhindert, dass jeder überall mitredet und damit jede Entscheidungsfindung zähflüssig ermüdend wird. Man wird sich entscheiden müssen, wo man kompetent sein und mitreden will.

 

Einen Bereich habe ich noch nicht angesprochen: die Fortpflanzung. Noch mehr als in den anderen Lebensbereichen überlagern sich Gemeinschaftliches und zutiefst Persönliches. Als gesellschaftliche Frage muss gemeinschaftlich geklärt werden, wie Wirrköpfen der heutigen Art „Deutschland schafft sich ab“ der sachliche Boden entzogen wird. Die neue Frage hieße in etwa „Was ist Menschheit für die nächsten Jahrhunderte?“ Das könnte das größte „Forum“ überhaupt sein. Der makabre Zyklus der Vergangenheit muss verschwinden: Bisher war Bevölkerungswachstum in Erwartung kommender „Katastrophen“ (und seien sie als „Krieg“ menschengemacht) ein Ziel, um die Bevölkerung überleben zu lassen. Die Bevölkerungszahl wuchs mit den verbesserten Überlebensbedingungen. Die Entscheidung für oder gegen Kinder wird auch heute noch durch Existenzängste beeinflusst. Die Pille bedeutet erst einmal die technische Möglichkeit, bewusst zu planen und entscheiden. Wie wenig „frei“ bisher trotzdem entschieden wird, belegen heute „Planungen“ in China und Indien. Entweder erzwingt administrativer Druck einer Führungsgruppe die für die Entwicklung künftiger „Harmonie“ als notwendig angesehene Ein-Kind-Ehe oder materielle Traditionen und Existenzängste bewirken Massenabtreibungen von Mädchen.

Doch auch für den Kommunismus ist die Frage legitim, wie viele Menschen „vernünftigerweise“ auf der Erde leben sollten, also wie viele Milliarden für die Umwelt Erde eine Katastrophe wären – selbst, wenn die Versorgung solcher Massen gesichert wäre.

Kinder sind im Kommunismus nur noch im Dreieck von Liebe, Verantwortung und „Individualität“ zu sehen. Nichts wird letztere von Natur aus so eindeutig ausdrücken wie eigene Kinder. (Individualität ist auch die Fähigkeit und Bereitschaft zu dauernder Verantwortung für Andere.) Man wird sich viel freier für oder gegen das Kinder bekommen und aufziehen entscheiden.

Wenn wir unterstellen, dass die kommunistische Gemeinschaft nicht mehr an heute eingeleiteten ökologischen Katastrophen zu leiden haben wird (zum Beispiel massenweisen genetischen Schädigungen durch radioaktive und andere Umweltbelastungen), also dass der Untergang der kapitalistischen Verhältnisse „weich“ gelingt, wird sicher eine weitere „Senioren-Generation“ entstanden sein: die Ururgroßeltern. Während eine bewusste Manipulation der Kinderzahl in beide Richtungen vorstellbar ist – also Kampagnen „Schafft euch mehr oder schafft euch weniger Kinder an“ – kann die kommunistische Gesellschaft beim Umgang mit älteren Menschen nur in eine Richtung denken: weg mit Krankheiten und Verfall. Da ist auch Erfolg wahrscheinlich: Die lebenden Menschen werden älter und sind länger zu umfassender Aktivität fähig. Wenn die Familien weiter gleich viel Kinder bekämen, würde die Weltbevölkerung noch einmal sprunghaft anwachsen.

 

Dies macht unter anderem den Weg freier für vielfältigere Lebensentwürfe, also auch zu solchen, in denen „egoistischerweise“ keine Kinder vorkommen, „man“ sich dann in angenehmem Umfang „nur“ um biologisch fremde Kinder kümmert.

Spaß haben, nur um für den Moment Spaß gehabt zu haben, lässt die Betroffenen verkümmern. Aber auch Workaholics sind deformierte Persönlichkeiten. Auf Dauer kann es ja nicht gesund sein, sich mit Arbeit betäuben zu wollen … Je mehr du bereits als Kind gelernt hast, womit du dich alles beschäftigen könntest (ohne damit gequält worden zu sein), umso mehr wirst du es in deinem langen Leben auch wirklich ausprobieren wollen. Als eines von vielem gehört die „Kommunikation“ mit Kindern dazu. Wie gesagt: unabhängig von biologischen Beziehungen werden Kinder eine Vielzahl von Partnerschaften erleben, die mit Beziehungen zu „Großeltern“ und guten Tanten und Onkeln vergleichbar sind.

Die Entfaltung des Bedürfnisreichtums der heranwachsenden Menschen bekommt einen total neuen Stellenwert, sobald sie nicht, zumindest im „normalen“ Einzelfall, existenzielle Probleme heraufbeschwört. Bei allen Problemen, die Kinder auch bedeuten, ist eines weg: Die Frage, wie soll ich sie / müssen die mich versorgen. Sie steht allein im großen Rahmen „Menschheit“, also überspitzt: Wenn jede Familie 10 Kinder bekäme, bliebe dann genug Sauerstoff zum Atmen? Die Kinder sind trotzdem einer der wenigen verbleibenden Zwänge. Wer auch immer die Bezugspersonen sein mögen, es müssen welche da sein. Das können biologische Eltern genauso gut sein wie Wahleltern, eine Mehrpartnergemeinschaft und anderes. Nur relativ stabil müssen diese Beziehungen sein.

Ich reibe mich hier an dem konventionellen Familienbild, das auch Friedrich Engels vertrat. Wahrscheinlich wird es im Kommunismus etwas geben, das den Namen „Familie“ tragen kann. Aber selbst dabei ist eine Mann-Frau-Beziehung mit dazugehörigen Kindern eine unter vielen Formen. Inwieweit „Wohn- und Lebensgemeinschaften“ eine große Rolle spielen werden, ist von unserem Horizont aus schwer zu bewerten; wahrscheinlich in einer neuen Zweckgemeinschaft von Individuen eine größere als heute.

Der Mietkostendruck ist genauso weggefallen wie wirtschaftliche Abhängigkeiten verschiedenster Art innerhalb konventioneller Ehen. Warum sollten kommunistisch lebende Menschen nicht als Totalindividualisten leben, vor allem aber wohnen? Also jeder Einzelne hat einerseits einen kleinen Bereich allein für sich, der sich andererseits leicht verbinden lässt mit unterschiedlich ausgerichteten „Gemeinschaftsräumen“ unterschiedlicher Sympathie- und Zweckgemeinschaften? Das wäre eine Komplexlösung für große Wohnobjekte.

Letztlich muss man ja alles neu denken: Wie viele Einfamilienhäuser mit großen Gärten es gibt, regelt heutzutage „der Markt“. Nun wäre es eine grausige Zukunftsvision, wenn das von Marx beschworene Verschwinden des Unterschieds von Stadt und Land so aussähe, dass die bewohnbaren Teile der Erde von einer einförmigen ewigen Stadt inmitten von „Futtermittelwerken“ bestünde. Und diese Stadt bestünde wiederum aus lauter Einfamilienhäusern. Jedem sein kleines Glück. Es wäre schon heute ernüchternd, auszurechnen, wie viel „Lebensraum“ jedem einzelnen heutigen Menschen so zustünde.

Die Wohnverhältnisse spiegeln die Lebensverhältnisse wider. Die aber können die kommunistischen Menschen bewusst gestalten. Sie haben ja jenen Büro- und Arbeitsstress nicht mehr, nach dem sie eine Schrebergartenidylle zum Abtauchen brauchten. Man kann mehr ausprobieren. Warum keine Gemeinschaft einer Wohnblocketage? Es ist ja vieles leichter, wenn es nur noch darum geht, wer welchen geliehenen Gegenstand vergessen hat zurückzugeben, aber nicht mehr etwas gestohlen werden kann. Man kann also den Nachbarn eher trauen. Es bedarf nur der Anstöße zusammenzukommen. „Facebook“ ähnliche Netzwerke ohne Hintergedanken und mit der Aussicht auf mehr. Eben ohne Druck, sich aus einem anderen Grund für eine Variante zu entscheiden als seine individuelle zu finden. Heute merkst du ja erst später, ob du auf Abzocker oder eine Form der Prostitution hereingefallen bist. Umzüge werden nur noch ein Problem, weil sie organisatorisch Mühe bereiten können. Aber du musst nicht unbedingt mit allem möglichen Hausrat umziehen – du brauchst nur mitzunehmen, was dir persönlich besonders wichtig ist, die Grundausstattung kann in der neuen Wohnung bereitstehen.

Auch hier gibt es eine klare Trennung: Jeder hat überall das, was zweckmäßig ist. Er machte sich in der großen Gemeinschaft „unmöglich“, wenn er nicht sorgsam damit umginge.

Wir kreisen immer wieder um bestimmte Grundpfeiler des Zusammenlebens. Da die Menge der Sanktionen klein ist, verbindet sich das riesige Maß an individueller Freiheit mit gesellschaftlicher Offenheit. Es ist (wieder) selbstverständlich, dass man weiß, was bei den Anderen los ist. Nur so kann ja Verhalten missbilligt werden, das das Gemeinschaftsleben schädigt. Weil man viel miteinander zu tun hat, wird für dich zur harten Strafe, wenn die anderen mit dir nichts zu tun haben wollen …

Aber du hast ja am meisten Probleme mit dem Gedanken, dass jemandem Arbeit überhaupt ein Bedürfnis sein kann. Dabei könntest du dich gründlich umsehen und dir fielen bestimmt Leute ein, die auch ohne den ganzen Kommunismus-Kram wirklich Arbeiten gehen, weil sie das, was sie da machen, gern machen. Ich spitze das sogar noch zu: Es gibt auch in der Gegenwart zwar wenige, aber doch einige Firmen, die sich eine Arbeitsorganisation leisten, als hätten sie schon den Kommunismus erreicht. Im Wesentlichen kommen und gehen die Mitarbeiter dort wie sie wollen.

Das Ganze nennt sich Holacracy. Das ist der Name für eine in bestimmten „kapitalistischen“ Unternehmen tatsächlich umgesetzte „kommunistische Organisation“ der Arbeitsabläufe. Viele der dabei verwendeten Begriffe und Überlegungen sind allerdings nur mit virtuellen Kneifzangen anzufassen.

