Arbeitsmotivation im Sozialismus?

Posted by frieden on 27.11.2007

Mit dem Antritt einer Diskussion, ob denn die DDR ein „sozialistischer Staat“ sei, kam auf einer anderen Liste ein Beitrag mit dem Einverständnis, es hier in dem Blog zur Diskussion zu stellen, den ich frech umformuliere: Wann ist der Sozialismus dem Kapitalismus überlegen oder fördert er Faulenzertum oder… Den Beitrag stelle ich als Kommentar ein in der Hoffnung auf weitere…

2 Comments

  • frieden sagt:

    Hallo …,

    ich bin, wie aus früheren Beiträgen sicherlich ableitbar, stark daran interessiert, DAS neue Gesellschaftsbild zu diskutieren und dabei den ehemals „real existierenden“ Sozialismus einer kritischen Analyse zu unterwerfen.

    Als geborener und erfahrener Ossi will ich gern hierzu beitragen. Ich möchte die Diskussion gern in diesem Forum führen, wobei sicherlich auch die inhaltlichen Dinge auf die von Dir angesagte Page gestellt werden können.

    Wo anfangen? Beim Eigentum an Produktionsmitteln (PM).

    In der DDR gab es im Prinzip zwei Formen: Das staatliche (gesamtgesellschaftliche) der sozialistischen Betriebe, Einrichtungen und Volkseigene Güter einerseits und das genossenschaftliche Eigentum andererseits.
    In einer Übergangszeit gab es auch noch kleine und mittlere Privatunternehmen, die jedoch mehr und mehr zwangskollektiviert oder enteignet wurden, nur Ausnahmen haben die Wende erlebt.
    Das genossenschaftliche Eigentum hatte zwei Erscheinungsformen: die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG – siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Landwirtschaftliche_Produktionsgenossenschaft) bzw. gärtnerischen Produktionsgenossenschaften (GPG) und die Produktionsgenossenschaften Handwerk (PGH).
    Die genossenschaftliche Form erreichte zwar nicht die Arbeitsproduktivität der ehemaligen Einzelbauern oder Einzelhandwerker, sie waren jedoch durch eine engere Bindung der Mitglieder an das Eigentum und die größere Entscheidungsfreiheit der integrierten „Genossen“ im Vergleich zu den volkseigenen Betrieben durchaus effektiv und versorgten die Gesellschaft meist zuverlässig mit Nahrungsmittel und Dienstleistungen. Besonders in den PGH’s (Handwerk hat goldenen Boden) und auch teilweise in den LPG’s kam es durchaus zur überdurchschnittlichen Häufung von privatem Vermögen (Eigenheim mit Grundstück, Barvermögen, Wochenendgrundstücke, PKW und später Westgeld), was in den volkseigenen Betreiben schwer erreichbar war, es sei denn, man hatte einen wichtigen Führungsposten mit entsprechender Bezahlung und Bevorzugungen bei der Güterzuteilung (Grundstücke, PKW).
    Die Genossenschaften hatten im Vergleich zu Einzelunternehmen auch Vorteile:
    – Möglichkeit der effektiveren Bewirtschaftung (in der Praxis aber nicht erreicht)
    – Möglichkeit der größeren Spezialisierung
    – Geringere Selbstausbeutung,
    – Mehr Freizeit, Möglichkeit des Jahresurlaubes und im Wechsel auch an den Wochenenden besonders im Vergleich zu Einzelbauern
    – Schaffung kollektiver Sozial- und Kultureinrichtungen (KiTa, Kulturhäuser, Clubs).
    Die negativen Erscheinungen waren:
    – Vergemeinschaftlichung der Verantwortung und damit Kollektivierung des Erfolges und Misserfolges und daraus:
    – Fehlender Motivationsdruck – Neigung zum Schlendrian und zur schlechten Qualität (besonders LPG)
    – Leistungsprinzip nicht gewährleistet
    – Entfremdung zu den PM (z. B. kollektive Viehhaltung).

    Das Bewusstsein oder besser gesagt die Bereitschaft zu hohen Leistungen wurden durch Druck von außen erzeugt. Ideologisch abgeleitete Leistungsbereitschaft waren Ausnahmen. Initiative wurde oft in den privaten (materiellen) Bereich (Schwarzarbeit, Eigenheimbau) verlagert, wodurch eine Tendenz zur Entkollektivierung entstand.