Es geht um Organisation von Arbeit. Nicht hierarchisch organisierte Abläufe, sondern „Getting Things Done Methode“, also einfach Formen der Selbstfindung von Strukturen, die nur darauf ausgerichtet sind, dass zum Schluss das Beabsichtigte herauskommt.

Wenig verwunderlich finde ich, dass die ersten praktischen Erfahrungen aus einer Software-Firma stammen. Ähnliche Tendenzen gibt es überall dort, wo die geistige Verantwortung des einzelnen „Mit-Arbeiters“ für das Gesamtprodukt besonders groß ist.

Mit der Verwunderung begeisterter Kinder suchen Betrachter bestimmter Insellösungen dem Beobachteten wissenschaftliche Namen zu geben. Gibt es so etwas wie eine „kollektive Intelligenz“, mitunter auch „Schwarmintelligenz“ genannt? Unerklärlicherweise funktioniert es, dass sich dabei Teams / Kollektive zielobjektbezogen selbst „Leitungsebenen“ wählen. Also etwas schräg ausgedrückt: Die Mitarbeiter bestimmen, wer wann in welchem Umfang über sie zu bestimmen hat.

In so „anarchisch organisierten“ Firmen bestehen meist nur minimalste Anforderungen an einzuhaltende Arbeitszeiten, Anwesenheit und anderen äußeren Druck. Das Merkwürdige: Es bricht nirgendwo „Anarchie“ aus. Zwar kommen und gehen die Kollegen, „wie es ihnen gefällt“, aber sie arbeiten dabei nicht weniger sondern bewusst mehr. Die Betrachter stehen vor einem Rätsel: Ohne Kontrolle, Stechuhren oder Ähnliches, ohne, dass man irgendeine Form bemerkte, in der sich die Kollegen gegenseitig kontrollierten … verhalten sich alle, als kontrollierten sie sich mit einem unsichtbaren Mechanismus eben doch. Dies war dann der Ansatz, solche biologischen Vergleiche wie „Schwärme“ heranzuziehen, bei denen sich „irgendwie“ die Einzelwesen sehr effektiv in ihrem Verhalten am Kollektiv, der Masse, dem Schwarm orientierten. Da müsse eine besondere „Intelligenz“ wirken, meinten die in ihrer Denkwelt Befangenen und wunderten sich noch über etwas Anderes: Der tierische „Schwarm“ ersetzte individuelle Intelligenz, bei Menschen fiel dies „Organisationsprinzip“ (?!) besonders bei intelligenzintensiven Tätigkeiten auf.

Ohne dies soziologisch oder auf welche Weise auch immer auszudeuten, können wir durchaus einige Schlussfolgerungen für künftige Gemeinschaften ziehen. Dabei müssen wir uns allerdings vor Verallgemeinerungen hüten, wie man sie mitunter bei occupy-Aktivisten antrifft. Die vorliegende Klassensituation – und wir müssen bei jeder Betrachtung davon ausgehen, was gerade da ist – produziert vorsätzlich in dem hier gedachten Sinn „dumme“ Menschen. Das ist kein Werturteil, sondern nur Ausdruck dafür, dass den meisten Menschen nicht wirklich all die Denkstrukturen vermittelt werden, um für ein Ganzes mitzudenken. Wer die Gesellschaft als Ganzes nicht begreift, kann zumindest bezogen auf diese „Gesellschaft als Ganzes“ in keine Richtung steuern. Jener seltsame „Schwarmeffekt“, nämlich dass eine Gruppe wesentlich bessere Ergebnisse erbringt, als dies der Summe der einzelnen Mitglieder nach möglich zu sein scheint, setzt immer eine „elementare Gemeinsamkeit“ voraus. Also wenn jeder das Gesamtziel „weiߓ, organisiert sich die Masse so, dass die Aussicht auf Erreichen des Ziels am größten ist – in gewisser Hinsicht tatsächlich „spontan“.

Aber zur Perspektive.

Schon im Sozialismus ist die „Notwendigkeit“ weggefallen, dass „der einfache Mann“ die Funktionsweise der Gesellschaft nicht versteht, weil er sie dann radikal ändern wollte. Er soll sich im Gegenteil fürs Ganze verantwortlich fühlen, soll die Solidarität mit ihm individuell fremden Menschen als nützlich begreifen. Also die Voraussetzung des Kommunismus wäre, dass die dort lebenden Menschen wirklich möglichst gut begriffen haben, wie ihre Gemeinschaft funktioniert. Gleichzeitig fallen jene Elemente des Zusammenlebens weg, die uns unmittelbar korrumpieren könnten.

Unter solchen Vorzeichen, versuchte ich schon anzudeuten, verändert sich auch der technische Charakter der Arbeiten. Tätigkeiten mit vorsätzlicher Verantwortung wie bei den Holacracy-Beispielen nehmen zu, solche, bei denen abgestumpfte Massen die Kommandos Macht besitzender Vorarbeiter ausführen, verschwinden allmählich. So wie Fließbänder, denen Arbeiter getaktete Handreichungen machen müssen, durch vollautomatisierte Abläufe ersetzt sein werden.

So wie solche vereinzelten Organisations-“Wunder“ unter den heutigen Bedingungen der durch die Warenwirtschaft geprägten Menschen Insellösungen bleiben werden, so beweisen sie gerade in ihrer Existenz im eigentlich ungeeigneten Umfeld, dass sie bei geeignetem zur „Normalität“ werden könnten. Sie werden aber auch dann nicht die einzige Form des Zusammenarbeitens sein.

Eine insgesamt reiche Gesellschaft kann sich eine allgemein größere Vielfalt von Bedürfnissen erlauben. Das schließt „Sonderbedürfnisse“ nicht aus. Entscheidend wird aber sein, in einem extrem langfristigen Prozess eine Bedürfnisstruktur auszubilden, die wirklich den Ausdruck „allseitig entwickelte Persönlichkeit“ rechtfertigt.

Wie sich MEINE Persönlichkeit entwickelte, möchtest du wissen? Na, ich habe ja nicht im Kommunismus gelebt. Ich bin also keine solches Ideal geworden. Aber du erinnerst dich, dass ich im Bildungsbereich eines Außenhandelsbetriebes gelandet war?

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (4)

Lied vom schwarzen Schaf

Sind wir in unsre Zeit
als Schaf hineingeboren
in eine Herde, die nur folgsam bleibt?
Der Hunde Bellen klingt
vertraut in unsren Ohren.
Und richtig scheint, wohin der Schäfer treibt.
So schwarz erscheint das Schaf, das dagegen spricht.
Oder nicht?


Wir sind so dankbar glücklich
für den grünen Rasen,
den wir bekauen, bis kein Halm mehr steht;
wir sind gehorsam, wenn
die Hörner blasen,
dass es für uns zum Scheren geht.
So schwarz erscheint das Schaf, das dagegen spricht.
Oder nicht?


Doch hofft ich, dass wir Menschen werden,
die nicht den Schafen gleichen hier auf Erden,
mit Geist an Stelle geldzerfressnem Gammel,
nicht eingepasst in eine Herde Hammel.
Uns fehlt das schwarze Schaf, das dagegen spricht.
Oder nicht?

Ohne den DDR-Staat abzulehnen (allerdings auch nicht kritiklos anzunehmen), fand ich eine Nische genau für mich. Nur hatte mein „Nischendasein“ Formen, die nicht nur ihrer Zeit weit voraus waren, sondern heute schwer vorstellbar sind. Gut … Die Abteilung war in wechselnden Wohnungen untergebracht, also nicht auf dem Betriebsgelände. Die Kollegen hatten alle gut voneinander abgegrenzte Verantwortungsbereiche. Der Abteilungsleiter schirmte uns vertrauensvoll ab. Insoweit waren die organisatorischen Voraussetzungen für hohe Eigenständigkeit günstig.

Meine Aufgabe war eine Dienstleistung für das Kombinat. Der Außenhandelsbetrieb war zuständig für die Tätigkeit aller Kombinatsbetriebe im Ausland. Alle diese „Reise- und Auslandskader“ hatten vor ihrer ersten Auslandsdienstreise (und dann rhythmisch) einen Lehrgang zu absolvieren. Was dort Gegenstand sein sollte, war in allgemeinen Ministeriumsplänen festgehalten. Allerdings waren die genau genommen ein geballtes Gesamtstudium Außenwirtschaft, Weltanschauung und Menschenqualität / Benehmen in der Öffentlichkeit in einem. Also so weit gefasst, dass auf jeden Fall vom großen Plan abgewichen, sprich: gestrichen werden musste. Was das war, blieb den Bedingungen vor Ort überlassen. Ich hatte die tatsächlichen Lehrgänge zu planen und diese Planung praktisch umzusetzen. Dabei hatte ich freie Hand, woher ich welche Dozenten gewann (aufs Inland beschränkt). Es wäre überhaupt nicht aufgefallen, hätte ich einige Tage nur Privatangelegenheiten erledigt. Da wäre ich eben auf Dozentensuche gewesen.

Das Maß an Kreativität bei der Arbeit war sehr hoch. Ich hätte zwar auch ohne anzuecken etwas „zum Abhaken“ machen können, aber gerade weil ich es selbst wollte, jagte ich laufend Verbesserungen hinterher. Seltsamerweise schlug das besonders die schwächsten Glieder der Abteilung in den Bann. Wir „Verantwortungsträger“ teilten uns nämlich eine Sachbearbeiterin / Schreibkraft, die nach Bedarf für jeden von uns Hilfsarbeiten zu erbringen hatte. Die erste war aber oft in Gedanken (und mindestens am Telefonhörer) beim Bändigen ihrer pubertierenden Tochter (sie war allein erziehend) – also „abwesend“. Ihr Ruf war demzufolge wenig berauschend: Faul, quatscht viel, hat von nichts Ahnung … usw.

Ich war nicht ihr „Chef“. Aber ich nutzte sie zum Ideentest und für organisatorische Aufgaben sehr komplexer Art. Ergebnis: Sie blühte allmählich auf. Sie entwickelte Vergnügen an der (Mit-)Lösung von Problemen, die nicht von vornherein lösbar schienen. Sie brachte sich in immer beeindruckenderem Umfang in die Arbeit ein. Schließlich wuchs in ihr Stolz darauf, was WIR geschafft hatten. Bei ihrer jüngeren Nachfolgerin war dies noch stärker. Während sie von den Anderen behandelt wurde wie jemand, von dem man wenig hielt, konnte sie sich neben mir voll entfalten. Abgesehen davon, dass sie durchaus intelligent war, verstanden wir uns gut zu ergänzen. Über ihre weiblich charmanten Umgangsformen verfügte ich nun mal nicht – jeder zog aus dem Anderen die größten Nutzeffekte, zusammen erreichten wir ein Niveau, auf das wir uns einiges einbilden konnten und das jeder für sich allein nie erreicht hätte.

Beide Sachbearbeiterinnen wuchsen über sich hinaus, indem sie fast selbständig gestellte Aufgaben lösten … im Gefühl, dass eine schwierige Aufgabe von ihnen (mit) gelöst werden würde, weil genau sie das ihrer ganz persönlichen Qualitäten wegen lösten. An sich Banalitäten. Aber es kann schon beeindrucken, wie weit Menschen über ihren Schatten springen können, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Bei beiden Kolleginnen war die unterschwellige Verachtung, die ihnen meist entgegengebracht worden war, nicht von vornherein unberechtigt. Beide aber entfalteten eigene Qualitäten, sobald die als wertvoll angenommen wurden.

Also fleißige Ameisen sind wir nicht geworden, aber … Oh, da wäre mir beinahe etwas passiert, was ich bei Anderen beanstandet hätte.

Warum das Bild der fleißigen Ameisen nichts mit Kommunismus zu tun hat

Dialektik

Mache

was man dir sagt

anders.

So

beweise,

du hast verstanden.

Du darfst dir Kommunismus nicht als Masse gleichgeschalteter Arbeitswütiger vorstellen. Am besten noch unter Kontrolle eines Überwachungsprogramms, das für Fleiß Glückshormone freigibt.

Sagen wir einmal, um etwas zu veranschaulichen, gebraucht mancher künstlerische Bilder (Metaphern) aus dem Tierreich. Natürlich stimmen die nie. Wer als „Ochse“ bezeichnet wird, ist im Regelfall zeugungsfähig und Mensch geblieben. Allerdings werden den Tieren bestimmte markante Eigenschaften zugeschrieben, die dann das menschliche Verhalten zuspitzen.

Das ist nicht nur bei den Ameisen problematisch. Sie als Sinnbild für Fleiß zu benutzen, ist mindestens gewagt. Nicht dass sie „faul“ wären, aber „Fleiߓ setzte einen bewussten Vorsatz voraus. Den kann man der einzelnen Ameise beim besten Willen nicht zuschreiben – auf jeden Fall nicht mehr als beliebigen anderen Tieren, die das jeweils Nötige tun, um ihre Art zu erhalten.

Wenn man aber das „Unermüdliche“ hervorhebt, mit dem sich die einzelne Ameise in den „Dienst“ ihres Volkes fügt, mit der sie an ihrem Platz im Sinne ihrer Gemeinschaft wirkt, dann wird es zu einem verleumdenden Bild, sobald man es auf künftige kommunistische Verhältnisse anwendet.

Das einzelne Tier weiß ja überhaupt nicht, was es tut. Es ist auf Arbeiter, Soldat usw. „programmiert“ und arbeitet dieses ihm zugeteilte Programm ab. Es ist eben nur ein natürliches und kein Computerprogramm. Der einzelne Mensch im Kommunismus weiß sehr wohl um die Funktionsweise der Gesamtgesellschaft und seine Rolle darin. Er kann sie relativ frei wählen und nach seinen aktuellen persönlichen Bedürfnissen auch wechseln.

Arbeitseifer und unermüdliches Schaffen sind dabei nur zwei Arten unter vielen, sich einzubringen. Sicher wird es die geben, aber sie werden nicht die vorherrschenden sein. Genauer: Nur bei denen, denen gerade „Arbeit“ besonders viel Spaß macht, denen sie große Erfüllung bedeutet. Wozu sonst baute man immer bessere „Roboter“, die selbst „Roboter“ fertigen, um alles Stupide zu minimieren?

Trotzdem werden wohl auch Menschen teilweise diesen Maschinen bewusst Arbeit wegnehmen. Nicht, weil es zum Überleben der Menschheit bedeutsam wäre, sondern weil bestimmte Arbeiten, wenn man ihren Umfang selbst bestimmen kann, einfach Vergnügen bereiten und es die Qualität verbessert – im Sinne, dass größere Vielfalt immer besser ist und „Handgemachtes“ seinen eigenen Reiz hat beziehungsweise „besser schmeckt“.

Keine Ameise käme auf solche Ideen! Wer also Kommunismus als Ameisenhaufen illustriert, stutzt die dann Lebenden auf relativ stumpfe Workaholics zusammen. Er billigt ihnen nicht zu, dass sie nach einem Ballettbesuch einfach nur ihre Lust ausleben könnten mit einem / einer, der / die das auch gerade will … und dazu in den Hauptrechner eingeben, dass sie am Folgetag am Arbeitsplatz vertreten werden möchten. Allerdings werden sie später kurz ihnen Speicher abrufen, ob sich Ersatz gefunden hat, und wenn nicht, die vorgesehene Aufgabe dann doch angehen. Weil sie nämlich um die Bedeutsamkeit ihrer Arbeit wissen. Aber ich glaube, meistens wird sich eine Vertretung finden. Du könntest umgekehrt ja in dieselbe Verlegenheit kommen. Und die, die das überstrapazieren, sind schnell entlarvt.

So ein klein wenig wird jedem bewusst sein, dass da irgendwer dafür arbeitet, dass ihm „der Strom aus der Steckdose kommt“. Etwas muss „man“ zurückgeben. Das wird im Vergleich zu heute per Saldo weniger sein … auch, weil die Grenzen zu „Privatem“ viel fließender sein werden, wenn man neben den eigenen auch die Nachbarskinder betreut. „Privates“ aber dürfte Ameisen unbekannt sein … Um es einmal so zu sagen: Der durchschnittliche Mensch im Kommunismus ist „natürlich fleißig“. Er wird aber nicht mehr arbeiten als nötig und das ist seiner technischen Möglichkeiten wegen weniger, als wir uns heute aufbürden müssen – nur dass er das, was er machen wird, bewusster macht.

Sanktionsgemeinschaft Kommunismus

Gemeinsame Rast

Setz dich zu mir!

Nimm den

Rucksack

von den Schultern!

So schwer drückt

die angenagte Vergangenheit,

die du hineingestopft.

Meine aus dem Frost

schwimmt schon im Suppentopf.

Schnell dazu, was

lange braucht,

bis es weich wird.

Gemeinsam löffeln wir

alles Eingebrockte aus.

Beim Kauen dann

kommt Appetit auf

morgen.

Es wird wohl in dieser Zukunft nicht viele Untaten geben, mit denen du dir die moralische Ächtung deiner Mitmenschen als schwerste gesellschaftliche Strafe „verdienen“ kannst. Ich könnte mir vorstellen, „Verschwendung von gemeinschaftlich Geschaffenem“ gehört dazu. Dabei gibt es natürlich welche, die besonders ins Auge fällt. Wenn jemand versuchte, ein eigenes „Schloss“ mit Park (bildhaft gesprochen) allein zu nutzen (oder Ähnliches) würde dies sofort bemerkt, der Zusatzreserve-Privatwagen auch. Schwieriger wird die „gesellschaftliche Kontrolle“ erst bei kleinen Dingen. Hier muss ja gleichfalls eine allgemeine Ausgewogenheit entstehen … und kein allgemeines Denunziantentum. Nicht dass der Eine dem Anderen seine private Sammlung verübelt. Aber beispielsweise, wenn jemand so viel Milch oder Obst privat „hortet“, dass ein Teil davon ungenutzt, weil inzwischen verdorben, weggeworfen würde, geht das den Nachbarn auch etwas an. Dazu kommt, dass niemand wirtschaftlich genötigt ist, abgetragene oder ausgesonderte Sachen anzuziehen. Es gibt ja Menschen, die ihre Sachen „abtragen“, aber das ist doch nicht der Regelfall. In der Masse könnte dies zu einer beträchtlichen Menge zusätzlich zu produzierender Produkte führen.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass der Haupttrend die Hervorhebung der Individualität ist. Im Wesentlichen wird es also normal sein, dass die meisten Sachen tragen, die zu ihnen (ihrer Meinung nach) besonders gut passen und nicht bestimmter Trendmerkmale wegen. Das heißt nicht, dass es keine Mode mehr gäbe – aber da die Zahl der Mode-“Schöpfer“ größer sein wird, nimmt die Zahl derer, die ihnen folgen, genauso ab, wie die Zeit zunimmt, in der „man“ einem Einzeltrend folgt. Es gibt also wesentlich weniger Druck, im Trend „modisch“ zu sein. Das, was die individuelle Note betont, tut dies wahrscheinlich auch im Folgejahr. Der Effekt, sich ein neues Stück geleistet zu haben, tritt zurück hinter der Frage, ob die bisherigen weiter passen bzw. man kein Verschwender sein möchte.

Die Ess- beziehungsweise Speisekammergewohnheiten werden bewusster aus individueller Selbstdisziplin erwachsen. Hier sollte man nicht vergessen, wie gesellschaftliche Gegebenheiten Gewohnheiten beeinflussen: Ein Teil des „Hortens“ heute beruht ja auf der Annahme, ein Sonderangebot / „Schnäppchen“ erwischt zu haben (erwischen zu müssen) oder etwas billiger zu bekommen, wenn man mehr davon nimmt usw. Dies fällt weg. Die Kombination eines unbeschränkten „Internets“ mit rechnergestützter Planung von Produktion und Verteilung gleicht im Normalfall jeden Mangel relativ kurzfristig aus. Wenn die Systeme entsprechend abgestimmt sind, können auch Kleinproduzenten mit Spezialinteressengruppen weltweit zusammenkommen. Man kann davon ausgehen, zu bekommen, was man braucht und wann man es braucht – ohne suchen zu müssen, wo man es eventuell günstiger bekommt.

Dass die „Markenartikel“ einen neuen Nutzer finden, ist technisch einfacher geworden. Jeder ist gewohnt, sich im Internet zu informieren, wo es was in seinem Sinn gibt.

Die entscheidende kommunistische „Gewalt“ ist eben die öffentlich gelebte Gewohnheit. „Bekämpft“ man nicht die Wurzel des Problems, sondern nur das Symptom, also beispielsweise den „Diebstahl“, reproduziert es sich immer wieder – entzieht man ihm den „logischen“ (sozialen) Boden, treten die Symptome immer seltener auf.