    Ähnliches nur noch verstärkt passierte in den volkseigenen Betrieben und Einrichtungen: Hier war die Entfremdung zu den PM noch stärker ausgebildet. Ohne permanenten ideologischen Druck („Schule der sozialistischen Arbeit“, „Kollektive der sozialistischen Arbeit“, Neuererbewegung als Pflichtaufgabe, Vorgaben im „sozialistischen Wettbewerb“, Aktivitäten der Parteigruppen der SED) waren Planvorgaben und Termine überhaupt nicht, mit diesen Mitteln auch nur selten haltbar.
    Die Sozialeinrichtungen (Kinderkrippe, Kindergarten, Hort in den Schulen), Kultureinrichtungen und das Gesundheitswesen waren umsonst oder erschwinglich. Schulen, Universitäten hatten Mittelmaß.

    Ich will auf folgendes hinaus: Das Bewusstsein, die kollektive Verantwortung waren in dem Sinn unzureichend ausgebildet, als das Spitzenleistungen in der Produktivität, Wissenschaft oder im gesellschaftlichen Engagement an der Tagesordnung waren und somit die sozialistische Produktionsweise ihre Überlegenheit gegenüber der kapitalistischen hätte beweisen können. Man müsste meinen, dass mit längerer Existenz des Sozialismus, mit tiefgreifender Schulung des Bewusstseins der darin lebenden Menschen (sozialistische Bildung von der Kinderkrippe an), das System immer besser funktionieren müsste, sterben doch alte (bürgerliche) Traditionen und Erfahrungen biologisch aus. Das war aber nicht so. Die Entfremdung der Menschen von der Produktion hin zum privaten Engagement nahm zu.

    Andererseits könnte man naturgemäß auch fragen: Wie viel Arbeitsproduktivität und damit wie viel Anstrengung braucht der gesellschaftliche Fortschritt. Ist dem Sozialismus gut geraten, in den Wettbewerb mit dem Kapitalismus einzutreten? Muss Selbstausbeutung (bzw. sozialistisches Hyperengagement) übertrieben werden, sind nicht andere Ziele (im Sozialismus hieß es immer „vollständige Entfaltung der Persönlichkeit“) wichtiger, als die dauernde Konsumperfektionierung? Oder direkt gefragt: Müssen wir in der Arbeitsproduktivität ständig nach vorn powern? Ist nicht eine einigermaßen hinreichende Befriedigung der Bedürfnisse ausreichend. Aber wohin gehen die freien Potentiale der sozialistischen Menschen: In mehr Bildung? In mehr Kultur? Oder, wie die Realität zeigte: In Schattenwirtschaft (handwerkliche Leistungen, Anhäufung Privatvermögen, Abschotten von der Umwelt, Westgeldbeschaffung, Vitamine „B“)? Zum Schluss des realen Sozialismus grinste man nur noch über sozialistische Einstellungen und Spitzenleistungen, wurden diese Menschen ausgegrenzt. Man „ertrug“ die oben beschriebenen Motivationsversuche und plante im Stellen seine Aktivitäten am Wochenende.

    Also meine wichtigen Fragen im Zusammenhang mit der Vergesellschaftung bzw. Kollektivierung des Besitzes an Produktionsmitteln sind:
    – Was kann den Menschen im Sozialismus ohne drohende Arbeitslosigkeit hinreichend motivieren, dauerhaft gute bzw. sehr gute Arbeitsleistungen zu erzielen?
    – Wie viel Arbeitsintensität braucht die Gesellschaft? Führt ein sich Zufriedengeben mit einer hinreichenden Grundversorgung nicht in eine zunehmende Stagnation und Entkollektivierung des Bewusstseins?
    – Wie soll ein Leistungsprinzip im Sozialismus funktionieren?

    Also was sollen die neuen Motoren der Entwicklung sein, ist der Mensch reif, zumal wir gesehen haben, dass auch eine permanente Erziehung und Beienflussung des Bewustseins keine hinreichende Wirkung erzielen? Selbst nach einer Verelendung im Kapitalismus und einer nachfolgenden „Revolution“ werden langwirkende Motivationsmechanismen benötigt. Die bisherige Entwicklung des realen Sozialismus hat gezeigt, dass die Entfremdung von den PM und von der Arbeit zunehmen. Ist die Vergesellschaftung der PM tatsächlich der Schlüssel zum Sozialismus, oder sollte sich die Vergesellschaftung nur auf Unternehmen der Grundversorgung (Strom, Wasser, Abwasser, Müllentsorgung, Gas, ÖPNV, Transportwesen, Kommunikation, auf zentrale Banken und Großhandelsgesellschaften, strategische Industrien) beschränken?