In minimalem Umfang aber bleibt „Kriminalität“ (womit ich nicht ausschließen will, dass auch der Begriff selbst neu gefasst wird). Alles hat schließlich seine Grenzen: Obwohl jeder seinen Rembrandt o. Ä. an die Wand hängen kann, wäre das natürlich immer nur eine – wenn auch gut gemachte – Kopie. Die echten Rembrandts gibt es logischerweise nur einmal. Zumindest auf dem Gebiet solcher Künste wie der Malerei wird dies nur eine Lösung zulassen: Bestimmte Originale dürfen nur öffentlich verwalteter (und zugänglicher) Weltbesitz sein. Dies wird ergänzt durch die moralische Ächtung derer, die solch „Weltkulturerbe“ nicht der Welt gönnen … Für den Beweis des persönlichen „Kunstverstandes“ / Geschmacks reicht auch eine Kopie.

Da die Zahl der Künstler (hier tatsächlich im heutigen engen Verständnis von Künsten gedacht) sprunghaft steigen wird, wird die Entwicklung einzelner Fan-Gruppen im Mittelpunkt stehen – und nicht die Bemühungen einzelner Ateliers, über den Verkauf von Kunstwerken effektvoll vermarkteter Künstler Geld zu verdienen.

Zu Lebzeiten wird es normal sein, „wertlose“ Originale als Geschenk von Freunden zu besitzen, die natürlich für den Beschenkten besonderen emotionalen Wert haben. Eine besondere Nach-Würdigung kann es sein, durch die Empfehlung der Freundeskreise in öffentlichen Museen zu landen. Solche Freundeskreise sind in gewisser Hinsicht zu Lebzeiten praktizierte private Dauerausstellungen.

An sich, so male ich mir das aus, kann dies zum Muster für viele Vorgänge im praktischen Leben dienen. Eigentlich bei allem, wo es zu einem Original Kopien oder Nachahmungen geben kann. (Wo ist das denn nicht der Fall?) Hierbei wird es für Fälle des „Verbrauchs“ eben „gesellschaftliche Einrichtungen“ geben und eine „Politik“, die solchen Verbrauch im Sinne von Belohnungen regelt. Du erinnerst dich an das Beispiel mit den Malediven? Also nicht irgendwelche käuflichen Berufspolitiker, sondern die Gemeinschaft der interessierten Weltnetz-Nutzer, deren Entscheidungsfindung dann das sein wird, was wir heute Politik nennen. Analog kann selbst bei seltenen natürlichen Speisen verfahren werden. Immer wieder gibt es ganz pragmatische „Politik“ zu gestalten: Wem wird welches „Sonderrecht“ eingeräumt? „Verdient“ hätte es ja jeder. Warum wird was gemacht – und was nicht? Es wird, um es mit einem heutigen Ausdruck zu sagen, „Transparenz“ herrschen – allerdings mit dem Unterschied, dass jedem Menschen eben auch das Recht zusteht, an allen Entscheidungsfindungen mitzuwirken. Es spricht aber auch nichts dagegen, dass die Gemeinschaft der „Internetnutzer“ die Vergabe eines Vorzugs per Losverfahren wählt – wenn sich eben kein einleuchtender Grund für eine Bevorzugung findet.

Jeder hat die Zeit, sich als „öffentlicher Mandatsträger“ an seinen „Computer“ zu setzen, sich über seine Interessengebiete Informationen einzuholen und „seine Stimme abzugeben“. Diese Entscheidungen sind prinzipiell jeweils neu entstehendes „Recht“. Das ändert nichts daran, dass es „Repräsentationsorgane“ für alle grundsätzlichen und wesentlichen Dinge des öffentlichen Lebens geben wird. Nur haben die nicht mehr zu entscheiden, als sie als Mensch sowieso würden. Nur schieben sie leichter Fragen an vordere Positionen der allgemein zugängigen Entscheidungsliste und werben für bestimmte Schlichtungsregelungen. Prinzipiell kann ja jeder „Miterdenbürger“ Fragen zur gemeinschaftlichen Entscheidung einreichen. Die öffentliche Resonanz bewirkt dann ihre Lösungsintensität. Wenn natürlich unerwartet Gäste von einer Orion-Intelligenz auf der Erde erschienen, müssten irgendwelche konkreten „Volksvertreter“ die Erde repräsentieren. Ansonsten werden sie zu diversen Veranstaltungen eingeladen und haben einen gewissen öffentlichen Einfluss allein dadurch, dass sie häufiger in „offiziellen“ Medien zu sehen, hören und lesen sind … und weil sie bei solchen Gelegenheiten Kompetenz bewiesen haben sollten, sonst wählt sie nämlich niemand..

Umgekehrt ist es eine unausgesprochene „Sanktion“ nicht dazuzugehören. Jeder Mensch kann frei über seinen Anteil an der Gestaltung aller relevanten Fragen der ihn interessierenden Gemeinschaften entscheiden. Er muss sich nicht ins Netz einloggen. Er muss keine Kunst machen. Er muss keine Kunst sammeln. Er muss – mit kleinen, bereits angesprochenen Ausnahmen – nicht arbeiten. So wie er mit niemandem auf irgendeine Art „kommunizieren“ muss.

Aber bei jedem wurde in jungen Jahren der Grundstein geschaffen, dass er es kann. Und aus dem Kreis derer, die können, erwächst ein Kreis derer, die es wollen … und derer, die es tatsächlich tun. Sie sind die, die in erster Linie einander das Gefühl vermitteln, gebraucht zu werden. Warum solltest du so masochistisch sein, dir selbst zu vermitteln, niemand brauche dich?

Der nötige „Überfluss“ in jeder Beziehung ist beachtlich. Ständig reproduzieren sich neue Widersprüche – in erster Linie, weil keines Menschen Selbstbild mit seinem Selbst-Sein identisch ist. Auch wegen der ständigen Entwicklung der Persönlichkeiten. Also muss es immer wieder neu dazu kommen, dass „man“ merkt, am aktuellen Platz nicht „optimal“ zu sein. Die Partner in den verschiedenen Gruppen sind dabei fast immer hilfreich.

Natürlich nur „fast“ oder im Wesentlichen. Denn nur vom Grundsatz her ist kein materieller Grund mehr vorhanden, einem anderen einen Misserfolg zu wünschen. Solcherlei Gründe sind heute noch das vorherrschende praktische Lebensprinzip auf allen Ebenen. Da das weggefallen ist, verändern sich auch über das „Arbeitsklima“ hinausgehend ALLE Beziehungen der Menschen – ob sie wollen oder nicht. Das ändert natürlich nichts daran, dass es zu „Rollenkonflikten“ kommt – und sei es, dass diese „Rolle“ die Liebe eines ganz konkreten einzelnen Menschen wäre, die man haben möchte, aber nicht bekommt. Wenn die juristischen / ökonomischen „Chefs“ weg sind, sind die „Machtspiele“ um Anerkennung nicht verschwunden – allerdings muss „man“ eher mit positivem Verhalten punkten. Das gilt ähnlich für Gewalt. Ihre Rolle schrumpft im Zwischenmenschlichen, je weniger Konfliktlösungspotential ihr praktisch in den verschiedenen erlebbaren Bereichen zugebilligt wird. Natürlich kann man keine gerade Linie ziehen zwischen Kriegen in aller Welt und der Bereitschaft konkreter einzelner Menschen, zur „Lösung“ ihrer Probleme Gewalt einzusetzen. Aber jedes „gelungene“ Beispiel, jeder erlebte Fall, dass „der Stärkere“ (im engeren wie weiteren Sinne) sich durchsetzte (und nicht „der Bessere“), weckt und verstärkt das animalische Bedürfnis, der Stärkere zu sein.

Alles, was mit dem Begriff „Gewalt“ verbunden ist, wird deshalb ein Sonderfall des Lebens unter kommunistischen Verhältnissen sein – aber es ist eben nicht restlos verschwunden. Widersprüche und Unzufriedenheiten sind ja nicht per se etwas Negatives. Erst wenn „man“ etwas als störend empfindet, geht man die Lösung des Problems an. Das schließt ein, dass man im Weg und im Ziel irrt. Sofern du diesen Begriff auf Kriege beschränkst, also auf Kriegshandlungen, Staatsterrorismus in engem oder weitem Sinn und Handlungen einzelner Menschen, die daraus direkt abzuleiten sind (zum Beispiel sadistische Folterexzesse), so gibt es sie natürlich nicht mehr. Das allein sollte vielen als Argument für eine solche Gesellschaft schon ausreichen.

Ich glaube aber auch an eine extreme Minimierung bei indirekten Gewalthandlungen. Die sind natürlich schwerer abzugrenzen. Nur hältst du nicht auch einen sozial Hoffnungslosen für tendenziell eher gewaltbereit als jemanden, der um genug andere Möglichkeiten weiß sich auszuleben? Da es im Kommunismus keine soziale Ausgrenzung in großem Maßstab gibt (und überwiegend überall jeder „Migrant“ ist), existiert kein Nährboden für daraus erwachsende individuelle Gewalt – also ist eine Institution überflüssig, die solche Gewalt den Normen einer Staatsmacht unterwirft.

Der Anfang der ganzen Kette liegt darin, dass es keinen Besitz gibt, der über eine soziale Rangfolge entscheidet: Niemand ist mehr „wert“, weil er mehr hat. Keine Gruppe besitzt „Produktionsmittel“ (Mittel überhaupt), mit der sie eine andere ökonomisch dazu zwingen könnte, für sie zu arbeiten. Es kann sogar jeder die Dinge / „Güter“, über die er unmittelbar verfügen will, von der Gemeinschaft anfordern, sie technisch bestellen und – von den beschränkt vorhandenen „Originalen“ einmal abgesehen – auch erhalten. Jeder kann sich also materiell so als Persönlichkeit entfalten, wie er dies für angemessen erachtet, sofern er andere Persönlichkeiten damit nicht beschränkt.

Wenn es also nichts zu stehlen gibt, braucht auch keine Diebstahlsbekämpfung organisiert zu werden. Selbst ganz individuelle Verbrechen haben einen wesentlich kleineren Nährboden. Es verändert langfristig die Persönlichkeit, wenn das gesellschaftliche Phänomen, dass andere etwas besitzen, was man gern hätte und nicht haben kann, einfach nicht mehr existiert. Und es verändert die Beziehung zwischen Menschen langfristig einschneidend, wenn es keine materiellen Abhängigkeiten mehr gibt. Der seinen Partner Prügelnde kann eben heute grinsend sagen, „Geh doch!“, weil er genau weiß, dass der (die) so Angesprochene dann mit leeren Händen dasteht. Diese Sicherheit der Macht löst sich in Nichts auf, wenn der (die) so Angesprochene um den Neuanfang in gleichwertiger neuer Situation weiß … ohne prügelnden Partner. Und wer von einer Arbeit nach Hause kommt, die ihn mindestens nervlich total ausgelaugt hat, hat es schwerer, sich Partner und Kindern gegenüber angemessen zu verhalten, als jemand, der durchschnittlich befriedigt in die private Tageszeit übergeht.

Also in gesellschaftlicher Hinsicht ein Paradies – und zwar insbesondere für die heute sozial Benachteiligten. Aber eben nur in gesellschaftlicher Sicht …

Ich hoffe, dass ich glaubhaft machen konnte, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen den weltweiten Umfang an „Verbrechen“ extrem reduzieren werden. Ich halte es für vorstellbar, dass die verbliebenen „Verbrechen“ sogar so wenige werden, dass sie vernachlässigt werden könnten. Brutal ausgedrückt: Wer sich unter solchen Bedingungen daheim verprügeln lässt, ist „selber schuld“, wenn er es nicht beendet.

 

Eine solche Grundeinstellung wäre aber nicht kommunistisch. Zum kommunistischen Menschenbild gehört die Sorge um das nachbarschaftliche Wohlergehen. Vergessen wir nicht, dass es sehr wohl weitere reale Abhängigkeiten Schwächerer geben wird. Ich denke da zum einen an die Kinder, zum anderen an im weitesten Sinne „Kranke“ beziehungsweise „Behinderte“. (Selbst die fortschreitenden medizinischen Erfolge lassen immer wieder neue Lücken offen, die die Einzelnen nicht schließen können.)

Zu den „Kranken“ rechnen natürlich auch die, die nicht direkt „Opfer“ sind, sondern zum Beispiel Sexualstraftäter. Nicht jedes traumatisierende Ereignis lässt sich trotz bestem Wollen durch „die Gesellschaft“ verhindern, nicht jede genetische Disposition als gefährlich entschlüsseln und korrigieren. Um also beim Beispiel der Sexualstraftäter zu bleiben: Es ist der Gemeinschaft nicht zuzumuten, sie zu ignorieren und den Einzelnen nicht, sie verfolgen zu müssen. In dieser Betrachtung nenne ich auch einen Mörder aus Eifersucht „Sexualstraftäter“.

Also muss eine hoch spezialisierte „Polizei“ weiter existieren.

Du kannst wahrscheinlich nicht vorstellen, wie die „öffentliche Gewalt“ mit dem Privatleben der Einzelnen verknüpft werden sollte, weil die Gier nach Durchleuchtung der privaten Daten jedes Bürgers heute nach möglichst maximalem Schutz seine Privatsphäre schreit – und das ist richtig so. Aber warum sollte diese juristische „Privatsphäre“ unter den veränderten Bedingungen nach (!) dem Sozialismus nicht vom Prinzip wesentlich kleiner sein dürfen. Du musst dann ja berücksichtigen, dass es im Wesentlichen kein privates Detail gibt, dessen Öffentlichkeit dem Betroffenen schaden kann. (Ansonsten wären es keine privaten Details mehr.) Oder umgekehrt: Die Jagd nach persönlichen Details bringt im Prinzip niemandem gesellschaftlichen (ökonomischen) Vorteil. Der Kampf um persönliche Sympathien einmal ausgeklammert.

Es darf also „normal“ sein, dass „man“ weiß, was in den Nachbarschaften (wohnlich, arbeitsmäßig, persönlich) „so los ist“. Dass frühzeitig „moderierende“ Vertrauensleute vor Ort existieren. Sie sind sozusagen die niederste „Instanz“ der Nachbarschaftsbetreuung, was nicht heißen muss, aber kann, dass „Vertrauensmann“ ein „Beruf“ ist. Es kann auch ein Wahlamt sein. (Es darf ja keine Tratsch-Denunziation werden, also professionell vertrauensvoll muss es sein.)

Für technisch einwandfreie Spurenauswertung bei trotzdem nicht verhinderten Verbrechen setzt eine Berufspolizei ein. Ihr kommt dann auch ein Gewaltausübungsrecht zu. Es wird auch im entfalteten Kommunismus ein Verbrecher verhaftet werden – unter Umständen wie in heutigen Kriminalfilmen.

Danach aber wird wieder alles anders.

Richtiger: Ansätze dessen, was dann kommen kann, könntest du dir, wenn du in der DDR gelebt hättest, etwas leichter vorstellen. Dort war das System von gesellschaftlichen Gerichten, der Einheit von Berufsrichtern, Laienschöffen usw. schon praktisch in der „Erprobungsphase“. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass dieses System in der DDR als gesellschaftliches Problem betrachtet werden musste, im Kommunismus aber ein „individualistisches“ ist. Also irgendwo festgeschriebene „Strafen“ können nur Notbehelf in unlösbar erscheinenden Fällen sein. Normalerweise werden auch individuelle Lösungen der jeweiligen Probleme gesucht und gefunden werden. „Sexuelle Störungen“ sind erst einmal etwas Medizinisches. Und Vorrang hat die Wiederherstellung der geschädigten Opfer.

Doch eigentlich müsste ich damit beginnen, dass der Begriff neu gefasst wird. Denn das „Wesen“ der „kriminellen“ Handlung besteht ja nicht mehr im Verstoß gegen formal festgeschriebene Rechtstatbestände. Ein – bleiben wir bei dem Beispiel – Sexualstraftäter handelt in erster Linie krank. Er bereitet Anderen bewusst (?!) Leiden – und zwar welche, die nicht einmal in für ihn selbst akzeptablem Verhältnis zum vorübergehenden Gewinn stehen. Er braucht also Hilfe zur Selbstbeherrschung.

Klar. Die Gesellschaft muss sich den Luxus leisten, solche Verbrechen möglichst umfassend aufzuklären. Dies wird bereits dadurch leichter, dass es nicht mehr um die Feststellung eines juristischen Sachverhalts geht. Es muss unter Ausschluss der Straffrage „normal“ sein, dass über angemessenen menschlichen Umgang miteinander geredet wird – und zwar relativ öffentlich. Was danach kommt, wäre die Behandlung von Opfer und Täter. Dabei werden Strafen im engeren Sinne generell die Ausnahme sein. Das heißt nicht, dass es keine unterschiedlich restriktiv geführten „Bewährungslager“ geben wird. Sonst würde ja gegen das Prinzip der Vielfältigkeit verstoßen. Aber wichtiger als die Einlieferung in eine Schule für Kriminalitätsausübung (als welche heutige „Gefängnisse“ verstanden werden können) ist die Therapie gegen Wiederholung, die bei den Ursachen ansetzt. Wobei … noch wichtiger ist natürlich die Therapie der Opfer. Das gesellschaftliche Hauptprinzip muss logischerweise sein, Traumatisierungen jeder (!) Art zu beseitigen.

Die schwerste Strafe unter kommunistischen Bedingungen sind Einschränkungen der Kontaktmöglichkeiten. Im Gegensatz zum Normalfall, wo jeder frei entscheiden kann, in welchem Umfang jemand wo dazugehören möchte, erfolgen je nach Einzelfall Beschränkungen. Man könnte es wie subtile Weiterentwicklungen der „elektronischen Fußfessel“ auffassen, die mit dem zeitlich begrenzten Verbot beginnen könnte, bestimmte Internetseiten aufzurufen. Dem „Bestraften“ werden aber weit gehende Wiedergutmachungsrechte eingeräumt.

Um es einmal so zu sagen: Die kommunistische Gesellschaft muss sich zwei Arten von „Moderatoren“ leisten: solche, die öffentlich wirken und solche, zu denen man vertrauensvoll gehen kann, wenn man „Eifersucht“ o. Ä. empfindet.

Natürlich braucht die Gesellschaft ihre materielle Basis. Also das, was materiell verbraucht wird, muss zuvor produziert sein. Aber diese Frage stellt sich anders, wenn die tatsächliche menschliche Hand weitgehend durch Technik ersetzt wurde. Kommunistisch wird die Sache erst, wenn es wirklich um die Entfaltung der einzelnen Persönlichkeiten mit ihren Bedürfniswelten geht. Dort steht an erster Stelle natürlich die Gesundheit. Was das bedeutet, wird im Kommunismus besonders weit gefasst.

Wann sich jeder am wohlsten fühlen, das ist natürlich eine ganz individuelle Angelegenheit, es wird bereits in frühem Kindesalter geprägt: Fühlt sich jemand in Gemeinschaften wohl, lernt er beflügelnde kennen, findet er Felder von Genuss und Bestätigung oder bleibt er bei der heutigen Meinung, mit Kämpfen gegen Andere, vielleicht sogar potentiell Schwächere, sich selbst erhöhen zu können? Nach entsprechender Bestätigung und damit Festigung einer bevorzugten Strategie wird er sich weiter so verhalten und gesehen werden.

Das System der Motivationshilfen für gemeinschaftskonformes Verhalten muss extrem individuell ausgerichtet sein. Sicher ist allerdings, dass es solche (auch negativen) Motivationshilfen geben wird. Das Hauptziel der Gesamtgesellschaft ist ja die maximale Ausprägung jeder einzelnen Individualität. Die führt aber zur Kollision mit den berechtigten Interessen anderer Individuen.