    Besondere Beachtung sollte in diesen Diskussionen die jetzt schon vorhandenen kollektiven Eigentumsbedingungen an PM in der kommunalen Wirtschaft und in bestehenden Genossenschaften (siehe z. B. Volksbanken, Sparkassen) erhalten.

    Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion.

    Gruß

    Norbert

  • frieden sagt:

    Vielleicht haben wir hier das Kernproblem aller kommunistischen Theorie und Praxis überhaupt.
    Es ist auf jeden Fall extrem vielschichtig.
    Lass mich mit einem Proplem provokatorisch anfangen:
    Was hältst du von der Entwicklung von Raketen, Raketenabwehrsystemen und Flugzeugträgern?
    Was hältst du von der Möglichkeit mittels Handy fernzusehen?
    Nehmen wir an, nichts?
    Das eine ist eine im Sinne jeder gesamtmenschheitlichen Entwicklung destruktive Verwendung von Arbeitsleistung – entweder gerichtet auf direkte Zerstörung von anderen Leistungen oder auf deren Verhinderung – auf jeden Fall eine Minderung der Gesamtmasse dessen, was menschliche Arbeitskraft für Bedürfnisbefriedigung schaffen könnte.
    Das andere ist ein künstliches Vorwärtstreiben überzogener „Bedürfnisse“ unter dem primären Ziel aller „Marktwirtschaft“, Profit zu erzielen.
    Denk dir schon einmal diese zwei Dinge weg aus der Welt.
    Denk dir weiter dazu, was das einzige Ziel einer menschenwürdigen Gesellschaft sein muss: Allen Menschen alle Möglichkeiten zu schaffen und zu entwickeln, mit denen sie sich als Menschliche Persönlichkeiten entfalten können, mit denen sie ihre sinne sinnvoll entwickeln, sich selbst als Ganzes durch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse weiterentwickeln…
    Daraus folgt:
    1. Das eine Unmenge von „Arbeit“ in Zukunft entfällt. Dies wird noch durch den Abbau der Geldwirtschaft in der Kommunismusentwicklung zusätzlich verstärkt.
    2. Das Arbeitspotential für unseren heutigen „Lebensstandard“ in seiner Verallgemeinerung, also in seiner Inanspruchnahme für jeden (!), wäre jetzt schon gegeben.
    Die Forderung nach Erhöhung der Arbeitsproduktivität ist zumindest im Sinne von Arbeitshetze und Arbeitsmasse kontraproduktiv.
    Der in deiner Darstellung enthaltene Gedanke, die Menschen müssten zu mehr und besserer Arbeit getrieben werden, ist Folge kapitalistischer Arbeitsauffassung. Ist es nicht sozialistischer/kommunistischer, wenn der Arbeitsplatz auch als Kommunikationsort benutzt wird, mit den Kollegen über die Kindererziehung (als Beispiel) gequatscht wird????
    Für die Umwelt, die unsere Welt ist… und hoffentlich bleibt, ist es entschieden besser, wenn nicht so viel mehr produziert wird!
    Das, was du als Problem siehst, ist sowohl geschuldet der ungünstigeren Ausgangsbedingungen, dass die „realsozialistischen“ Wirtschaften also bevorzugte Opfer des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate waren, als auch des laufend reproduzierten Konsumgesellschaftsdrucks, der damit zusammenhing.
    Ich würde die Formel von der Arbeit als erstes Lebensbedürfnis nicht so eng sehen. Wir stehen am Ende des immer mehr. (Denke an die Braunkohletagebaue… gerade wegen ihrer internationalen Notwendigkeit für die DDR…)
    Ich sehe das als Punkt eins!
    Die Werktätigen haben in gewisser Hinsicht eine Arbeitsbeziehung gehabt, die AUCH Elemente einer zukünftigen enthielt!!! Nur hätten sie das unter den Rahmenbedingungen eines materiell-technisch überlegenen Kapitalismus (noch) nicht haben dürfen.
    (Abbruch vor Punkt zwei, aber hierauf kann geantwortet werden…

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