Welche Bereiche machen denn kommunistisches Leben für den Einzelmenschen aus?

das maß

weil wir uns

unterscheiden

sind wir gleich

alle unsere werte

zusammengezählt

ergeben bei jedem

den wert

ein mensch


heutige rechner

umgolden

etappensieger

der geschichte

sie werden
im zeitmeer

versinken

wir lernen darin

schwimmen

Ahnst du langsam, was „Kommunismus“, also die höchste Form der angestrebten kommunistischen Gesellschaftsformation, wirklich ist? Auf jeden Fall nichts mit „Regime“. Im Moment noch etwas, worüber wir mehr nachdenken sollten. Kommunismus ist die Gesellschaft ohne „Staatsgewalt“ im herkömmlichen Sinne, die Gemeinschaft der Gleichen, die nach ihren Möglichkeiten zum Wohlbefinden der Allgemeinheit beitragen und dafür nach ihren entwickelten Bedürfnissen sich am Reichtum aller beteiligen. So zum Beispiel. Die „Gleichheit“ verstehe ich als Anerkennung der totalen persönlichen Unterschiedlichkeit, die so weit geht, dass wir uns im Sinne eines sozialen Höher oder Niedriger überhaupt nicht vergleichen können. Aber was muss dann praktisch funktionieren? Arbeit wird anders und wichtig sein, aber nicht nur:

Eine schrumpfende Bedeutung, wenn auch eine, die nie auf Null sinkt, wird wohl die Arbeit in der materiellen Produktion haben. Tendenziell sinkt die erforderliche Gesamtarbeitszeit und weiter erforderliche Tätigkeiten werden fortwährend neu von der Technik (Robotern) übernommen.

Relativ geringfügig zunehmen werden Kreativarbeiten, also solche, die entweder den Produktionsprozess weiter optimieren oder nach Lösungen suchen, wie welche menschlichen Bedürfnisse besser befriedigt werden können. Letztere werden wohl die häufigeren sein.

Arbeitsaufgaben im „Dienstleistungsbereich“ bleiben erhalten. Soweit die mit öffentlicher Gewalt verbunden sind, wurden sie hier gesondert aufgegriffen.

Der Bereich mit dem größten Umfang an „Arbeit“ wird der der Fürsorge und Kommunikation sein. Dort ist aber auch der Übergang zum „Privatleben“ besonders fließend. So hat die Kinder- und Jugendbetreuung noch Schulelemente; also zumindest wird es Situationen geben, die an heutige „Schule“ erinnern. Den verschiedenen „Unterrichts“-Elementen steht allerdings ein größerer Teil „Persönlichkeitscoaching“ zur Seite. Ein Konzept allseitig entwickelter Persönlichkeiten ist mit Schulklassen, die von einem Fachunterricht zum nächsten strömen, nicht zu bewältigen. Da müssen „Eltern“ und Coach sich fast lückenlos in der Begleitung und Anleitung der Heranreifenden gegenseitig ergänzen und ablösen. Selbst wenn die Schülerzahl weltweit kleiner als heute wäre, muss die Zahl derer, die hier Anteile einbringen, deutlich zunehmen. Zum fließenden Übergang zwischen „professionellem“ und „eher privatem“ Coachen werden auch mehr Formen der Eltern-, Großeltern- und Gruppenleiter-Anleitung gehören.

Vielleicht nicht ganz so verschwommen wird der Bereich medizinischer Versorgung und Betreuung sein. Klar: An erster Stelle stehen da professionelle Tätigkeiten. Sie sind uneingeschränkt darauf gerichtet, jeder Persönlichkeit die „Gesundheit“ zur Selbstentfaltung zu erhalten. Krankheiten sind eben auch ein „technischer Vorgang“. Ein gebrochener Arm ist nicht mit Zureden aus der Welt zu schaffen, bestimmte Viren im Wesentlichen auch nicht. Sie wirken als Schadprogramme im Körper, derer dieser innerhalb der verfügbaren Lebenszeit nicht aus eigener Kraft Herr werden kann. Dafür werden Krankenhäuser und ambulante Betreuungszentren sogar noch ausgebaut werden müssen, wo die körperliche Anwesenheit von Fachpersonal Erfolgsbedingung ist. Vom Grundbild werden also Ärzte und Pfleger(innen) sich am wenigsten von den heutigen unterscheiden – nur ihre technischen Möglichkeiten verbessern sich extrem. Flankiert wird diese technische Seite durch eine, für die es heute keinen ausreichend genauen Namen gibt. Am nächsten käme sie vielleicht dem Bild der Gemeindeschwester beziehungsweise ambulanter Betreuung. Hauptunterschied zu Bekanntem ist der verfügbare Zeitfonds. Der fließende Übergang zum „privaten Schwätzchen“ muss eingeplant sein. Diese Sozialbetreuer haben sozusagen die Verantwortung für das allgemeine Wohlbefinden eines angemessenen Kreises von bedingt Bedürftigen – was also heißt, dass es nicht nur „Berufstätige“ sein werden, sondern auch „Hobby-Partnerschaften“ / Patenschaften u. Ä. Solche fließenden Übergänge sind ja alle kein Problem, weil niemand eine (scheinbar) private Fürsorgeleistung zu Lasten eines bezahlten Jobs erbringt, sondern alle formal gleichwertig sind.

Ein besonders großer Anteil an jedermanns Lebenszeit entfällt auf Kunst im weitesten Sinne. Dabei ist nebensächlich, ob es um das aktive Künstler-Sein oder um Kunstgenuss geht. Wie immer sind die Übergänge fließend. Zum Verständnis des Problems erinnere ich an den Begriff des „Kunsthandwerks“. Es dürfte kaum Menschen geben, die nicht etwas tun werden, was zwar nicht existenzbegründend ist, aber ihnen und gleich Gesinnten Freude bereitet.

Wesentlich stärker als heute wird das Gesamtleben aller Menschen von einer Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsformen durchdrungen sein. Anzunehmen ist, dass sich „Videophonie“ zur Hauptform entwickelt, also Gespräche, ggf. auch Konferenzen, bei denen sich die Beteiligten nur nicht berühren und beriechen, sich aber ansonsten relativ umfassend emotional und sachlich austauschen. Wie bei dem meisten Anderen wird es schwer abzugrenzen sein, ob man sich nur privat trifft oder dort, wo dies körperlich nötig bleibt, an einem eigenständigen Arbeitsplatz auch über Privates unterhält. Viele moderne Arbeitsaufgaben sind heute schon technisch von „zu Hause“ aus lösbar. Die Hauptgegenargumente der Geheimhaltung und begrenzten Kontrollierbarkeit entfallen im Kommunismus. Eine automatische Produktionsstrecke lässt sich auch von zu Hause oder unterwegs überwachen.

Eine Sonderform der Kommunikation wird sicher die professionelle Moderation sein, die Störungen zwischenmenschlicher Beziehungen abbaut.

Besonders herauszuheben sind die „zwischenmenschlichen Beziehungen“. Sie unterscheiden sich von den heutigen wohl in erster Linie durch ihre größere Vielfalt. „Man“ wird sich wohl über keine Form des Zusammenlebens wundern, über nackte Fremde auf dem Flur, Kinder, die nicht wissen, wessen Spermien ihre Existenz begründeten, Gruppen, die sich auflösen so wie sie sich bildeten und umgekehrt … aber eben auch nicht über Menschen, die ihre Absicht, dauerhaft zusammenzuleben über eine Heiratszeremonie aus vergangenen Zeiten dokumentieren möchten und ihr ganzes langes Leben miteinander verbringen. Wahrscheinlich bewirken besiegte Krankheiten nur eine unverkrampfteren Umgang mit Sexualität.

Ein eigener Bereich ist die „Versorgung“, also das, was heute Handel heißt. Er wird nach eigenen, mit nichts Heutigem vergleichbaren Regeln funktionieren.

Ebenfalls ein eigener Bereich ist der Transport, das Reisen. Zu beiden habe ich ja extra geschrieben. Wichtig hierbei ist, dass neue Kommunikationsformen das Ausufern des Reiseumfangs blockieren könnten. Es wird sinnvoll sein, den Aufenthalt in „exotischen“ Regionen technisch perfekt zu simulieren.

Völlig Anderes als heute enthält der Ausdruck „Politik“. Es dürfte jedem selbstverständlich erscheinen, bei öffentlichen Angelegenheiten, die ihn direkt oder indirekt betreffen – einschließlich der Planung des Weltarbeitsvermögens – mitreden zu dürfen und auch mitzureden. So wie du irgendwann im Laufe des Tages dein Mailfach abrufst, wird der „kommunistische Mensch“ dies auch tun – nur dass dort eben alltäglich auch Projekte vorgestellt werden mit Links zur Vertiefung, die Entscheidungen vorbereiten, was dem einen eben mehr Freude bereitet als dem anderen. „Formaljuristisch“ sitzen die Menschen des Kommunismuszeitalters also am Computer zum gemeinsamen Klären aller Fragen von öffentlicher Bedeutung wie unsere Urahnen bei der Stammesversammlung. Nur, dass sie sich häufiger „ausloggen“, weil die Gesamtzahl der zu klärenden Fragen einfach ihren Zeitfond übersteigt und sie nach Interessen / Bedürfnissen auswählen müssen … und können … und dass sie das nicht tatsächlich im Augenblick machen müssen.

Mit allen diesen Komplexen ist der Bereich der Selbstverwirklichung verzahnt. Jeder Mensch kann fundiert hinterfragen, was und wer ihm wichtig ist im Leben und wem er wichtig ist. Das entscheidet über das Funktionieren des Systems …

Um es einmal so zu sagen: Kommunistisches Leben wird fast nur noch „Privatleben“ sein. Aber für der größten Teil der Menschen ist selbstverständlich, dass sie die Angelegenheiten der Gemeinschaft als ihre privaten auffassen, dass sie sich also an der öffentlichen Entscheidungsfindung beteiligen, dies nicht als „Einmischung“ sondern als „ihr Ding“ begreifen. Und deshalb ist auch etwas für Andere Nützliches „ihr Ding“. Insofern lässt sich das ganze Denken nur umgekehrt zum heutigen verstehen. Auch ich begann mit dem Begriff „Arbeit“. Ihn werden Künftige wohl früher oder später durch den Ausdruck „sinnvolle Tätigkeit“ ersetzen – was dann auch die gemeinschaftliche Entscheidung einschließt, was „sinnvoll“ ist. Wieder verwirrend: Diese Entscheidung betrifft sowohl alle Fragen, was überhaupt sinnvoll zu tun ist, als auch die nach dem, welche Anteile dabei die jeweiligen einzelnen Menschen erbringen wollen und können. Anders ausgedrückt: Wer mitredet, was zu erledigen ist, muss auch mitdenken, wer das wie machen soll.

Du merkst, ich beginne zusammenzufassen. Schimpfe nicht, sollte ich nicht jeden Satz schon vorher überzeugend hergeleitet haben. Meine Vorstellungen über eine erhoffte künftige Gemeinschaft ist immer sowohl logische Schlussfolgerung aus Vorkenntnissen als auch Fantasie …

Ein paar Schlusssätze

Nach uns nicht die Sintflut

sollte einmal

endlich in frieden
die einsicht grünen
was uns menschen

wirklich nutzt
wird niemand mehr
tauschwertig
als zu leicht befunden

jeder keim bringt

jemandem
die richtige frucht

nutze dich
wird man sagen
dreh dich 

im licht
rundum erblühe und
ernte dich


arbeit ist
kunst wie

kunst
arbeit

fehlender besserer worte wegen und

weil dies ungeborene kind

nach einem namen schreit

nennen manche diese zeit

kommunismus

Kein bisherige Revolution hat eine Gesellschaft geschaffen, die zu Recht Sozialismus oder gar Kommunismus genannt werden kann.

Vorrangiger Grund: die Produktivkräfte im Allgemeinen und erst recht in den Ländern, die den Sozialismus anstrebten, waren noch nicht für die neue Gesellschaft reif.

Etwa seit der Jahrtausendwende sind die Produktivkräfte in den entwickelten Staaten der Erde und den mit ihnen am engsten verflochtenen Volkswirtschaften ausreichend für einen realen Übergang zum Sozialismus / Kommunismus ausgereift.

Durch die moderne Informationsverarbeitungstechnik könnte eine gemeinwirtschaftlich organisierte Wirtschaft erstmals ihre Vorzüge gegenüber der privatwirtschaftlich organisierten entfalten. Bei gemeinschaftlichem Eigentum kann ein „Internet“ die Individuellen mit gesellschaftlichen Interessen verknüpfen.

In den Händen privatwirtschaftlich Denkender und Handelnder werden dieselben technischen Mittel zur Bedrohung, ja „Entwertung“ für die meisten Menschen auf der Erde.

Zwar sind die objektiven Voraussetzungen für die Ausbeutung fremder Arbeitskraft schon im Sozialismus juristisch beseitigt, die Denkstrukturen, in individuellerer Form von der Leistung Anderer leben zu wollen, sind aber noch erhalten geblieben und werden, teilweise sogar unbeabsichtigt, weiter von Generation zu Generation „übergeben“.

Diese erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation ist also eine über eine unbestimmte Zahl von Generationen andauernde „Kulturrevolution“. Im Prinzip geht es darum, die vielfältigen Relikte verinnerlichter Egoismusstrategien im menschlichen Denken und Handeln allmählich abzubauen.

Der entfaltete Kommunismus ist die individualistischste Gesellschaft, die sich menschliche Intelligenz denken kann.

Im e.K. sind sowohl indirekte wirtschaftliche Unterordnungszwänge weggefallen als auch starr institutionalisierte Einschränkungen individueller Freiheiten („Staatsapparate“).

Der e. K. ist die Gesellschaft mit der höchsten Vielfalt an Formen, durch die konkrete Beziehungen zwischen Menschen(gruppen) geregelt sein können … richtiger: sich einer „Regelung“ im heutigen Sinn entziehen.

Das Verschwinden hierarchischer Strukturen bewirkt das Verschwinden bestimmter Formen. Wo es keine „Staaten“ gibt, gibt es logisch keine „Staatsapparate“, also keine Armeen, Zollorgane, Beamte usw.

Alle Beziehungen zwischen den Menschen werden auf der direkten Ebene der zu befriedigenden Bedürfnisse gestaltet anstatt über Geld vermittelt.

Die Vielfalt der zu befriedigenden Bedürfnisse bewirkt die Vielfalt der Formen, über die sie befriedigt werden.

Voraussetzung für „nachhaltigen“ Kommunismus, also eine gemeinschaftliche Gesellschaftsgestaltung, die nicht wieder in Klassengesellschaften zurückfällt, ist ein sehr hohes Niveau der Produktivkräfte.

Im Wesentlichen gibt es zwei Merkmale, an denen das notwendige Niveau bestimmt werden kann:

  1. Alle Erkenntnisse des Menschheitsfortschritt sind weltweit uneingeschränkt nutzbar. (Ist technisch erreicht. Die Umsetzung der Möglichkeiten werden durch die Eigentumsverhältnisse verhindert.)

  2. Der Umfang der vergegenständlichten Arbeit übersteigt den der aktivierbaren lebendigen Arbeit so weit, dass die elementaren Bedürfnisse aller Erdenbürger im Wesentlichen durch sie befriedigt werden könnten.

Wie kommen wir zum „entfalteten Kommunismus“?

1. Ein immer wieder zu wiederholender Schritt in eine grundsätzlich neue Gesellschaft ist die Beseitigung der materiellen Verhältnisse, die zwangsweise Egoismus reproduzieren.

Das „Privateigentum an den Produktionsmitteln“ bewirkt auf der einen Seite, dass die Besitzer sich fremde Arbeit günstigst, also für die anderen ungünstigst aneignen können. Auf der anderen Seite bewirkt es aber auch, dass sie sich in einer bestimmten Weise verhalten müssen, wollen sie ihre gesellschaftliche Stellung bewahren oder ausbauen. Das färbt auf die Verhaltensweisen der Nichtbesitzer ab, da tendenziell die am geschicktesten skrupellos egoistisch Handelnden als erfolgreich im Konkurrenzkampf um die besten Positionen in einer Weltmangelwirtschaft gelten.

2. Vergleichbar wichtig ist eine weltweite (strukturell) neue Verteilung der Ressource Arbeitsvermögen.

Alle Arbeiten / Tätigkeiten müssen echte Bedürfnisse befriedigen. Soweit sie keinen eigenen Nutzen erbringen außer das Funktionieren der Privatwirtschaft abzusichern, werden sie eingespart. Als besonders einschneidende Vergeudung von Naturressourcen, menschlichen Potenzen und Menschlichkeit verschwindet der Hauptteil aller Gewaltinstitutionen (Rüstung u.ä.). Dazu gehören aber auch alle Wirtschaftselemente zur Eigentumsscheidung und -manipulation, also Finanz- und Versicherungswirtschaft, Steuer- und Rechnungswesen, Lizenzwesen u.v.a.m. In der Konsequenz dürfte mehr als die Hälfte der „bei uns“ „bezahlten“, also als „gesellschaftlich notwendig anerkannten“ Arbeiten weggefallen sein.

3. Die Lebensverhältnisse aller Menschen auf der ganzen Erde werden auf hohem Niveau angeglichen.

Diese Angleichung trägt bereits ein deutliches kommunistisches Merkmal: Es herrschen nicht weltweit dieselben Bedingungen, sprich: es wird nicht überall der Konsum der imperialistischen Metropolen imitiert, sondern es werden weltweit „Wohlfühl-Lagen“ geschaffen und Möglichkeiten, sich uneingeschränkt in „Weltverhältnisse“ zu integrieren. Das heißt mindestens, dass alle Weltbürger nachhaltig über sauberes Wasser, vernünftige Speisen, Kleidung und Wohnung verfügen, dies aus eigener Arbeit erwachsen kann und jedem alle Bildungs- und Entwicklungswege unbeschränkt offen stehen.

4. Ein tatsächlich vernünftiges weltweites Planungs-, Versorgungs- und Kommunikationssystem wird praktisch umgesetzt.

Es ist ein am Gemeinwohl orientiertes, hoch entwickeltes und sich beständig weiter entwickelndes „Internet“. Geplant werden kann und muss innerhalb verschiedener abgrenzbarer Systeme und zwischen diesen. Dabei ist wichtig, dass möglichst viel regional beziehungsweise auf unteren Ebenen entschieden wird. In höherer Ebene werden die Schnittstellen bestimmt. Im praktischen Leben ist dies hierarchisch wesentlich leichter. Vorstellbar in der Art einer einzigen universalen Partnerschaftsvermittlung. Nicht verschiedene neben- und gegeneinander, sondern ein Auf-, Ab- und Seitwärts-Surfen nach verschiedenen interessierenden Gesichtspunkten. Wichtig dabei ist, dass jeder Teilnehmer in jeder Ebene handeln, also auch bei der Wirtschaftsplanung auf allen Ebenen Änderungsvorschläge einbringen und anteilig durchsetzen kann.

5. Der e. K. erfordert absolute Individualisierung.

So wie jeder Beteiligte auf allen Ebenen seine Besonderheiten ins Ganze einbringen können muss, so gehört es zur allgemeinen Freiheit, sich als Persönlichkeit zu entfalten. Diese Individualisierung schließt ein, dass es keine allgemeingültigen Normen gibt – natürlich mit Ausnahme derer, dass die Ausübung der Freiheit des einen nicht zur Einschränkung der Entfaltung Anderer führen darf.

6. Kern des e. K. ist ein umfassendes Bildungssystem für Genuss, Gesundheit, Kommunikation und Kunst. Es wird damit schon mit Beginn des Übergangs zum Sozialismus begonnen, kann aber erst im entfalteten Kommunismus systematisch erfolgreich sein.

Jeder Einzelne muss befähigt werden, aktiv und passiv zu genießen und Andere genießen zu lassen. In diesem Zusammenhang verändern sich die allgemeinen Auffassungen, was „menschliche Bedürfnisse“ sind. Zu ihnen wird man dann auch die Fähigkeit zählen, Arbeit, vor allem kreative, als Genuss zu empfinden.

7. Schlüsselbegriff der kommunistischen Gesellschaften ist Kunst im weitesten Sinne.

Im Rahmen der Integration in ein individualisiertes Planungssystem findet jeder Beteiligte verschiedene Tätigkeiten, bei denen er sich selbst und – durch ihr Ergebnis – Anderen Vergnügen und Genuss bereitet. Dies erwächst auch aus dem erprobten Wissen, wo die besonderen eigenen Qualitäten liegen, aber auch in der relativ freien Entscheidung, wann er welche Tätigkeit ausübt, und aus dem Wissen, dass die Ausübung „gesellschaftlicher Arbeiten“ ein angenehmes Feld zwischenmenschlicher Kommunikation ist.

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (5)

verpatzt

Für Augenblicke

war ein Spalt

in bessere Zeit

offen.


Ungläubig stehen wir 

wieder in gestrigen

Wänden und
besprühen sie

hilflos

mit Graffitti.


Unerbittlich

tickt

die Uhr.

Keine Sorge, lieber Thor, dass ich erwarten könnte, du würdest das schon alles unterschreiben, von wegen „Ja, stimmt!“ Aber es wäre der Start, von dem aus wir unser Fantasie freien Lauf lassen könnten. Übrigens … ich habe sogar eine Reise in eine wirklich fremde Welt gemacht. Damals hatte ich das Gefühl, eine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen, heute behaupte ich, diese Reise erlaubte mir überhaupt erst, mir vorzustellen, dass jemand total anders denken könnte als unsereins, dass also eine Zeit möglich ist, in der man über unsere egoistischen Selbstverständlichkeiten den Kopf schütteln wird.

Es war im Anschluss an mein Studium und begann mit einem für mich typischen Reinfall. Im Frühsommer wurde ich mit einer Studentin verkuppelt, die ihre Semesterferien bereits verplant hatte. Ohne meine körperlichen Probleme zu berücksichtigen, stimmte ich spontan zu, mit ihr und ihren Freunden durch die rumänischen Karpaten zu wandern. Einfach Rucksack gepackt und los. Bei den ersten Beanspruchungen meiner Knie wurde dann deutlich: Es ging nicht. Alleine zurück? Liane hatte den rettenden Einfall. Wir trennten uns von den Anderen und zu zweit begann eine Tour, bei der ich nicht sagen kann, ob sie sich heute irgendwo auf der Erde wiederholen ließe …

Unsere Route kann ich nicht beschreiben. Wir haben keine „offiziellen“ Stationen gemacht, also irgendetwas Hotelartiges aufgesucht, sind getrampt ohne konkretes Ziel. Höchstens: In der Gegend gab es viele Leute, die Deutsch sprachen. Solche Leute wollten wir finden, bei ihnen übernachten, uns unterhalten und Vorschläge bekommen, was wir als Nächstes ansehen sollten. Es gab keine Kontaktprobleme und kaum jemand fuhr an uns vorbei, ohne zu halten und nach unserem Ziel zu fragen. Die Freundlichkeit war allgegenwärtig, beschränkte sich nicht auf die Solidarität der sich verfolgt fühlenden deutschen Minderheit. Das war Erlebnis eins: Wir wurden laufend durch Gemeinschaften gereicht, die alle bedingungslos offen und herzlich zu uns waren, etwas gaben ohne Gegenleistung. Für einen Deutschlehrer war natürlich die Begegnung mit Menschen, die ein „Deutsch“ von vor 150/200 Jahren sprachen, ein Erlebnis für sich. Gerade die Assimilierungspolitik unter Ceausescu förderte als Anti-Haltung das Festhalten an überlieferten Traditionen. (Insoweit kann ich heute die „Migranten“ in Deutschland leichter verstehen, dass sie sich nicht in Deutsche dritter Klasse umwandeln lassen wollen.)

In einem abgelegenen Dorf geschah es dann. Wir waren ein Stück fröhlich in Richtung Ortsausgang gelaufen. Da überraschte uns ein Gewitterguss. Der Regen kam schneller, als ich das aufschreiben kann, und mit urwüchsiger Kraft. Vom nächsten Grundstück war eigentlich nur ein Rasenstück mit Baum zu erkennen. Liane reagierte und dirigierte schneller, als ich denken konnte. Ehe ich mich versah, hatten wir unser Zelt aufgebaut und waren darin dabei, uns aus den nassen Sachen zu schälen. Da hob sich die Plane am Eingang. Ein Frauengesicht tauchte auf. So wie zuvor vom Regen wurden wir nun von Schimpfworten überschüttet. Wir verstanden nur, dass die Frau Rumänisch sprach und unsere Versuche, auf Deutsch oder Englisch zu antworten, ignorierte. Nein: Wir verstanden noch, dass wir weg sollten. Wollte die Frau uns von ihrem Privatgrundstück vertreiben? Was wir uns einbildeten, ohne zu fragen darauf zu zelten? Sie war ausdauernd und trieb uns ins Haus, das wir bei dem dichten Regen zuvor nicht gesehen hatten. Wir wurden in ein Zimmer mit Doppelbett und vielen Handtüchern eingewiesen und … kaum getrocknet hatten wir der „Hausherrin“ zu folgen.

In der „guten Stube“ empfing uns „die Familie“, die im Laufe des Nachmittags und Abends immer weiter anschwoll. Was sich da ereignete, war höchstens mit einer großen Hochzeitsfeier vergleichbar. Die Rumänen lebten zu dieser Zeit und in dieser Gegend extrem ärmlich. Auf der Festtafel vor uns aber mangelte es an nichts. Immer wieder wurden wir genötigt, das und das und das zu probieren. Jemand, mit dem wir uns hätten sprachlich verständigen können, fand sich nicht. Uns zu Ehren (?!) wurde ein Fest wie für Staatsgäste inszeniert, das in der Menge des Aufgetragenen wohl das Monatseinkommen der Anwesenden überstieg. Übersättigt und stark angetrunken sanken wir letztlich irgendwann in unsere Himmelbetten. (Wir waren im Schlafzimmer der Hausherren gelandet … merkten wir später.)

Wir wurden am folgenden Vormittag verabschiedet wie gute alte Freunde – wenn auch in der Gewissheit, dass wir einander nie wieder sehen würden. Der Schock kam, als wir Mittagsrast machen wollten. Da stellte sich nämlich heraus, dass „jemand“ uns außer Fresspaketen noch Bierflaschen in die Rucksäcke gesteckt hatte. Dazu musst du wissen, dass Bier in jener Gegend nicht nur extrem teuer, sondern auch selten gewesen war. Das hatten die Leute nicht einfach so in ihrem nicht vorhandenen Kühlschrank. Der heimliche Beschenker war deshalb zurecht davon ausgegangen, dass wir diese Gabe nicht angenommen hätten, aber Bier eben das Getränk für Deutsche war.

Ich kann nicht einmal sagen, ob wir wenigstens auf Rumänisch „Danke!“ für die Gastfreundschaft gesagt hatten … (Zumindest den von den Anderen verwendeten Abschiedsgruß haben wir imitiert.)

Ich gebe zu, ich wäre zu einer solch vorbehaltlosen Form der Gastfreundschaft Fremden gegenüber nicht fähig. Allerdings die Freude an der Feier konnten wir mitempfinden. Und wir erahnten zumindest das spitzbübische Vergnügen der Einheimischen bei der Vorstellung, mit welcher Verwunderung wir die heimliche Gabe entdecken würden. Nach unseren Maßstäben war diese unschuldige Freude allerdings extrem teuer „erkauft“.

Viel später wurde mir bewusst, dass wir eine Art „Potlatch“ erlebt hatten. Logisch, dass ich mich damit dann näher beschäftigte – ganz davon abgesehen, dass den Heranwachsenden in der DDR ein Stück Indianer-Romantik nahe gebracht worden war – wohl so wie im Westen die Simulation des freien Lebens als Cowboy. Man nimmt bestimmte Werte unbewusst auf. Und die DDR-Indianerfilme (zumindest die ersten) waren sehenswert.

Ich breche die Reisen in eigenes Erleben hier ab. Vielleicht ahnst du bis hier, welches Denken in der DDR entstehen konnte (wenn auch erst selten). Es waren nur ferne Vorboten dessen, was wir dann doch nicht geschafft haben.

Ach Thor, nun habe ich dich gnadenlos mit Ideologie beschossen. Es freut mich zwar, dass du dich so diplomatisch bedankt hast, aber … Weißt du, eigentlich war alles nur ein überlanger Entschuldigungszettel: Ich habe ja in der DDR gelebt und bin nicht blind herumgelaufen. Ich kann zwar darauf verweisen, dass ich oft widersprochen habe, mich bemüht habe, auf Mängel in unserem System hinzuweisen. Aber eben nicht bis zur letzten Konsequenz, nicht genug. Ich habe mich eingerichtet und wäre jetzt vielleicht ein selbstgefälliger Doktor der Pädagogik, der über Verifizierung von Methoden der Kenntnisvermittlung in der Erwachsenenqualifizierung seine Eitelkeit befriedigte. Damit mitschuldig am Scheitern eines Anlaufs für eine gute und nötige Sache. Ich möchte nicht, dass es dir später einmal genauso geht, dass du dir heimlich sagst, du hättest mehr tun müssen und können und nun fliegst du im freien Fall in den Abgrund und es ist zu spät. So richtig alt bin ich ja noch nicht. So hoffe ich einfach, dass das nicht das Ende sondern der Anfang unseres Kontakts ist und du jetzt noch mehr Fragen hast als vorher. Dann hätte ich nämlich erreicht, was ich wollte …

seitensprung

ich habe bei der 

gewissheit gelegen

sie verließ mich

geschwängert 

mit fragen  

ewig zahle ich

unterhalt für mein

aber

ANHANG

Karl Marx „Die deutsche Ideologie“.

    Als weitere Quellen, in denen Kommunismus direkt und indirekt bei den Vordenkern des „wissenschaftlichen Kommunismus“ eine Rolle spielen, empfehle ich

     

    1. Karl Marx „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, Einleitung,

    2. Karl Marx „Randglossen zum Gothaer Programm“,

    3. W.I. Lenin „Staat und Revolution“.

     

    Du findest dort unter anderem folgende Grundgedanken, die teilweise zu DDR-Zeiten bestritten wurden: „Der Kommunismus ist empirisch nur als die Tat der herrschenden Völker „auf einmal“ und gleichzeitig möglich, was die universelle Entwicklung der Produktivkraft und den mit ihm zusammenhängenden Weltverkehr voraussetzt. …, während mit der Aufhebung der Basis, des Privateigentums, mit der kommunistischen Regelung der Produktion und der darin liegenden Vernichtung der Fremdheit, mit der sich die Menschen zu ihrem eignen Produkt verhalten, die Macht des Verhältnisses von Nachfrage und Zufuhr sich in Nichts auflöst und die Menschen den Austausch, die Produktion, die Weise ihres gegenseitigen Verhaltens wieder in ihre Gewalt bekommen.“

    „Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.“

    „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“

     

    Die Idee des Reifegrads der Computertechnik für eine gesamtgesellschaftliche Planung wurde erstmals beschrieben in Cockshott/Cottrell „Alternativen aus dem Rechner“.

1Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung

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